Zweite Amtszeit für Gauck? „Mit 77 Jahren ist auch mal gut“

Soll Joachim Gauck Bundespräsident bleiben? Am Ende einer zweiten Amtszeit wäre er immerhin 82 Jahre alt. Bundeskanzlerin Merkel würde dennoch eine Wiederwahl befürworten. In der SPD regt sich Widerstand.

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Der Bundespräsident hat bisher klare Aussagen zu einer zweiten Amtszeit vermieden. Quelle: AP

Berlin Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, hat sich gegen eine zweite Amtszeit von Bundespräsident Joachim Gauck ausgesprochen. „Wenn man es etwas flapsig sagen darf: Er kann es und ist ein feiner Kerl. Am Tag seiner Wiederwahl wäre er aber 77 Jahre alt und mit 77 ist auch mal gut“, sagte Kahrs dem Handelsblatt.

Auf die Frage, wer alternativ für den Posten des höchsten Staatsoberhaupts in Frage käme, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete: „Das ist nicht meine Entscheidung, ich bin da offen.“ Gleichwohl betonte Kahrs auch, dass er Gauck sehr schätze. Er habe ihn auch mehrfach gewählt. „Er ist ein wirklich guter Bundespräsident. Er hat dem Amt seine Würde wiedergegeben.“

Zuvor hatte sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für eine weitere Amtszeit von Gauck stark gemacht. Der „Südwest Presse“ sagte sie: „Ich würde mich freuen, wenn sich der Bundespräsident für eine zweite Amtszeit entscheidet. Aber diese Entscheidung trifft allein er selbst.“

Vor Merkel hatten sich bereits die Parteispitzen von SPD und Grünen dafür ausgesprochen, ihn bei der Bundesversammlung am 12. Februar 2017 für weitere fünf Jahre als Staatsoberhaupt wiederzuwählen. CSU-Chef Horst Seehofer sagte kürzlich dem „Spiegel“: „Er hat mit seinen ausbalancierten, klugen Aussagen bewiesen, dass er der richtige Mann im Schloss Bellevue ist.“

FDP und Grüne hatten sich ebenfalls für Gauck ausgeprochen. Die Grünen-Fraktionschefin Katrin-Göring Eckardt sagte kürzlich der „Bild am Sonntag“: „Wenn er noch mal antritt, was ich mir wünsche, hat er die Unterstützung der Grünen. Aber das ist seine Entscheidung.“ Ähnlich äußerte sich der FDP-Vorsitzende Christian Lindner: „Ich schätze Gaucks Eintreten für die Freiheit. Er gibt in unruhigen Zeiten Orientierung. Es wäre gut für das Land, wenn er noch einmal antritt.“

Die Linkspartei blieb dagegen bei ihrer Ablehnung. „Wir haben ihn nicht gewählt und würden ihn im Falle des Wiederantritts auch nicht wählen“, hatte Parteichef Bernd Riexinger jüngst der Nachrichtenagentur Reuters gesagt.

Gauck hat sich bisher nicht öffentlich zu seinen Plänen geäußert. Er erwäge aber inzwischen eine zweite Amtszeit, nicht zuletzt wegen der Flüchtlingskrise, hatte die „Bild“-Zeitung zuletzt berichtet.


„Ich konnte das Wort Freiheit nicht mehr hören“

Die vielen parteiübergreifenden Vertrauensbeweise für Gauck haben zwei Gründe: Zum einen liegt dies an seiner Person selbst. Der ostdeutsche Pastor und frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde war nach dem Rücktritt von Christian Wulff Wunschkandidat der deutschen Medien - und er hat sich nach seiner Wahl sehr schnell Respekt erarbeitet. „Nach einer Weile konnte ich das Wort Freiheit zwar nicht mehr hören“, mäkelte ein CDU-Vorstandsmitglied zwar im vergangenen Jahr hinter vorgehaltener Hand unter Verweis auf das erste große Thema der Amtszeit Gaucks. Aber der Präsident habe sich mit mehreren anderen Vorstößen parteiübergreifende Anerkennung erworben, fügte er hinzu.

