
Berlin Die jährliche Pressekonferenz des Zolls gehört zu den angenehmeren Aufgaben eines Bundesfinanzministers. Drogenfunde, Krokodilledertaschen, die ins Land geschleust werden sollten, oder sichergestellte Medikamente, die mit Dreck statt Medizin gefüllt sind – der Ressortchef kann sich dort mit den Fahndungserfolgen seiner 40.000 Zöllner schmücken.
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) wird am Dienstag zum ersten Mal die Arbeit des Zolls vorstellen. Doch diesmal wird es nicht nur ein Vergnügen sein. Denn innerhalb der Behörde rumort es nach den Umbauarbeiten der vergangenen Jahre gewaltig. Der Chef der Zoll-Gewerkschaft, Dieter Dewes, schlägt Alarm: „Ich sehe die Gefahr, dass der Zoll aufgrund des Personalmangels seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann“, sagte Dewes dem Handelsblatt. Aktuell fehlten bundesweit rund 3500 Stellen. Der Zoll sei nur noch „bedingt einsatzfähig“.
Dewes’ Kritik ist mehr als das übliche Wehklagen eines Gewerkschafters, der sich immer mehr Stellen wünscht. So arbeitet aktuell der Bundesrechnungshof an einem Gutachten zur Arbeit des Zolls. Es ist noch nicht fertig, doch nach allem, was man hört, sind auch die Rechnungsprüfer der Auffassung, der Zoll brauche neue Stellen.
Für eine Behörde, die für Schwerstkriminalität wie Geldwäsche zuständig ist, sind solche Zustände unhaltbar – und eine Gefahr für die innere Sicherheit.
Denn der Zoll ist in den vergangenen Jahren zu einer Art Allzweckwaffe geworden. Neben ihrer ursprünglichen Arbeit hat die Behörde gleich eine Reihe neuer Aufgaben übernommen. Der Zoll kontrolliert nun die Schwarzarbeit. Er prüft, ob Betriebe den Mindestlohn einhalten. Er kassiert die Kfz-Steuer. Er bekämpft Geldwäsche. Und künftig soll der Zoll auch noch die Pkw-Maut eintreiben.
Den Zöllnern ständig neue Aufgaben zu übertragen stößt auf Kritik. „Der Zoll wird immer mehr zu einem munteren Bauchladen. Es fehlt eine klare Definition, welche Aufgaben er in Zeiten eines europäischen Binnenmarktes übernehmen soll“, sagt Florian Toncar, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.
Die neue Aufgabenflut drückt auch auf die Stimmung in der Behörde. Zwar fühlt man sich beim Zoll gebauchpinselt, aber durch das fehlende Personal nehmen laut Gewerkschaft auch die Belastungen und der Arbeitsdruck auf die Beschäftigten „exorbitant“ zu.
Derzeit wird mit dem Verschieben von Mitarbeitern in sogenannte „Hotspots“, also Brennpunkte, versucht, der Lage Herr zu werden. Ein Beispiel ist der Hamburger Hafen, wo Zöllner aus anderen Bereichen abgeordnet werden, um auszuhelfen. Der Personalbedarf bei Flug- und Seehäfen ist aufgrund der guten Konjunktur und des damit verbundenen Warenumschlags wahnsinnig hoch.
Toncar fürchtet, dass der Zoll zu einer überforderten Behörde wird, wenn er neben dieser ursprünglichen immer weitere Aufgaben übernimmt. Bestes Beispiel dafür sei die bisher „katastrophale“ Arbeit der neuen Geldwäsche-Einheit.
Mitte März präsentierte das Finanzministerium Finanzpolitikern die Bilanz der sogenannten „Financial Intelligence Unit“ (FIU), die im Sommer 2017 auf Betreiben des damaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble (CDU) vom Bundeskriminalamt zum Zoll verlagert worden war. Demnach sind bis zum 1. Februar 2018 in der FIU „über 30.000 rückständige Fälle“ aufgelaufen. Monatlich kämen im Schnitt weitere 5600 hinzu. Dabei sollten Geldwäschefälle eigentlich binnen weniger Tage abgearbeitet werden.
