Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde „Die SPD stand auf der Bremse“

Wichtige Entscheidungen zur Zukunft der Stasiunterlagen-Behörde hätten längst getroffen werden können. Doch die SPD stellte sich zum Ärger der Union quer. Nun hat sich die Koalition geeinigt und einen Zeitplan festgelegt.

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Was wird aus der Stasi-Unterlagenbehörde? Quelle: dpa

Berlin Im Streit zwischen Union und SPD um die Zukunft der Stasiunterlagen-Behörde haben die Koalitionsfraktionen eine Einigung über das weitere Verfahren erzielt. Der Chef der Behörde, Roland Jahn, bekommt demnach eine zweite Amtszeit. Am Mittwoch werde im Kabinett beschlossen, Jahn weitere fünf Jahre zu wählen, sagte der kulturpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Marco Wanderwitz, dem Handelsblatt.

Mit dem Beschluss werde Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) Jahn bis zu seiner endgültigen Wahl nach Vorliegen des Kommissionsvorschlags zur Zukunft der Behörde zunächst kommissarisch zum Chef der Behörde bestellen. „Fakt ist aber: Mit dem Kabinettsbeschluss bekennt sich die SPD nun klar zu Jahn. Er ist und bleibt der Bundesbeauftragte, auch wenn sich mit der Umstrukturierung der Behörde vielleicht sein Titel und seine Befugnisse ändern“, betonte Wanderwitz. „Noch bevor wir das Gesetz zur Zukunft der Behörde in der zweiten Jahreshälfte beschließen, wird Herr Jahn im Bundestag gewählt.“

Für das verzögerte Verfahren machte der CDU-Politiker die SPD verantwortlich. „Wenn es nach uns gegangen wäre, dann wäre Herr Jahn schon gewählt. Aber die SPD stand auf der Bremse.“ Jahn mache „ausgezeichnete Arbeit“, so Wanderwitz. Der Kulturausschuss-Vorsitzende Siegmund Ehrmann (SPD), erklärte: „Ich habe keine Zweifel, dass Roland Jahn auch die richtige Person ist, um die Neuausrichtung der voranzutreiben und darin auch künftig die zentrale Rolle zu spielen.“


Historiker findet SPD Vorgehen problematisch

Wie der CDU-Politiker Wanderwitz weiter erläuterte, wird die vom Bundestag eingesetzte Kommission im März beziehungsweise April ihre Empfehlungen zur Zukunft der Stasiunterlagen-Behörde dem Bundestag vorlegen. „Das werten wir sorgfältig aus und erarbeiten dann Eckpunkte für das Gesetzgebungsverfahren“, so Wanderwitz. „Natürlich werden wir alle Opferverbände zu den Kommissionsergebnissen anhören, bevor wir Eckpunkte festlegen.“ Das werde „eine Sache von Wochen und nicht von Monaten“ sein.

Mit dem jetzt festgelegten Verfahren hat sich die SPD durchgesetzt. Ehrmann hatte zuletzt schon deutlich gemacht, seine Fraktion wolle Jahn lediglich „kommissarisch“ weiter beschäftigen, bis die vom Bundestag eingesetzte Experten-Kommission ihr Vorschläge über die Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde vorgelegt und der Bundestag darüber befunden habe.

Scharfe Kritik an dem Koalitionsbeschluss äußerte der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe. „Ich finde das Vorgehen der SPD in dieser Frage sehr problematisch“, sagte Knabe dem Handelsblatt. „Es beschädigt das Amt und die Person des Amtsinhabers. Und es verunsichert die Opfer. Viele nehmen aufgrund der Presseberichterstattung an, Roland Jahn sei entlassen worden.“

Knabe stellte das jetzt festgelegte Verfahren generell infrage. „Die Entscheidung über den künftigen Umgang mit den Stasi-Akten sollte man nicht übers Knie brechen. Sie darf auch nicht hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden“, sagte er. „Es bedarf vielmehr einer öffentlichen und parlamentarischen Debatte, an der vor allem die Opfer beteiligt werden müssen.“

Roland Jahn war rund fünf Jahren als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen gewählt worden. Sein Vertrag läuft Mitte März aus. Er hat bereits erklärt, gerne weitermachen zu wollen. Allerdings verstrich am Mittwoch die letzte Möglichkeit, im Bundeskabinett für eine zweite Amtszeit von Jahn noch fristgerecht die Weichen zu stellen - denn der Bundestag hätte noch vor dem 14. März über die Personalie abstimmen müssen. Nun wird der von der SPD favorisierte Weg gewählt.


Opferverbände kritisieren Gezerre

Opferverbände sehen das Gezerre als kein gutes Signal. Sie haben die Befürchtung, dass mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereinigung nun die Stasi-Akten und die Aufarbeitung aus dem Blick geraten. Jahn hatte sich stets als „Anwalt der Opfer“ stark gemacht.

Die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft plädierte schon im Vorfeld für eine volle zweite Amtszeit von Jahn. Ansonsten werde die Aufklärung über die Verbrechen des Ministeriums für Staatssicherheit und der SED gebremst, hatte der Verein erklärt.

Der einstige Oppositionelle Jahn, der 1983 nach Stasi-Haft gegen seinen Willen aus der DDR abgeschoben wurde, wollte sich am Donnerstag nicht selbst äußern. „Die aktuelle Diskussion ist Angelegenheit der Politik. Wir haben einen gesetzlichen Auftrag zu erledigen und machen unsere Arbeit“, richtet seine Sprecherin Dagmar Hovestädt aus.

Jahn hat sich in der Vergangenheit auch Kritik eingehandelt. Ihm wurde vorgeworfen, die langen Wartezeiten bei der Akteneinsicht von Bürgern nicht in den Griff zu bekommen. Derzeit dauert das nach Auskunft von Jahn manchmal noch mehr als zwei Jahre.

Problematisch gerade für Stasi-Opfer ist, dass Ex-DDR-Geheimdienstler in der Behörde arbeiten. Seit Jahns Amtsantritt 2011 ist ihre Zahl zwar deutlich gesunken, doch rund ein Dutzend sind weiter beschäftigt. „Wir haben einen Weg gefunden, den Konflikt aufzulösen, auch wenn das seine Zeit braucht“, hatte der Bundesbeauftragte Kritikern entgegengehalten.


Knapper Zeitplan

Doch es gibt auch offene Strukturfragen: Seit Monaten tüftelt eine Expertenkommission an Vorschlägen zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde. Die SPD-Seite argumentiert, erst wenn die Empfehlungen für die Behörde mit derzeit etwa 1600 Mitarbeitern vorliegen, könne auch über die Personalie Jahn entschieden werden.

Im Gespräch ist, die original erhaltenen Stasi-Unterlagen an das Bundesarchiv anzugliedern, sie sollten aber für die Akteneinsicht der Bürger offen bleiben. Jahn befürwortet eine solche Lösung und betont, die Aufarbeitung dürfe nicht zu Ende sein. Auch die Zukunft der Forschungsabteilung und der Außenstellen der Behörde soll geklärt werden. Als Termin für Veränderungen wird immer wieder 2019 genannt - in dem Jahr wird der 30. Jahrestag des Mauerfalls begangen.

Doch die Zeit könnte knapp werden. Das Experten-Papier muss im Bundestag beraten und in ein Konzept gegossen, das Stasi-Unterlagen-Gesetz geändert werden. Der CDU-Politiker Wanderwitz will das noch in dieser Legislatur schaffen. Andernfalls wären die Pläne wohl Makulatur. 2017 wird ein neuer Bundestag gewählt.

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