Zukunft der FDP Die neuen Lindner-Liberalen

Zwei Jahre nach dem Bundestags-Aus ist der Relaunch der FDP weit fortgeschritten. Parteichef Christian Lindner findet: Die Partei ist so frei wie nie zuvor. So sehen sich die neuen Liberalen.

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Christian Lindner Quelle: Christoph Busse für WirtschaftsWoche

Die gute Nachricht für die Freien Demokraten: Man muss wieder Gründe haben, um sie nicht zu wählen. Das ist ein Fortschritt. Vor zwei Jahren gab es noch nichts, was für die Liberalen sprach. Die FDP predigte auf die Deutschen herab und vermieste ihnen ein Land, das berühmt ist für Ordnung, Fleiß und made in Germany. Sie sprach sich gegen den Mindestlohn und die Quote aus, gegen den Sozialstaat und seine Bürokratie, gegen Minderleister und grüne Bevormunder, gegen leistungslose Einkommen und natürlich auch gegen die Verfolgung von Steuerflüchtlingen.

Die Freiheit, die die FDP damals meinte, war ein Reservat der Stolzen und Starken, einbildungskräftig bedroht durch Trägheit, Neid und falsches Mitgefühl – und die FDP selbst eine Art Auffanglager für Privilegierte, die meinten, sich vor aufwendig simulierten Nachstellungen des organisierten Gutmenschentums in Sicherheit bringen zu müssen. Am 22. September 2013 flog die FDP aus dem Bundestag. Halbiertes Personal in der Parteizentrale. Verachtung der Medien. Sturz in die Bedeutungslosigkeit. „Es war eine Zäsur“, sagt Parteichef Christian Lindner. „Eine Katastrophe“, sagt Geschäftsführer Marco Buschmann. „Unsere Stunde null“, sagt Vorstand Wolfgang Kubicki.

Ergebnisse der FDP bei Bundestagswahlen

Nun aber, nach zwei langen Jahren in der Diaspora, fühlt sich die FDP zurück im politischen Spiel, ein bisschen jedenfalls. Sie hat bei kleinen Landtagswahlen in Hamburg und Bremen Achtungserfolge erzielt, wird von Demoskopen auf rund fünf Prozent taxiert und zuweilen auch wieder von den Medien bedacht, mit einer Mischung aus Anteilnahme und Interesse. Sie hat juvenile Frische, mit Lindner, 36, Buschmann, 38, Katja Suding, 39 und Lencke Steiner, 30, an der Spitze, sie schlägt beim Wähler neuerdings in Neonfarben auf, pink, yellow and skyblue, und klopft Sprüche, wie sie sich Creative Directors in Berlin-Mitte beim Anblick des Sichtbetons in ihren Agentur-Lofts ausdenken: „Die Zukunft hat die Farbe, die du ihr gibst.“

Am besten, man stellt sich die alte FDP nach Lindners Relaunch wie eine Industriebrache vor, die eine (selbst)ironische Kulisse abgibt für das Start-up der „Freien Demokraten“: auferstanden aus Ruinen, mit Gründergeist, Kreativitätslust und Hemdsärmeligkeit. „Wir sind so frei wie nie zuvor“, sagt Lindner, dreitagebartlässig und nichtkrawattiert, immer auf Roadshow, um Investoren einzusammeln, die an sein neues Produkt glauben. Es ist eine gewagte Wette auf die Zukunft. Die ersten Testergebnisse sind vielversprechend. Aber werden die „Freien Demokraten“ 2017 schon marktreif sein?

Die Probe aufs Exempel macht die FDP im März 2016, bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Dreimal Landtag wäre das Versprechen auf einen Durchmarsch. Zweimal Landtag ein wackliger Meilenstein. Einmal Landtag die Rückkehr auf Los. Anders gesagt: Frank Sitta, 37, muss es richten. Der Eventmanager aus Sangerhausen ist seit Ende April Landesvorsitzender und seit Ende August Spitzenkandidat der Freien Demokraten in Sachsen-Anhalt, ein Politiker, wie er derzeit hoch im Kurs steht bei den Lindner-Liberalen – man kann auch sagen: die rustikale Antwort Ostdeutschlands auf Lencke Steiner, die parteipolitische Novizin, die die FDP im Mai in die Bremische Bürgerschaft führte.

