Auch wenn die FDP in den vergangenen vier Jahren bei weitem nicht das kräftige Bollwerk gegen Staatseingriffe und Reglementierung war, das sie hätte sein wollen und sollen: Nun gibt es im deutschen Parlament keine politische Kraft mehr, die eine gesunde Skepsis gegen allzu viel gesetzliche und interventionistische Regelungen hegt.
Auch wenn die Union rein taktisch jetzt, mangels anderer Kräfte im Parlament, wieder mehr auf Marktwirtschaft setzen würde: Wie will sie hinter ihr sozialdemokratisch durchwirktes Wahlprogramm zurückweichen?
Könnte sie nun plötzlich entdecken, dass ein Mindestlohn doch riskant ist und leicht Arbeitsplätze gefährden könnte? Würde sie ihre Rentenversprechen fallen lassen, nur weil sie plötzlich erkennte, dass die Finanzmittel dafür nur in Jahren hoher Beschäftigung vorhanden sind? Will sie auf die Mietpreisbremse verzichten, die zwar für die Mieter nett klingt, aber den Neubau ebenso abwürgen würde wie die Sanierung von Wohnungen? Wohin es führt, wenn sich Investitionen in Beton nicht lohnen, war vor 25 Jahren in der DDR noch zu besichtigen.
Aber selbst Merkel, die immer noch den Großteil ihres Lebens im allzu real existierenden Sozialismus verbracht hat, scheint das vergessen zu haben.
Unwahrscheinlich bis ausgeschlossen, dass es bei der Union nach der Wahl doch zu einer Wende der ökonomischen Vernunft käme. Es kommt nun eine noch stärker sozialdemokratisierte Politik als in den vergangenen vier Jahren. Der Mutti-Staat, der sich um jeden kümmert und Eigenverantwortung zwar nicht verbietet, aber überflüssig macht, triumphiert.
Die CDU und ihr Wirtschaftsflügel, die früher einmal die Position der Marktwirtschaft vertreten haben, folgen den Vorgaben ihrer Vorsitzenden und Kanzlerin. Alle drei müssen nun anstelle der vergleichsweise pflegeleichten FDP mit den Sozialdemokraten oder den Grünen zurecht kommen. Beide potenziellen Partner können einen hohen Preis verlangen, denn beide haben zur Not die Möglichkeit, nach einem (gewollten oder ungewollten) Scheitern aller Verhandlungen mit der Union auf die Linkspartei zurück zu greifen.
Entweder jetzt, oder nach zwei Jahren. Wenn eine Sollbruchstelle gesucht wird, lässt sich auch eine finden. Spannend wird jetzt nur, ob die SPD ihre Beteuerungen im Bund und in Hessen einhält und nicht Rot-Rot-Grün setzt; ob und welche Lockerungsübungen SPD und Grüne gleichwohl schon jetzt in Richtung Linkspartei machen.
Keine absolute Mehrheit für Deutschland
Insofern hat sich Merkel bei allem Triumphgejubel ihrer Anhänger einen zweifelhaften Erfolg beschert. Sicher, wenn sie die absolute Mehrheit geschafft hätte – wovon in der CDU-Führung freilich niemand überhaupt geträumt hatte -, dann hätte sie nicht nur einen historischen Erfolg erzielt, sondern auch Handlungsfreiheit gewonnen. Denn bei aller Unzufriedenheit der Euro-Abweichler in den eigenen Reihen: Wer von ihnen hätte wegen der Währung die mit ein oder zwei Stimmen Vorsprung regierende Kanzlerin gestürzt? Gar um den Preis von Neuwahlen und den Verlust des eigenen Mandates?
So aber ist der Union ein Pyrrhussieg gelungen. Zumal der Erfolg, die Vorsitzende mag es erst einmal freuen, in der Tat allein dem Vertrauenskapital Merkels zu verdanken ist. Aber was bleibt eigentlich inhaltlich von der CDU übrig, wenn Merkel einmal weg ist? Das Alleinstellungsmerkmal der Christenunion ist in der Tat, dass sie Merkel in ihren Reihen hat.
Gezeigt hat diese Wahl auch, dass es durchaus auf die richtige Wahlkampfstrategie ankommt. Zu besichtigen ist das vor allem bei den kleinen Parteien. Die Grünen können zwar beklagen, dass die Pädophiliedebatte natürlich im Wahlkampf besonders ungelegen kam. Aber entscheidend waren andere Themen: Die ethische Säuberung der Speisekarten beispielsweise, durch die Essensdiktatur per Veggieday.
Eigentlich eine Belanglosigkeit, aber andererseits ein Sinnbild für das grüne Bevormundungspotential. Und erst recht die Steuerpläne, die gerade in manchem politisch gespaltenen Besserverdienerhaushalt Diskussionen ausgelöst haben dürften. Um es mit einem hübschen Klischee zu beschreiben: Vielleicht hat der bestverdienende Manager seiner Grün-wählenden Ehefrau vorgerechnet, dass es nach den Steuerplänen von Trittin und Co. knapp wird, ihren Porsche Cayenne zu betanken, um zum Bio-Supermarkt zu fahren und die Öko-Karotten für die Lieben daheim zu besorgen.
