Die Hoffnungen waren groß, als China im Dezember plötzlich eine Kehrtwende machte: Mit dem Ende des strikten Null-Covid-Regimes werde die Wirtschaft wieder kräftig wachsen – und damit auch die Geschäfte der deutschen Wirtschaft in der Volksrepublik wieder zum Boomen bringen. Doch sechs Monate später zeichnet sich das Gegenteil ab: Die Aussichten sind deutlich schlechter als erwartet.
So gehen die Gewinnerwartungen der deutschen Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr sogar noch einmal zurück, wie eine aktuelle Umfrage der Deutschen Handelskammer China zeigt, für die im Mai 288 Mitgliedsunternehmen befragt worden sind.
„Schleppende Entwicklung des Marktes“
So rechnet mehr als ein Drittel (35 Prozent) der deutschen Unternehmen in China damit, dass sich die Lage für ihre Industrie in diesem Jahr weiter verschlechtert. Auch die Gewinnerwartungen lassen nach: 32 Prozent der Unternehmen rechnen mit einem Rückgang von mehr als fünf Prozent. Bei der Umfrage im August 2022 waren es nur 22 Prozent.
„Die schleppende Entwicklung des Marktes sowie die anhaltenden geopolitischen Spannungen haben Hoffnungen auf eine schnelle Verbesserung des Geschäftsumfelds relativiert“, sagt Jens Hildebrandt, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Handelskammer.
Wie groß die Verunsicherung ist, spiegelt sich auch in der Investitionsbereitschaft wider: So wollen nur 55 Prozent der deutschen Unternehmen in den kommenden zwei Jahren mehr in China investieren, das sind zwar einige Unternehmen mehr als noch im Vorjahr (50,7 Prozent) – aber erheblich weniger im Vergleich zu den Jahren 2021 und 2020, wo jeweils rund 70 Prozent der Unternehmen höhere Investitionen geplant hatten.
Exporte brechen unerwartet stark ein
Und die Unternehmen, die investieren, sind in erster Linie offensichtlich nicht vom großen Vertrauen in den chinesischen Markt getrieben. So wird der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit als Hauptgrund (62 Prozent) für Investitionen genannt, nur 48 Prozent erwarten, vom Wachstumspotenzial zu profitieren.
Tatsächlich haben sich die konjunkturellen Aussichten in der Volksrepublik erheblich eingetrübt. Chinas Außenhandel ist seit Jahresanfang um 6,2 Prozent geschrumpft, die Exporte brachen im Mai unerwartet stark um 7,5 Prozent ein, was neue Sorgen über das Wachstum weckt. Die Spannungen zwischen Washington und Peking, Chinas Beziehung zu Russland sowie Chinas zunehmende Drohungen gegen Taiwan belasten auch die Wirtschaftsbeziehungen.
Worum geht es bei dem Streit um Taiwan?
Der kommunistische Machtanspruch geht auf die Gründungsgeschichte der Volksrepublik China zurück. Nach der Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten zog die nationalchinesische Kuomintang-Regierung mit ihren Truppen nach Taiwan, während Mao Tsetung 1949 in Peking die Volksrepublik ausrief. Der heutige Staats- und Parteichef Xi Jinping sieht eine „Vereinigung“ mit Taiwan als „historische Mission“.
Stand: September 2023
Die Insel zwischen Japan und den Philippinen hat große strategische Bedeutung. US-General Douglas MacArthur bezeichnete Taiwan einst als „unsinkbaren Flugzeugträger“ der USA. Eine Eroberung durch China wäre ein wichtiger Baustein in dessen Großmacht-Ambitionen, weil es das Tor zum Pazifik öffnen würde.
China zwingt jedes Land, das diplomatische Beziehungen mit Peking haben will, keine offiziellen Kontakte mit Taiwan zu unterhalten. Es ist vom „Ein-China-Grundsatz“ die Rede. Danach ist Peking die einzige legitime Vertretung Chinas. Auf chinesischen Druck wurde Taiwan aus den Vereinten Nationen und internationalen Organisationen ausgeschlossen. Nur wenige kleinere Länder unterhalten noch diplomatische Beziehungen. Deutschland oder die USA betreiben nur eine inoffizielle Vertretung in Taipeh.
Die Taiwaner verstehen sich mehrheitlich längst als unabhängig und wollen zumindest den Status quo wahren. Auch wollen sie als Demokratie international anerkannt werden und sich keinem diktatorischen System wie in Festlandchina unterwerfen. Die frühere Kuomintang-Regierung hatte einst selber einen Vertretungsanspruch für ganz China, was sich bis heute im offiziellen Namen „Republik China“ widerspiegelt. Dieser Anspruch wurde 1994 aufgegeben. Damals wandelte sich Taiwan von einer Diktatur zu einer lebendigen Demokratie. Jede Veränderung des Status quo müsste aus Sicht der Regierung heute demokratisch von den 23 Millionen Taiwanern entschieden werden.
