Europa Angela Merkels schwieriges Verhältnis zu Nicolas Sarkozy

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EZB-Präsident Trichet (links) Quelle: AP

Der entscheidende Unterschied: Deutsche in internationalen Organisationen wollen gern die Musterknaben sein, schon um sich nicht den Vorwurf des Nationalismus einzufangen; Franzosen auf solchen Posten verstehen sich in erster Linie als Vertreter ihrer Nation. Und so agieren sie.

Zwar gab es keine Absprache zwischen Sarkozy, Strauss-Kahn, Lamy und Trichet. Es bedarf aber auch gar keines ausgeklügelten Komplotts, damit alle Franzosen an einem Strang ziehen. Das funktioniert normalerweise automatisch, weil alle die nationalen Interessen im Zweifel über das Wohl oder die Haltung ihrer jeweiligen internationalen Dienstherren stellen. Die gemeinsame Erziehung an den Elite-Universitäten bürgt für Corpsgeist. Diesmal lief sogar der Wettbewerb, wer am meisten für die Heimat herausholt.

Staatspräsident Sarkozy wollte auf jeden Fall sich selbst als Retter präsentieren und bekämpfte deshalb vehement den Wunsch der deutschen Kanzlerin, Sünderländer nur unter Aufsicht des eigentlich strengen Internationalen Währungsfonds zu helfen. Denn beim IWF führt Dominique Strauss-Kahn Regie. Der frühere französische Wirtschafts- und Finanzminister gilt als möglicher Präsidentschaftskandidat, mit dem die Sozialisten am ehesten Chancen hätten, Sarkozy im Jahr 2012 aus dem Elysée-Palast zu vertreiben.

Obama und Sarkozy machten Druck auf Merkel

Zusammen mit EZB-Gouverneur Jean-Claude Trichet, der bisher als untadeliger Verteidiger einer unabhängigen Zentralbank galt, bearbeitete Strauss-Kahn schon vor Wochen Merkel und die gesamte Bundesregierung in Berlin. Schon als Wirtschafts- und Finanzminister der damaligen Linksregierung hatte er zwischen 1997 und 1999 stets eine stark nachfrageorientierte Politik betrieben und sich für einen „policy mix“ nach Art der amerikanischen Federal Reserve ausgesprochen, bei der die Geldpolitik letztlich Erfüllungsgehilfe der Politik ist. Intellektuelle Schützenhilfe bezieht er vom ebenfalls französischen Chefvolkswirt des IWF. Olivier Blanchard hatte vor einiger Zeit mit einem Arbeitspapier für Aufsehen gesorgt, in dem er die Anhebung der Zielinflationsrate von zwei auf vier Prozent forderte, damit die hoch verschuldeten Staaten mithilfe der Geldentwertung ihre Kredite leichter zurückzahlen könnten.

Ohne Zustimmung der Amerikaner läuft beim IWF nichts. In der aktuellen Krise decken sich die Interessen der Regierungen in Washington und Paris: US-Präsident Barack Obama machte zusammen mit Sarkozy Druck auf Merkel, den französischen Plänen zuzustimmen. Am Telefon lobte Obama zwar die Sparauflagen für die Südländer, forderte aber auch von den Deutschen, mehr Geld auszugeben. Die USA haben wegen des Außenhandels kein Interesse daran, dass der Euro zusammenbricht und der Dollar steil nach oben schießt.

Die Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft hatte bereits im März Strauss-Kahn und Finanzministerin Christine Lagarde auf die Barrikaden gebracht. Die Ministerin warf Berlin „Egoismus und Mangel an Solidarität“ vor. Frankreich, das wirtschaftlich unter einem Deutschland-Komplex leidet, wies 2009 ein Handelsdefizit von 54,5 Milliarden Euro aus, Deutschland einen Überschuss von 135,8 Milliarden Euro. Die Bundesrepublik solle gefälligst durch Lohnerhöhungen und Steuersenkungen den Konsum ankurbeln, so das ungleiche Duo aus Paris und Washington.

Merkel äfft gern „Sarko“ nach

Das Problem der Europapolitik: Die deutsch-französische Achse eiert, die Widerlager sind ausgeschlagen. Zwar geht auch heute nichts in Brüssel ohne Paris und Berlin. Aber Misstrauen und Unverständnis haben die einst „gewollte Interessengemeinschaft“, so ein früherer Merkel-Mitarbeiter, verdrängt. Heute wittern die Deutschen hinter jedem Vorstoß in Politik oder Wirtschaft ein abgekartetes Spiel, das aus dem Elysée-Palast gesteuert wird. Und die Franzosen vermuten, die stets so gut organisierten Deutschen müssten doch eine geheime Blaupause haben. Nennen sie in EU-Verhandlungen ihre Ziele und Interessen nicht offen (weil sie sie manchmal noch gar nicht definiert haben), vermuten die Nachbarn jenseits des Rheins dahinter eine besonders perfide Finte. Der Verlust des gegenseitigen Verstehens, analysiert ein Praktiker der Kooperation, führe „zu einer gewissen Dämonisierung“.

In den vergangenen fünf Jahrzehnten war das anders. Wegen der gegenseitigen Abhängigkeit war ein Vertrauensverhältnis zwischen den jeweiligen Regierungschefs gewachsen. Auch zwischen Adenauer und de Gaulle, Schmidt und Giscard, Kohl und Mitterrand, Schröder und Chirac gab es immer mal Krach. Aber es gab ein gegenseitiges Verständnis, gemeinsame historische Erfahrungen. Kohl und Mitterrand beispielsweise teilten die prägenden Erlebnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit. Zwischen Kanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy gibt es keine Gemeinsamkeiten, außer der Freude am Regieren.

Von Sarkozy weiß man, dass er weder mit den noch mit der Deutschen etwas anfangen kann. Merkel kann umgekehrt Parteifreunde zum Lachen bringen, wenn sie zu vorgerückter Stunde die eitlen Auftritte des kleinen Franzosen mit beachtlichem schauspielerischem Talent nachäfft.

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