Landtagswahlergebnisse der FDP seit 2013

Mag sein, dass Frank Sittas Kenntnis der landespolitischen Zusammenhänge seiner Aufbruchsbereitschaft noch ein wenig nachwachsen muss. Fürs Erste zählt, dass er den Schwenk weg von der Westerwelle-Rösler-FDP glaubhaft verkörpert. Und so mobilisiert Sitta – Stiefel, Jeans, kariertes Hemd – mehr als 200 Freunde, Bekannte und Interessierte für einen „Start-up-Dialog“ auf dem Gelände einer ehemaligen Salzfabrik in Halle: gestapelte Umzugskartons mit dem Parteislogan „German Mut“, wummernde Lounge-Musik, ein Hashtag-Screen fürs getwitterte Sofort-Feedback – und Christian Lindner als Special Guest: „So was hätten wir vor einem Jahr noch nicht auf die Beine gestellt bekommen.“

„So was“ stellt sich im Verlauf des Abends als ein Hybrid aus Keynote, Gesprächsrunde und Motivationstraining heraus – als Einübung in mentalen Positivismus: Es geht voran, weil es vorangeht. Die eingeladenen App-Unternehmer sind keck, formlos, nonchalant. Sie wissen zu berichten, dass Scheitern ein Ansporn ist. Einer hat sich seine Zweifel abtrainiert, ein anderer sein Ding durchgezogen. Für Lindner ist der Entrepreneur die „Hefe im Teig der Gesellschaft“. Und Sitta zitiert Abraham Lincoln: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“ So in etwa wird er also aussehen, der Wahlkampf der Freien Demokraten in Sachsen-Anhalt. Frank Sitta möchte die „Stimme der Optimisten“ sein, „Mutbürger statt Wutbürger“, jederzeit „to be for something“. Niemand muss sich mit irgendwas abfinden, sagt Sitta, auch Sachsen-Anhalt nicht. Das Land sei nicht Schlusslicht, weil es Schlusslicht sei, sondern weil es aufgehört habe, an sich zu glauben: „Was du dir nicht vorstellen kannst, das kannst du auch nicht erreichen.“

Fünf Prozent sind vorstellbar

Fünf Prozent zum Beispiel. Die Freien Demokraten können sich das wieder vorstellen. Die große Koalition beschließt erst sozialpolitischen Unsinn (Mütterrente und Rente mit 63), dann gar nichts mehr … Grüne und Linke opponieren so liebevoll wie einseitig … Die AfD zerlegt sich vorerst selbst … – ganz Deutschland wünscht sich die FDP zurück. Warum auch nicht? Die Lindner-Liberalen haben nach der Niederlage viel Spott ertragen und noch mehr Demut bewiesen. Nicht Merkel war gemein. Nicht der Wähler zu doof. „Wir ganz allein haben versagt“, so Lindner. Er hat der FDP viel schmerzhafte Selbstkritik abverlangt, sie nach dem Knockout noch mal angezählt – und erst dann langsam aufgerichtet.

In Berlin treffen sich die Lindner-Liberalen gern beim Italiener gleich gegenüber der Parteizentrale, das Restaurant heißt Cinque, ausgerechnet. Man isst zu Mittag mit bescheidenem Stolz und dosiertem Optimismus. Viel wurde erreicht. Das meiste ist noch nicht geschafft. Die Freien Demokraten haben 2014 ihre Mitglieder befragt und Regionalkonferenzen einberufen, sie haben sich ein poppiges Design verpasst, ein neues Leitbild erarbeitet: Wir wollen nicht mehr auf die Grünen schimpfen, sondern mit den Grünen um bessere Zukunftskonzepte wetteifern! Wir wollen keine dogmatische Partei für Besitzstandswahrer mehr sein, sondern eine Partei der pragmatischen Lösungen für alle Lebensselbstständigen! Wir müssen einen wachen Sinn entwickeln für die Machtkonzentration durch Konzerne und Banken und unser ordnungspolitisches Wettbewerbsprofil schärfen! Solche Sätze bekommt man neuerdings zu hören im Cinque.

