Energieversorgung Hochwürden gibt Gas

Seitdem die großen Energieversorger die Märkte für neue Anbieter öffnen, steigen immer mehr unabhängige Energierebellen in die Energieversorgung ein. Im Jahr 2008 hat es einen wahren Gründerboom gegeben - die traditionellen Konzerne bekommen Konkurrenz von den Bürgern und der Kirche. Besonders beliebt ist eine lange Zeit belächelte Organisationsform.

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Die großen Energieversorger müssen den Selbstversorgern ihre Infrastruktur bereitstellen. So wird die Erzdiözese Freiburg künftig rund 20000 Gotteshäuser mit Gas versorgen - zum Leidwesen der EnBW. Quelle: dpa

DÜSSELDORF. Katholiken und Protestanten in Baden-Württemberg sind ab Neujahr doppelt vorbildliche Christen. Sie geben dann nicht mehr nur seelische, sondern auch körperliche Wärme. Denn die evangelischen Landeskirchen, die Erzdiözese Freiburg und die Diözese Rottenburg-Stuttgart steigen groß ins Energiegeschäft ein. Ab 1. Januar wird ihre "Gesellschaft zur Energieversorgung der kirchlichen und sozialen Einrichtungen mbH" (KSE) 20 000 Kirchengebäude mit Gas versorgen. Eine Kampfansage an die etablierten Energieversorger, deren Preisdiktat die geistlichen Gaslieferanten nicht mehr hinnehmen möchten.

Die Kirchen befinden sich in guter Gesellschaft. Seitdem Bundesnetzagentur und Gerichte die großen Energieversorger in die Zange nehmen und so die Energiemärkte für neue Anbieter öffnen, wenden sich immer mehr Bürgergruppen von den Energiekonzernen ab und steigen selbst in die Energieversorgung ein. Nie hat es so viele Gründungen unabhängiger Energieversorger gegeben wie 2008. Entweder bilden sich dort aus Bürgern oder Institutionen Einkaufsgemeinschaften, die direkt bei Produzenten oder Börsen ihren Bedarf decken, oder sie produzieren mit Hilfe der staatlichen Förderung erneuerbarer Energien selbst Strom und Gas. In Bremen wie in Delmenhorst, in Bürstadt wie in Oberhausen.

Besonders beliebt ist dabei eine lange Zeit belächelte Organisationsform - die Genossenschaft. Seit zwei Jahren sind nur noch drei Mitglieder erforderlich, um eine solche zu gründen. So einfach war das nie. Mit durchschlagenden Konsequenzen. Die Zahl der Energiegenossenschaften schnellte in diesem Jahr auf mehr als 100 - ein Rekordstand.

Nachdem die großen Energieversorger die aufmüpfigen Selbstversorger lange Zeit zu behindern versuchten, klären sich die Verhältnisse langsam. Die Bundesnetzagentur etwa zwang die Platzhirsche, die über den Großteil der entscheidenden Strom- und Gasleitungen verfügen, ihre Infrastruktur den Energierebellen vergleichsweise unbürokratisch bereitzustellen. Und die Bonner Behörde hält den Druck aufrecht: Die Betreiber der Ferngastransportnetze müssen jetzt ihre Kosten aufschlüsseln. Von Januar an sollen die Gesellschaften sich mit ihren Konditionen am effizientesten Konkurrenten messen. Das könnte die Durchleitungspreise drücken. Gute Aussichten für die kleinen Energierebellen.

Darauf baut auch Hochwürdens Heizoffensive im Südwesten. Mehr als 500 Mio. Kilowattstunden Gas wollen Baden-Württembergs Kirchen jährlich vertreiben. "Ich rechne damit, dass wir einen Preis von zehn Prozent unter dem bisherigen Lieferantenpreis erreichen", sagt Johannes Baumgartner von der federführenden Erzdiözese Freiburg. Bisher geben die beteiligten Kircheneinrichtungen 50 Mio. Euro pro Jahr für Gas aus. Künftig wollen sie direkt an den einschlägigen Börsen und Ausschreibungsverfahren der Branche teilnehmen. Für den ortsansässigen Großversorger EnBW ist das kein kleiner Verlust.

Kleine Anbieter könnten aber vor neuen Problemen stehen. Für die sorgt ausgerechnet die Politik, die sonst die Dezentralisierung der Energiewirtschaft predigt. Das Angstwort für die Unabhängigen lautet "Sozialtarif". Zwar ist die Idee im Zuge der Finanzkrise zuletzt etwas in den Hintergrund gerückt. Aus der Welt ist sie aber nicht - vor allem, wenn vor der Bundestagswahl 2009 die Energiepreise wieder ansteigen sollten. Wenn die Anbieter gezwungen werden sollten, für sozial Bedürftige vergünstigte Preise einzuführen, wird diese Kundschaft an die großen Energiekonzerne gebunden. "Kein kleiner Anbieter kann sich die Sozialtarife leisten", sagt Oliver Hummel, der als Geschäftsführer das kleine Düsseldorfer Energieunternehmen Naturstrom am Markt etabliert hat, und schimpft: "Die Diskussion über die Struktur des Energiemarkts in Deutschland verläuft wie für Deppen."

Die baden-württembergischen Geistlichen lassen sich von den Scharmützeln nicht beeindrucken. Sie planen weiter - und wollen ab 2011 auch den Strommarkt aufmischen.

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