Zudem spielten die Ökopaxe den scheinbaren Vorteil ihres in einer Urabstimmung schlau herausgemendelten Spitzenduos nicht aus. Die als Köder für bürgerliche Wähler gedachte Katrin Göring-Eckart führte sich in Ton und Inhalt fast aggressiver und sozialistischer auf als der Vormann des linken Flügels, Jürgen Trittin.
Nicht minder bei der FDP. Sie hat sich – auch mangels Heldentaten in den vergangenen zwei Jahren - nicht als marktwirtschaftliches Korrektiv des Koalitionspartners präsentieren können, sondern allenfalls als mehrheitsbeschaffendes Anhängsel. Höhepunkt dieser Magerbilanz war die Angstschweiß verströmende Zweitstimmenkampagne ohne jeglichen Inhalt jenseits von Machterhalt und Merkelfron.
Das angesichts der ökonomisch fragwürdigen Eurorettungspolitik gerade viele Wähler der FDP den Rücken kehrten, ist dann schon weniger verwunderlich. Den Liberalen war es nicht gelungen, ihren inneren Widerspruch zu klären oder zu erklären: Bedingungslose Europapartei und Partei der ökonomischen Vernunft – das passt nun nicht mehr zusammen.
Trotzdem fehlt jetzt auch noch das leiseste Stimmchen, das sich gegen den bemutternden Mehltaustaat erheben könnte. Ein relatives Glück noch für die FDP, dass es auch die Alternative für Deutschland nicht in den Bundestag geschafft hat. Denn sie wäre dann das für alle bürgerlichen Wähler sichtbare Kontrastprogramm zur CDU gewesen. So müssen beide – FDP und AfD – in der außerparlamentarischen Opposition überwintern.
Merkel gibt sich siegestrunken. Aber sie sollte nicht
Zwar hat es die Alternative für Deutschland knapp verpasst, in den Bundestag einzuziehen. Trotzdem ist ein Ergebnis von 4,8 Prozent mit nur wenigen Monaten Vorlauf eine kleine Sensation. Das hat bisher noch keine Neugründung geschafft. Mag sie auch von vagabundierenden Protestwählern profitiert haben, die bei jeder Wahl dort ihr Kreuz machen, wo es die etablierten Parteien besonders schmerzt – mal bei den Piraten, mal bei der AfD. Aber die große Masse der Wähler kam von der FDP und der Union.
Der relative Erfolg der AfD ist auch die Quittung für eine schönfärberische Europapolitik aller anderen Parteien (bis auf die Linkspartei). Das gilt nicht nur für die Eurorettung. Seit mehr als zehn Jahren gibt es in Deutschland das ungute Gefühl, dass wir zahlen, während die anderen kassieren. Das mag oberflächlich sein, aber es ist der etablierten Politik nicht gelungen, den Nutzen des Binnenmarktes dem Normalbürger zu erklären und zu beweisen.
Verstärkt wurde dieses Gefühl durch die für jeden sichtbare Mogelei bei der Euroeinführung, bei den Rettungspaketen und bei den Erweiterungen der EU. Es wurde ja nicht einmal bestritten, dass beispielsweise Bulgarien und Rumänien die Beitrittsvoraussetzungen in punkto Rechtsstaat und Korruptionsbekämpfung nicht erfüllten. Trotzdem durften sie zum verabredeten Zeitpunkt beitreten. Stets hieß es, ein Zurückweisen würde die europäische Idee beschädigen. Das Gegenteil war richtig, und die Bürger haben es richtig gespürt.
Die Durststrecke des politischen Permafrostes dürfte für die Euroskeptiker denn auch kürzer sein als für die Liberalen. Denn schon im kommenden Sommer dürfte die große Stunde der Alternative gekommen sein. Bei den Europawahlen steht ihr Thema automatisch auf der Tagesordnung und lässt sich nicht mehr wegschweigen. Zudem hat bis dahin Griechenland voraussichtlich seinen nächsten Geldbedarf angemeldet, und wie es – bei Fortsetzung des aktuellen Trends – im Juni unserem französischen Nachbarn geht, darüber traut man sich gar nicht nachzudenken. Der Tisch für die AfD ist im Juni bereitet. Und mit der ansehnlichen Wahlkampfkostenerstattung aus der Bundestagswahl wird die AfD in der Lage sein, einen noch auffälligeren Wahlkampf als diesmal hinzulegen.
Noch gibt sich die Merkel-CDU siegestrunken. Aber sie sollte nicht
übersehen: Wenn sich die AfD stabilisiert, setzt auch auf dem bürgerlichen Flügel eine Zersplitterung ein, wie sie auf im linken Lager bereits seit zwei Jahrzehnten voranschreitet. An der SPD ist zu besichtigen, wohin das führt. Im europäischen Vergleich ist der Vormarsch einer euroskeptischen Partei zwar ein Schritt zur Normalität. Aber eine Zersplitterung der deutschen Parteienlandschaft auf sechs, sieben oder noch mehr Kräfte ist kein Beitrag zur politischen Stabilität.