Mitentwickelt wurden sie in Tübingen. Christopher Gohl arbeitet dort am „Weltethos“, einem Institut zur Erforschung und Förderung des moralischen Handelns in der globalen Wirtschaft. Er war Leiter der Programmabteilung in der FDP, hat an den Karlsruher Freiheitsthesen (2012) mitgestrickt und unter kognitiver Dissonanz gelitten, als die Mitregierungs-FDP den Liberalismus karikierte. Jetzt endlich sieht er seine Ideen parteipolitisch Gestalt annehmen: eine qualitative Freiheit, die die Lebenschancen aller im Blick hat; eine liberale Erzählung der Emanzipation und des Fortschritts, die mit guter Bildung beginnt und Empathie für den Menschen voraussetzt. Eine „architektonische Verschiebung im Quellcode der Partei“, habe es gegeben, frohlockt Gohl: „Reflektierter Liberalismus statt Reflexliberalismus.“ Seit dem 6. Januar 2015, seit der Dreikönigs-Rede, in der Christian Lindner das neue Leitbild vorstellte, sei er „zum ersten Mal seit Langem wieder Freier Demokrat zu 110 Prozent“.

Die FDP als wertorientierte Reformpartei – wie hat man sich das im politischen Alltag vorzustellen? „Wir sind nicht pro Business, sondern pro Markt“, sagt Lindner. „Freiheit fragt nicht nur nach der Freiheit der Unternehmer, sondern auch nach der Freiheit der Bürger und Konsumenten“, sagt Buschmann. „Chancen für jeden heißt Fortschritt für alle“, sagt Gohl. Daraus ergibt sich: Die neue FDP ist für ein Verbot staatlicher Bankenrettung. Sie kritisiert die Wirtschaftswelt für ihren allzu unkritischen Blick nach Russland oder China. Sie erklärt Bildung zu einer zentralen Aufgabe des Staates. Nicht schlecht für den Anfang.

Vor allem aber: Die FDP rüstet ideologisch ab. Karl-Heinz Paqué, Ökonomie-Professor und Vorstandsmitglied, will die parteinahe Friedrich-Naumann-Stiftung als Vize-Chef „weg von der Glaubenskongregation hin zum think tank“ entwickeln. Wir müssen die „radikale Mitte“ sein, sagt Paqué, eine „Partei in Bewegung“, die weltoffen ist und sich „nicht als Gralshüter alter Ideen“ versteht. Die Zeiten, in denen Friedrich August von Hayek zum Souffleur für Schmähreden gegen den Sozialstaat degradiert wurde und Ayn Rand zur Zitattankstelle für Vulgärliberale, sollen vorbei sein. „Wir bieten keine fix und fertigen Rezepturen an“, sagt Paqué, „wir kämpfen um vorläufig beste Lösungen.“

Und das müssen die Liberalen auch. Zieht die FDP in zwei Jahren erneut nicht in den Bundestag ein, gibt’s kein Geld mehr für die Naumann-Stiftung, und Klaus Füßmann kann seine Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach abwickeln. 150 Konferenzen, Tagungen, Seminare verantwortet er hier jährlich, in denen es um die Geschichte der politischen Freiheit und die Schulung „liberaler Kompetenzen“ geht; im Archiv des Liberalismus nebenan lagern 4,6 Kilometer Akten, darunter die Nachlässe von Thomas Dehler und Otto Graf Lambsdorff. Niemand weiß besser als Füßmann, dass es 2017 ums Ganze geht. Vor ein paar Monaten ist er noch skeptisch gewesen. Heute nicht mehr. Lindner habe mit „German Mut“ und „Freie Demokraten“ die richtige Tonalität gefunden, das Leitbild sei in brillanter Parteiprosa geschrieben – wer der Zukunft zugewandt sei, so Füßmann, finde bei den Lindner-Liberalen wieder eine politische Heimat.

Der Rest ist Strategie, Planung, Marketing, Die FDP verlangt ihren Mitgliedern einen Soli von 25 Euro jährlich ab, der fünf Millionen Euro in die Wahlkampfkassen spült. Die Kampagnen werden zentral gesteuert, in enger Abstimmung mit den Landesverbänden und einer Werbeagentur, die den „Wir-schaffen-das-Optimismus“ der Lindner-Liberalen in griffige Parolen übersetzt und regional variiert. Alles neu also, alles perfekt? „Mal sehen“, sagt ein Lindner-Liberaler: „Erst mal müssen wir noch die überzeugen, die sagen: Das ist nicht mehr meine FDP.“

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