Dort erstellt sie für Unternehmen die Jahresabschlüsse und betreut ihre Mandanten bei Betriebsprüfungen. Stoßzeiten und Überstunden sind zwar programmiert, doch Sehnsucht nach der geregelten Behördenarbeit kommt nicht auf: „Nee, nie“, sagt die Mutter von zwei Kindern. Die hohe Arbeitsintensität wird für sie durch „die selbstständige Tätigkeit und das Feedback nach guter Arbeit mehr als aufgewogen“.
Schlechte Bezahlung, wenig Personalentwicklung, piefige Behördenatmosphäre – die deutsche Finanzverwaltung scheint wettbewerbsfähig wie ein Solarmodul am Nordpol. Doch aufgeben ist keine Option.
Hamburgs Finanzsenator Tschentscher will die Attraktivität der Arbeit erhöhen, etwa durch mehr Stellen in höheren Besoldungsgruppen und schnellere Beförderungen für hoch qualifizierte Beamte. Das Geld wäre bestens investiert. Allein die Betriebsprüfer und Steuerfahnder in der Hansestadt sorgten 2016 für 850 Millionen Euro Mehreinnahmen.
Sinnvoll wäre auch der Aufbau einer schlagkräftigen Bundessteuerbehörde, die einen Teil der Aufgaben von den 641 über die Republik verstreuten Finanzämtern übernehmen und für Synergieeffekte sorgen könnte. Bisherige Vorstöße scheiterten allerdings am Egoismus der Länderfürsten – vor allem aus Bayern, die sich mit ihrer Bavaria-first-Doktrin gegen jeden Souveränitätsverlust in der Steuerverwaltung wehren.
Erledigt ist die Idee deshalb aber nicht. Zu ihren Befürwortern zählt die grüne Finanzpolitikerin Lisa Paus. Enthüllungen der vergangenen Jahre wie die sogenannten Paradise Papers hätten gezeigt, „dass es eine Steuerverwaltung auf Augenhöhe mit den internationalen Steuerberatungskanzleien braucht“. Mit der richtigen Bezahlung ließen sich erfahrene Beamte zudem besser halten, glaubt die Grünen-Politikerin.
Seltener Antiwechsler
Bis es so weit ist, kann der Fiskus nur auf das Prinzip Hoffnung setzen. Etwa darauf, dass nicht jeder gute Beamte auch ein guter Berater ist. Manche Seitenwechsler erlebten statt eines Karrierekicks einen Kulturschock, erzählt Matthias Krämer, Partner der Kanzlei GGV in Frankfurt. Es gebe Top-Leute in der Steuerfahndung, in der Betriebsprüfung oder in der Bearbeitung von Steuererklärungen, sagt er, „die einen Wechsel versucht haben, aber mit der proaktiven Gestaltungsarbeit im Beratungsgeschäft nicht zurechtgekommen sind“.
Für Michael Sell wiederum beinhaltete der Beratungsjob zu viel proaktive Gestaltungsarbeit. „Ich wollte nicht mehr ausländischen Unternehmen dabei helfen, in Deutschland Steuern zu sparen“, sagt der oberste Steuerbeamte in Deutschland, und: „Ich war der Ansicht, die sollten mehr zahlen.“ Sell ist ein seltenes Beispiel für einen Seitenwechsler, der den umgekehrten Weg gegangen ist. Nach dem Studium arbeitete er erst bei einer der großen Kanzleien, heuerte dann als Referent im Bundesfinanzministerium an und stieg unter dem Minister Wolfgang Schäuble (CDU) bis zum Leiter der Steuerabteilung auf.
Zwar verdient Sell im Vergleich zu sehr erfolgreichen Exkollegen eher mickrig. Doch bei seiner Besoldungsstufe B 9 (monatliches Grundgehalt: 11.241 Euro) ergibt sich auch für ihn ein auskömmliches Einkommen.