Zu wenig Druck auf Putin Eine detaillierte Aufarbeitung der Rolle der SPD ist angebracht

Die SPD weigert sich noch immer eine strenge Hand gegen Putin zu führen. Quelle: dpa

Die Russland-Politik der SPD ist ein bleibender Schandfleck für die deutschen Sozialdemokraten. Die Partei braucht ein zweites Godesberg. Ein Gastbeitrag.

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Im Gefolge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Putins auf die Ukraine gibt es längst nicht nur in der deutschen Energiepolitik, sondern auch der deutschen Außenpolitik viel aufzuräumen. Doch so sehr sich Annalena Baerbock, die sich zunehmend als eine würdige Erbin von Joschka Fischer erweist, in ihrem Metier darum bemüht, sie wird fortlaufend von Olaf Scholz und den Sozialdemokraten blockiert.

Die SPD ist offensichtlich fest entschlossen, Putin weiterhin zu akkommodieren. Das geschieht in einer doppelt zynischen Art und Weise. So verkauft sie ihre fortgesetzte Beschwichtigungspolitik gegenüber Russland erstens als „Realpolitik“.

Und zweitens wird die aktuelle Weigerung, wenigstens ein umgehendes Öl-Embargo gegen Russland zu verhängen intern, aber auch über die journalistischen „Vermittler“ der Partei, hauptsächlich damit begründet, dass man sich an keinem Drehen der Eskalationsspirale beteiligen wolle. Putin könne sich da in die Ecke gedrängt fühlen. Die unausgesprochene, aber bedeutungsvoll mitschwingende Annahme: Putin könnte Nuklearwaffen einsetzen.

Olaf Scholz, der häufig – wenig staatsmännisch – als der Mann mit dem Aktenkoffer auftritt, vermittelt so den Eindruck eines selbstsüchtigen Deutschlands, das von einer veritablen Krämerseele gesteuert wird.

Angesichts der wahrhaft historischen Situation, in der wir uns gegenwärtig befinden, ist eine detaillierte Aufarbeitung der Rolle der SPD angebracht. Dies gilt umso mehr, als das aktuelle Regierungsverhalten schon jetzt enorme Effekte auf die internationale Stellung und Reputation der Bundesrepublik Deutschland hat. Nicht nur in Osteuropa ist man entgeistert über das deutsche Verständnis von Freiheit, das sich im Recht auf Flugreisen in den Urlaub zu erschöpfen scheint.

Vor diesem Hintergrund ist es frappierend, wie die wenigsten innerhalb der SPD die Signifikanz der fortgesetzten Feigheit, der ihrer Partei gegenüber Putin auch nur annähernd verstanden haben. Das lässt sich – wenig rühmlich – an der Tatsache ablesen, dass das deutsche Wort „Putin-Versteher“ es mittlerweile in den internationalen Sprachschatz geschafft hat.

Dabei hat allein die Tatsache, dass die SPD schon in den vergangenen Jahren bereit war, die Wahrung der Menschenrechte in Russland faktisch zur Disposition zu stellen, eine ebenso tragische wie unabweisliche Konsequenz: Knapp 90 Jahre nach 1933 und den stolzen, unter den Nationalsozialisten mit eigenem Blut erworbenen Meriten hat die Partei ihren Nimbus als Verteidigerin von Demokratie und Freiheit ausgehebelt.

Zur Person

Die antifaschistischen Traditionen der Partei sind jedenfalls verschüttet. Die Unterwürfigkeit gen Moskau – und das darin zum Ausdruck kommende völlige Fehlverständnis von politischer Freiheit – hätte nicht nur Kurt Schumacher erschüttert.

Gerade deshalb sind übrigens die Steinmeierschen Fotoserien, die sein fast zärtliches Verhältnis gegenüber Lawrow so lebhaft erfassen, ein Desaster. Steinmeier wirkt da wie ein Daladier des 21. Jahrhunderts.