Für weltweite Aufmerksamkeit sorgte etwa sein Plädoyer für eine aktivere deutsche Außen- und Sicherheitspolitik auf der Münchner Sicherheitskonferenz Ende Januar 2014. Zwar lag das Thema ohnehin in der Luft, weil Deutschland seit der Schuldenkrise in die Rolle des dominierenden EU-Landes geschlüpft war. Aber dass gerade ein Ostdeutscher und ein früherer Pastor mehr Engagement und notfalls auch einen Einsatz der Bundeswehr forderte, trieb die Debatte voran - und wurde Symbol dafür, dass sich alte ideologische Fronten verschoben.

Auch in der Flüchtlingskrise mischte sich Gauck ein, ohne dabei klare parteipolitische Präferenzen deutlich zu machen. Nur seine Abgrenzung gegen „Dunkeldeutschland“, also die Rechtspopulisten, war deutlich. Ansonsten betonte er sowohl die humanitäre Verpflichtung zur Aufnahme von Schutzbedürftigen als auch die Grenzen der Aufnahmefähigkeit. Gauck warnte zudem früh davor, Probleme in der Flüchtlingskrise bewusst zu verschweigen. Das alles brachte ihm parteiübergreifenden Respekt ein, weshalb er nun als unumstritten gilt.

Immer wieder wurde öffentlich spekuliert, dass Gauck für eine zweite Amtszeit zu alt sein könnte, an deren Ende er immerhin 82 Jahre alt wäre. Journalisten hatten bei größeren Reisen von nötigen längeren Ruhepausen berichtet. Gegen den Einwand des hohen Alters spricht, dass ein Bundespräsident keine kraftraubenden Nacht- und Marathonsitzungen wie etwa die Bundeskanzlerin absolvieren muss, sondern seine Bedeutung im Staatsgefüge von der Wucht einiger weniger Reden lebt.


AfD bei der nächsten Bundespräsidentenwahl mit dabei

Wer den Präsidenten beobachtet, gewinnt den Eindruck, dass er sich selbst noch nicht entschieden hat. Gauck hat mehrfach auf die nötige Stabilität der Demokratie verwiesen, an der angesichts der Flüchtlingskrise derzeit einige zweifeln. Er sieht sich also in einer Wächterrolle - was je nach Entwicklung Auswirkung auf eine erneute Kandidatur haben könnte. Anders ausgedrückt: Beobachter vermuten, dass Gauck im Falle einer echten Regierungskrise eher weitermachen könnte, um Kontinuität zumindest an der Staatsspitze zu zeigen.

Das deckt sich mit den Interessen der etablierten Parteien: Denn mit dem Einzug der rechtspopulistischen AfD in viele Landesparlamente werden am 12. Februar 2017 auch Vertreter der umstrittenen Partei in der Bundesversammlung sitzen. Das schmälert die Lust von Union, SPD, Grünen und FDP spürbar, sich im Bundestagswahljahr in den traditionellen Grabenkrieg um Kandidaten für das höchste Amt im Staat zu begeben - und sich dann um komplizierte Mehrheitskonstellationen bemühen zu müssen.

Zudem wird mit Gauck die Kluft zwischen dem Zentrum und den Rändern des politischen Spektrums sehr deutlich: Die Mitte stützt ihn, Linkspartei und AfD lehnen ihn dagegen ab.

Die Bundesversammlung besteht derzeit aus 1262 Wahlleuten. Die Union käme auf 560 oder 561 Sitze, die SPD auf 397 bis 399. Die Grünen hätten 145 oder 146 Sitze, die Linken 96 und die Liberalen 27. Die Piraten kämen auf 15 Mandate und die AfD auf acht. Es hätten also sowohl ein schwarz-roter als auch ein schwarz-grüner Kandidat eine bequeme Mehrheit.

Die Sitzverteilung wird sich aber wegen der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern in diesem Jahr noch ändern. Dabei dürfte sich zum Beispiel der Anteil der AfD deutlich erhöhen.

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