Zufluchtstätte Familie statt Krise

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Grafik: Geburten in dEutschland

Entsprechend stellt Gerold Rieder, Geschäftsführender Gesellschafter der Intes Akademie für Familienunternehmen in Bonn, fest, dass „die Familien in den Betrieben derzeit noch stärker zusammenrücken“. Die wechselseitige Hilfe reiche dabei „von punktuellen operativen Maßnahmen über Modelle zur Bereitstellung von Kapital bis hin zum Einstieg als Gesellschafter“. Tom Rüsen, Geschäftsführender Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen an der Universität Witten/Herdecke, hat das Krisen-Verhalten familiärer Gesellschafter in einer Studie untersucht. Rüsen kommt zu dem Ergebnis, dass die Gesellschafter in der Regel bereit seien, „weite Teile ihres Privatvermögens einzubringen“, um eine Firma zu erhalten. Grund ist, so Rüsen, das „transgenerationale Erbe“, sprich – die Bürde der Unternehmenstradition: „Keiner möchte derjenige sein, der die Firma am Ende ruiniert oder die Rettung verhindert.“

Während die arbeitenden Jungen über den Generationenvertrag auch politisch verpflichtet sind, mit ihren Rentenbeiträgen für das Auskommen der Alten zu sorgen, fließt der Geldstrom von Alt nach Jung höchst informell. 32,5 Milliarden Euro jährlich, schätzt das Deutsche Zentrum für Altersfragen, überweisen die Großeltern und Eltern an ihre erwachsenen Kinder und Enkel – „besonders viel und häufig, wenn Krisensituationen auftreten“, sagt der stellvertretende Institutsleiter Andreas Motel-Klingenbiel. „Etwa im Falle von Scheidungen oder von Arbeitslosigkeit.“

Familie als wichtigste und beste Ressource

Oder im Falle von Welt- und Wirtschaftskrisen. Eine der größten familiären Erfolgsgeschichten ist der Aufstieg der Familie Rothschild, die sehr früh verstand, das eigene Geblüt als „ihre wichtigste und beste Ressource“ zu begreifen, schreibt der amerikanische Wirtschaftshistoriker David Landes. Als Nathan Mayer Rothschild Ende des 18. Jahrhunderts wegen Handelsstreitigkeiten Frankfurt verließ und ein Schiff nach England bestieg, konnte er selbstverständlich über den unbeschränkten Kredit verfügen, den der angesehene Vater in London besaß. Noch enger knüpften die Wendels, eine französische Montan-Dynastie, während der Revolutionsjahre ihre Bande: Der Familienrat entschied, die bestmögliche Verteidigung des Stammsitzes den Alten zu überlassen, damit die Jungen sich ins Ausland absetzen – und beizeiten das Erbe retten oder antreten können.

Nicht ganz so dramatisch ging es beim Stricknadelhersteller Thomas Selter aus dem sauerländischen Altena vor mehr als zwei Jahrzehnten zur Sache. 1986, kurz vor einer Rezession, brach dem Unternehmen die Hälfte seines Umsatzes weg. „Wir erlebten damals das, was die Autobranche heute durchmacht“, erzählt Selter: Plötzlich stand der 1829 gegründete Betrieb vor der Pleite. Die Familie hat damals „alles investiert, was in fünfeinhalb Generationen aufgebaut war“, erinnert sich Selter, und: „Meine Eltern haben sogar ihr Privathaus als Sicherheit zur Verfügung gestellt.“ Am Ende, nach zehn bangen Jahren, knallten bei den Selters die Sektkorken. Das Unternehmen meisterte die Krise und beschäftigt heute 70 Mitarbeiter, mehr als zuvor.

Verwandschaft als Investoren

Auch Niklas Bolle konnte sein Startup nur auflegen, weil die Familie ihm Mut machte – und Geld gab. Bolle hat schon während seines Ökonomie-Studiums in Leipzig das Unternehmen Mygall gegründet; auf der gleichnamigen Internet-Seite können Künstler Kunstdrucke ihrer Originale anbieten – zum Beispiel auf Leinwand oder als Postkarte. Bolles Team kümmert sich um Druck und Versand und berechnet dafür einen Mindestpreis – der Rest geht an den Urheber. Ein schönes Win-Win-Konzept? Dachte auch Bolle – und reiste jüngst zu Banken, das Bargeld war sein Ziel. Doch Bolle suchte vergebens nach Kapital für sein Unternehmen; die Gespräche mit Investoren verliefen im Sand.

Erst war ihnen ein studentischer Gründer zu riskant, dann hatte die Krise die potenziellen Geldgeber so fest im Griff, dass sie nichts rausrückten. „Spätestens da war mir klar, dass ich andere Quellen anzapfen muss“, sagt Bolle. Also versuchte er es am Küchentisch – Bolle überredete seinen Vater und seinen Bruder, jeweils einen fünfstelligen Betrag zuzuschießen. Heute hat Bolle keine Investoren mehr nötig und pendelt relativ gelassen zwischen den Hörsälen seiner Uni und dem Büro. Auf der InternetSeite stellen inzwischen mehr als 5000 Künstler ihre Werke aus, das Unternehmen beschäftigt drei Mitarbeiter, ein paar Praktikanten und Freie.

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