Auch wenn Steinmeier mittlerweile Fehler eingestanden hat und damit ein rares Zeichen des Anstands innerhalb seiner Partei etabliert hat, ist es doch sehr bezeichnend, wie lange Zeit der SPD etwa ein Wort zum Umgang der russischen Behörden mit Alexei Nawalny schwerfiel.

Trotz all der eindeutigen Beweise, die es für so gut wie sämtliche mörderischen und kriegerischen Ereignisse gab, die von Putin und seiner russischen Kabale im In- und Ausland – und dabei auch in Deutschland – unternommen wurden, galt als oberste Devise, Putin bloß nicht zu erzürnen. Die perverse Logik der Partei? Eine deutliche Stellungnahme hätte ja als Drehen an der „Eskalationsspirale“ verstanden werden können.



Angesichts dieser Prinzipen- und Instinktlosigkeit ist es nur folgerichtig, dass die vermeintliche „Zeitenwende“-Rede von Olaf Scholz vom 27. Februar 2022 längst zum innerparteilichen Gefechtsfeld geworden ist. Die vom SPD-Bundeskanzler unmissverständlich ausgesprochenen Verpflichtungen werden aber nicht nur seitens der Partei munter zerredet.

Auch der Bundeskanzler selbst erweist sich als aktiver Blockierer der Umsetzung seiner eigenen, mittlerweile wohl als (pseudo-)historisch einzuordnenden Ankündigungen. Scholz erweist sich somit wieder einmal als „Mann ohne Eigenschaften“.

Er, der so gerne den Helmut Schmidt herauskehren möchte, ist dazu schlicht unfähig. Wenn er wirklich eine politische Führungsfigur wäre, hätte er schon längst die Notwendigkeit zu einem – diesmal auf außenpolitischem Gebiet angesiedelten – zweiten „Godesberger Parteitag“ reklamieren müssen.

Denn so wie es 1959 um die Neuordnung des Verhältnisses der SPD zur Marktwirtschaft ging, müsste die Partei jetzt angesichts der klaren Bedrohungslage ihr Verhältnis zu militärischen Themen neugestalten. Stattdessen wird die von Scholz angekündigte, eigentlich seit zwei Jahrzehnten überfällige Sicherstellung einer wenigstens basismäßigen Verteidigungsfähigkeit unserer Truppen in SPD-Parteigliederungen mittlerweile als „Aufrüstung“ beschrieben.

In diesem Zusammenhang läuft auch der zur Selbstverteidigung der Partei häufig vorgetragene Hinweis auf eine Phalanx von Verteidigungsministern der Union ins Leere. Denen war bekanntermaßen aufgrund von klaren, seitens der SPD in Koalitionsverträgen gemachten Festlegungen wesentlich die Hände gebunden.

Mit Blick auf ein zweites Godesberg ist vor allem das innerhalb der SPD seltsam ausgestaltete Verständnis von Landesverteidigung grundlegend revisionsbedürftig. Die Notwendigkeit, dies zu tun, ist angesichts der von Putin und seinen Claqueuren unmissverständlich ausgesprochenen, gen Westeuropa und Deutschland gerichteten militärischen Aggressivität Russlands umso dringender.

Und dennoch zögert und sträubt sich die SPD, wo und wie sie nur kann. Zum einen scheint in der Partei mitunter die Bereitschaft durch, die deutsche Landesverteidigung im Interesse der „Friedenswahrung“ am besten gleich den Russen übertragen zu wollen. Immerhin würde sich Moskau dann ja nicht verunsichert fühlen. Das unreflektierte Interesse am Vermeiden von „Eskalationsspiralen“ treibt in der SPD schon merkwürdige Stilblüten.

Soweit die Notwendigkeit zur Landesverteidigung wenigstens zugestanden wird, steht ihr unmittelbar die Maxime, möglichst wenig zur tatsächlichen Umsetzung zu tun, im Weg. Das hinauszuzögern, wenn nicht gar zu verhindern, wird auch als Zeichen der eigenen politischen Potenz angesehen.

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