Experten gehen davon aus, dass ein Krieg um Taiwan massive und größere Auswirkungen hätte als der Angriff Russlands auf die Ukraine - auch auf Deutschland. Taiwan ist Nummer 22 der großen Volkswirtschaften, industriell weit entwickelt und stark mit der Weltwirtschaft verflochten. Ein Großteil der ohnehin knappen Halbleiter stammen von dortigen Unternehmen. Wegen der großen Abhängigkeit vom chinesischen Markt wären deutsche Unternehmen massiv betroffen, wenn ähnlich wie gegen Russland wirtschaftliche Sanktionen gegen China verhängt werden sollten.
Stand: September 2023
Ist Sequoias Aufspaltung nur ein Vorbeben?
Dass Sequoia Capital, eine der weltweit bekanntesten Risikokapitalfirmen mit Hauptsitz im US-Bundestaats Kalifornien, jetzt sein Chinageschäft abspalten will, dürfte angesichts der aktuellen Entwicklungen deshalb auch von anderen Konzernen aufmerksam beobachtet werden.
Sequoia hat unter anderem in die chinesischen Tech-Giganten Bytedance (TikTok), Alibaba und den Roboterhersteller Agile Robots investiert, insgesamt zählen 1200 chinesische Firmen zum Portfolio. Washington hat jedoch angekündigt, die Investitionen amerikanischer Firmen in China kontrollieren und möglicherweise untersagen zu wollen – gerade auch im Techbereich.
Kritik an Habecks Screening-Plänen
Ein solches Outbound Investment Screening hatte auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich für das China-Geschäft der deutschen Wirtschaft gefordert – was die Verunsicherung der deutschen Unternehmen nur steigern dürfte.
„Ich würde mir vom Minister mehr Vertrauen in die Wirtschaft wünschen“, sagt Lutz Goebel, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrats und Geschäftsführer der Henkelhausen GmbH, im Interview mit der WirtschaftsWoche. Unternehmen könnten „ganz gut selbst abwägen“, „wie viel China Sinn macht und wo es zu risikoreich wird“.
Kaum Planung für den „schlimmsten Fall“
So ist die Debatte um Decoupling und De-Resking auch an der Umfrage abzulesen. Demnach setzen deutsche Firmen in China zunehmend auf Lokalisierung vor Ort (27,4 Prozent), dazu diversifizieren sie ihre Lieferketten (20,5 Prozent), um weniger abhängig von der Volksrepublik zu sein.
Knapp ein Fünftel der befragten Unternehmen (18,8 Prozent) hat geplante Investitionen ausgesetzt, aber nur ein geringer Teil (6,6 Prozent) hat sein Geschäft bisher komplett von China wegbewegt – und nur 16,3 Prozent haben bereits Planungen für den „schlimmsten Fall“ gemacht, um sich notfalls ganz aus China zurückziehen zu können.
Auftakt beim Bundespräsidenten
Diese geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen werden im Allgemeinen – und etwa mit Blick auf einen möglichen Huawei-Ausschluss im deutschen 5G-Netz im Speziellen – auch bei den siebten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen am 20. Juni in Berlin Thema sein, bereits am Vortag wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Chinas Ministerpräsident Li Qiang zum Gespräch im Schloss Bellevue empfangen.
„China ist und bleibt alles drei zugleich: Rivale, Wettbewerber und Partner – ja, auch systemischer Rivale“, hatte Steinmeier erst kürzlich im Interview mit der WirtschaftsWoche betont, aber zugleich erklärt: „Wer einem Ende der Beziehungen zu China das Wort redet, stößt bei mir auf einen entschiedenen Widerspruch. Auch weil es viel zu viele Herausforderungen gibt, die wir nur gemeinsam lösen können.“
Derweil provoziert China die Amerikaner mit Plänen, auf Kuba eine elektronische Abhörstation einzurichten. Damit könnte China die Kommunikation im Südosten der USA abfangen und den Schiffsverkehr überwachen, berichtete das „Wall Street Journal“ am Donnerstag unter Berufung auf US-Kreise. Kuba liegt grob 150 Kilometer vor der Küste Floridas, wo sich etwa das Hauptquartier des US-Zentralkommandos befindet. Im Gegenzug für die Möglichkeit zur Stationierung will China an Kuba „mehrere Milliarden Dollar“ zahlen.
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