Zuwanderung Warum die Asylverteilung in der EU nicht klappt

Flüchtlinge in Schweden Quelle: imago images

Die Attraktivität der deutschen Sozialleistungen verhindert eine gerechte Verteilung von Asylbewerbern in der EU, kritisiert der CDU-Abgeordnete Mark Hauptmann. Aktuelle Pläne in Brüssel könnten das Problem verschärfen.

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Die erste Version der „Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD“, die am Montag an die Öffentlichkeit gelangt ist, unterscheidet sich in einem brisanten Detail vom schließlich verabschiedeten Papier. Auf Seite 21 im Kapitel „Migration und Integration“ geht es um die Schaffung von „zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (ANkER), in denen BAMF, BA, Justiz, Ausländerbehörden und Andere Hand in Hand arbeiten“. Aber ursprünglich stand da auch: „in denen Residenzpflicht herrscht und das Sachleistungsprinzip gilt.“ Angeblich, so berichtete WELT-Redakteur Robin Alexander, habe SPD-Chef Martin Schulz buchstäblich in letzter Sekunde noch durchgesetzt, diese Worte, die auf Forderungen der CSU zurückgehen, zu streichen.

Ein Nebensatz, aber politisch keine Kleinigkeit. Denn es geht da um den Kern dessen, was die CSU mit ihren in Kloster Seeon gefassten Forderungen als spezifisch deutsche Schwäche der Asylpolitik erkannt hat - und ändern will. Es geht um die im europäischen Vergleich unverhältnismäßig große Attraktivität der deutschen Versorgungsleistungen für Asylbewerber und Flüchtlinge, die die SPD anscheinend unbedingt aufrechterhalten will.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Mark Hauptmann hält es für erwiesen, dass Deutschlands Sozialleistungen für Zuwanderer besonders attraktiv sind, und dass dies wiederum ein Hauptgrund für den unverhältnismäßig großen Andrang nach Deutschland statt in andere europäische Staaten ist. Er hat schon 2016 eine – damals von Politik und Medien weitestgehend ignorierte - Vergleichsstudie des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages über 19 EU-Mitgliedstaaten in Auftrag gegeben, durch die er seinen Verdacht bestätigt sieht: „Beim Vergleich der Sozialleistungen der jeweiligen Länder und der Zahl der von ihnen aufgenommenen Flüchtlinge wird der Zusammenhang deutlich.“

Die Vergleichsstudie belegt ein Gefälle der Geld- und Sachleistungen für Flüchtlinge innerhalb der EU – mit Deutschland im oberen Drittel des Leistungsniveaus. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr rund ein Drittel aller Asylanträge in der EU gestellt. „Natürlich sind es nicht nur die gut ausgebauten Sozialsysteme, die Asylbewerber in Länder wie Deutschland oder Schweden ziehen. Auch bereits hier lebende Familienmitglieder oder die Aussicht auf eine berufliche Zukunft sind wichtige Faktoren“, sagt Hauptmann. Dennoch sei es wohl sicher kein Zufall, dass in Kroatien, das Asylbewerbern monatlich eine Unterstützung von nur 13 Euro zahlt, in der Hochphase des Zustroms im Jahr 2015 nur 0,01 Prozent der Asylanträge in der EU gestellt wurden – und das obwohl damals fast alle Migranten Kroatien vor Deutschland erreicht haben. In Deutschland erhalten alleinstehende Asylbewerber "Taschengeld" (Leistungen zur Deckung des persönlichen Bedarfs an Bildung, Freizeit und Unterhaltung) von 135 Euro im Monat, bei Unterbringung außerhalb von Erstaufnahmeeinrichtungen werden bis zu 216 Euro ausgezahlt. In Irland zum Beispiel, wo das Preisniveau deutlich höher liegt als in Kroatien, aber auch höher als in Deutschland, erhalten Asylsuchende neben Sachleistungen nur ein wöchentliches Taschengeld von nicht einmal 19 Euro.

Nach den Dublin-Regeln dürfen sich Asylbewerber und Flüchtlinge eigentlich nicht aussuchen, in welchem Land ihr Gesuch bearbeitet wird. Faktisch werden diese Regeln aber spätestens seit September 2015 nicht mehr beachtet, als Deutschland sich auch für Flüchtlinge öffnete, die über andere Mitgliedstaaten eingereist sind.

