Zweite Karriere für Finanzbeamte Steuervermeidung statt Steuerfahndung

Finanzbeamte und ihre Karriere: Steuervermeidung statt -fahndung Quelle: Christian Protte für WirtschaftsWoche

Finanzbeamte zieht es zusehends in Kanzleien, die bessere Karrierechancen bieten – und bei denen sie ihr Insiderwissen zu Geld machen können. Hunderte Beamte wechseln jährlich die Seiten.

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Der teuerste Aussteiger aus der deutschen Finanzverwaltung lebt in einem Dorf in Graubünden. Mehr als zehn Jahre war er beim Finanzamt Frankfurt beschäftigt, prüfte Banken, arbeitete sich zum Regierungsdirektor empor. Doch Hanno Berger wollte mehr, viel mehr. Er verließ den Staatsdienst, heuerte bei einer Rechtsanwaltskanzlei an, nutzte seine tiefen Einblicke in tatsächliche und vermeintliche Steuerschlupflöcher – und strickte fortan gewagte Anlagemodelle für reiche Anleger. Der Rest ist Rechtsgeschichte.

In Berlin beschäftigte sich zuletzt ein Untersuchungsausschuss mit Hanno Berger und den sogenannten Cum-Ex-Tricks, bei denen sich Anleger eine einmal gezahlte Steuer mehrfach erstatten lassen. Der Schweizer Exilant gilt als Pate der Konstruktion, mit deren Hilfe der Staat um mehr als zehn Milliarden Euro geprellt worden sein soll.

Ein Finanzbeamter, der aus finanziellen Gründen die Seite wechselt und sein Insiderwissen in den Dienst der Steuervermeidung stellt – was nach einem spektakulären Einzelfall klingt, ist für den Fiskus längst zu einem Systemrisiko geworden. Zu Hunderten verlassen versierte Finanzbeamte Jahr für Jahr die Amtsstuben. Allein in Bayern ließen sich 2017 insgesamt 255 Beamte entlassen. In Hessen schieden 76 Beamte auf eigenen Wunsch aus, in Hamburg waren es 16.

Aufsehen erregen die Seitenwechsler nur selten, so wie Anfang des Jahres, als zwei leitende Steuerfahnder aus Wuppertal ihren Dienst quittierten. Sie arbeiten seit wenigen Wochen für die Unternehmensberatung Deloitte. Dass sie dort weit mehr verdienen, ist ein offenes Geheimnis. Ihre Kenntnisse sind für den neuen Arbeitgeber Gold wert. Problematisch ist, dass die einstigen Steuerfahnder nicht nur zu den Seitenwechslern gehören, die sich aus legitimen Gründen für Geld statt Pensionssicherheit entscheiden und für Karrierechancen statt Bürokratie-Hierarchie. Sie machen auch einen gänzlich anderen Job – und helfen lieber Millionären und Konzernen, Steuern zu vermeiden, als diese für den Staat einzutreiben.

Gefragtes Spezialwissen

Attraktive Alternativen gibt es für ambitionierte Finanzbeamte viele. Und niemand muss dafür seine Heimat verlassen. So wie Frank Johannesmeier. Er ist Jahrgang 1991, Finanzwirt und Steuerberater und hat beim Finanzamt Gütersloh Betriebe geprüft. Heute gestaltet er bei der Bielefelder Wirtschaftsprüfungsgesellschaft HLB Stückmann ganze Firmen um. Eine vielschichtige Arbeit, findet Johannesmeier: „Gestaltung hat nichts mit tricksen zu tun, aber natürlich viel mit Steuern sparen – mit dem Gestalten von Generationswechseln, Fusionen oder Risiken.“

Auf den behördlichen Brain Drain reagieren die Finanzminister inzwischen alarmiert. Allen voran Peter Tschentscher (SPD). Der Hamburger Finanzsenator, der Ende März zum Bürgermeister der Hansestadt gewählt werden soll, leitet derzeit die Runde der 16 Landesfinanzminister. Tschentscher weiß um den Wert seiner Leute. „Viele haben sich auf wichtige Branchen spezialisiert, zum Beispiel auf die Prüfung von Immobilienfonds, IT-Unternehmen oder Reedereien.“ Diese Kenntnisse seien natürlich auch woanders sehr gefragt.

Für Tschentscher verschärfen die Aussteiger das bestehende Personalproblem. Weil rund ein Drittel der Beamten in den nächsten Jahren altersbedingt ausscheidet und schon jetzt Tausende Stellen unbesetzt sind, ist jeder Verwaltungsflüchtling einer zu viel. Es droht ein Ausbluten der Finanzverwaltung, die so etwas wie die Herz-Kreislauf-Maschine des Staates ist: Ohne die mehr als 750 Milliarden Euro, die der Fiskus allein in diesem Jahr für Bund, Länder und Kommunen eintreiben wird, könnten weder Straßen gebaut noch Schulen betrieben werden.

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