Bei hartem Brexit sind zusätzlich 2000 Stellen notwendig
Bei der FIU seien Prozesse noch „in der Umsetzung befindlich“, teilte das Finanzministerium mit. Das war eine nette Umschreibung dafür, was wirklich schiefläuft. So hapert es schon an einfachster Bürotechnik. Bis Mitte November 2017 konnten Banken, Versicherungen und Anwaltskanzleien ihre Verdachtsmeldungen zu Geldwäsche „nur per Fax“ übermitteln, weil die IT der neuen Einheit nicht funktionierte.
Die Verdachtsmeldungen hätten deshalb „händisch“ in Datenbanken übertragen werden müssen. Auch konnten die Ermittler der FIU und Polizei gegenseitig nicht automatisch auf ihre Daten zugreifen. Hinzu kommen Personalengpässe. Ein Drittel der 165 Stellen ist unbesetzt, rund 100 Beschäftige arbeiten derzeit als Aushilfe bei der FIU.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Frank Buckenhofer, bezeichnet den Zoll auch deshalb als „das Aschenputtel der Sicherheitsarchitektur“.
Ähnlich wie bei der FIU ist die Lage bei der Kfz-Steuer. Auch hier müssen Zöllner aushelfen, die eigentlich woanders benötigt werden. Bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit fehlten ebenfalls Mitarbeiter. „Man verwaltet den Mangel“, sagt Dewes.
Und es könnte noch schlimmer werden. Wenn Großbritannien aus der EU austritt, müssen Waren, die bisher so zwischen Deutschland und Großbritannien verschickt wurden, angemeldet werden. Das bedeutet Mehrarbeit für den Zoll.
Bei einem harten Brexit rechnet Dewes damit, dass der Zoll rund 2000 Stellen zusätzlich braucht. Im Finanzministerium geht man von 100 bis 800 zusätzlichen Stellen aus, je nachdem, wie die Handelsbeziehungen nach dem Brexit ausgestaltet werden. Mehr Arbeit kommt auf den Zoll auch durch die Pkw-Maut zu, für deren Eintreiben er zuständig sein soll. Die Zoll-Gewerkschaft geht von etwa 600.000 „Vollstreckungsfällen“ im Jahr aus. Allein dafür brauche man eine dreistellige Zahl an Beamten.
Die grüne Finanzpolitikerin Lisa Paus hält es für richtig, dem Zoll neue Aufgaben zu übertragen. „Nur müssen dann auch die Ausbildungskapazitäten angepasst werden. Das ist aber überhaupt nicht geschehen.“ Der Zoll friste trotz der neuen Aufgaben „ein Schattendasein“.
Bestes Beispiel dafür sei die Entscheidung von 2016, den Zoll als oberste Bundesbehörde nicht in der Nähe des zuständigen Bundesfinanzministeriums in Berlin, sondern in Bonn anzusiedeln, weil sich „Lokalpatrioten“ das so gewünscht hätten, so Paus.
Auch der damals neu eingesetzte Zoll-Präsident Uwe Schröder war darüber froh. Nur gab er sein Amt im vergangenen Dezember nach eineinhalb Jahren schon wieder auf. Zwischen Schröder und dem Finanzministerium soll es geknirscht haben. Schröder habe den Zoll eigenständiger aufstellen wollen, was im Finanzministerium für Befremden gesorgt habe. Seit nunmehr fünf Monaten steht der Zoll ohne Führung da.
Zoll-Gewerkschafter Dewes würde gern noch dieses Jahr anfangen, all die Personallücken zu schließen. Und tatsächlich war der Zoll eines der ersten Themen, mit denen sich die neue Regierung befasste, nur anders als gewünscht und notwendig: Um 209 neue Stellen in dem Bundesministerium zu schaffen, wurden unbesetzte Stellen bei der Behörde aus dem Haushalt 2018 gestrichen – und ins nächste Jahr geschoben.