„Die vorliegenden Zahlen lassen den Schluss zu, dass es gewisse Sog-Faktoren geben muss, die bestimmte Zielländer für Flüchtlinge attraktiver erscheinen lassen als andere“, sagt Hauptmann. Letztendlich habe eine Politik der offenen Grenzen in Verbindung mit erheblichen Unterschieden in den sozialen Leistungsstandards zu einer massiven Verschiebung der Migrationsströme geführt. Hauptmann gehört zu den wenigen Stimmen in der CDU, die diesen verdeckten Negativ-Wettbewerb in Europa, in dem Deutschland weitgehend unangefochten führt, durch eine europäische Harmonisierung ausschalten wollen. „Eine EU-weite Anpassung der Sozialleistungen wäre richtig im Sinne einer fairen Lastenverteilung und besseren Steuerung der Migrationsströme. Deutschland muss hierbei seine Leistungen deutlich senken.“ Es müsse um die Schaffung eines europaweit vergleichbaren Leistungskatalogs für Asylbewerber gehen, der Standards für Unterbringung, Arbeitsmarktzugang, Bildungsmaßnahmen, Gesundheitsversorgung und finanzielle Zuwendungen setzt.

EU-Regelung könnte Deutschland noch stärker belasten

In der EU ist davon allerdings wenig zu hören. Kein Wunder, denn solange Deutschland den größten Teil der Last so bereitwillig wie bisher schultert, ist kaum zu erwarten, dass die anderen potentiellen Zielländer hier initiativ werden, um Deutschlands Belastung zu mindern. Und dass eine künftige Große Koalition dieses Ziel der europäischen Asylharmonisierung in Brüssel mit Nachdruck vertritt, ist auch kaum zu erwarten, wenn die Unionsparteien ihre Forderungen auf diesem Feld gegenüber der SPD so wenig nachdrücklich vertreten wie in den Sondierungsverhandlungen. In dem Sondierungspapier ist nur allgemein von einer „solidarischen Verantwortungsteilung in der EU“ die Rede. Ohnehin ist in dessen langen Passagen zum Thema „Europa“ von deutschen Interessen nichts zu finden.

Ganz im Gegenteil könnte eine Empfehlung, die das Europäische Parlament mit den Stimmen der meisten deutschen Abgeordneten - auch der Union - an die Kommission kürzlich gegeben hat, die einseitige Belastung Deutschlands noch deutlich verstärken. Demnach soll einerseits in der „Asylqualifikationsrichtlinie“ der Begriff der Familie auch auf entferntere Verwandte von bereits in der EU lebenden Asylbewerbern angewandt werden. Neuankömmlinge sollen demnach dort ihre Anträge stellen, wo schon Angehörige leben. Das würde in einer Art positivem Rückkopplungseffekt diejenigen Länder zusätzlich belasten, die in den vergangenen Jahren besonders viele Zuwanderer aufgenommen haben – also vor allem Deutschland. Und diejenigen weiter entlasten, die sich schon bisher selbst besonders unattraktiv für Asylbewerber gemacht haben.

In der Einigung steckt viel Union, wenig SPD

Dass Zuwanderer dorthin drängen, wo Vorfahren, Verwandte, Bekannte, Landsleute bereits vor Ort sind, ist ein zwar in Forschung und Verwaltung bekanntes, aber bislang migrationspolitisch wenig beachtetes Phänomen. „Die Bundespolizei konnte 2015 feststellen, dass es extrem hohe Wanderungsbewegungen von Jesiden nach Celle gab“, sagt Hauptmann. „Man hat das dann untersucht und festgestellt, dass es schon vorher relativ viele Jesiden in Celle gab. Das zeigt: Zuwanderer suchen vertraute Strukturen als Ankerpunkte.“

Die vom Europäischen Parlament empfohlene Neuregelung wäre also das Eingeständnis des völligen Scheiterns bei dem Versuch, Armuts- und Fluchtmigration in der EU zu steuern und gerechter zwischen den europäischen Staaten aufzuteilen. Durch eine solche Regelung könnten außerdem die Bemühungen der Unionsparteien um die Begrenzung des Familiennachzugs und eine gerechtere europäische Lastenverteilung auf EU-Ebene ausgehebelt und konterkariert werden. Es bliebe Deutschland dann nur die Wahl zwischen der Akzeptanz weiterer, vermutlich noch sehr viel zahlreicherer Folgezuwanderung in die Sozialsysteme und der drastischen Minderung der Anziehungskraft im nationalen Alleingang.

Allerdings muss der Europäische Rat, also die nationalen Regierungen, der Reform der Dublin-Regeln noch zustimmen. Stimmen aus dem Unionsteil der noch amtierenden Bundesregierung – unter anderem Innenstaatssekretär Ole Schröder - haben hier schon Einspruch angemeldet. „Ich denke, dass die Gruppe der CDU- und CSU-Abgeordneten in der Fraktion der Europäischen Volkpartei dieses Thema noch einmal sehr gründlich überprüfen wird“, sagt Hauptmann.

 

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