Europa Angela Merkels schwieriges Verhältnis zu Nicolas Sarkozy

Der französische Durchmarsch beim Kampf um die Euro-Rettung hat Deutschland aufgeschreckt. Das Verhältnis der Nachbarn – und der Matadore Merkel und Sarkozy – ist so schlecht wie noch nie.

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Staatspräsident Sarkozy, Quelle: AP

Selbst in diesen hektischen Tagen hat Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy noch Muße. Er las den erotischen Roman „Gefährliche Liebschaften“ von Choderlos de Laclos und lernte daraus, dass Wachsamkeit gegenüber Frauen nie verkehrt ist. Beim Kampf gegen Angela Merkel um das Euro-Rettungspaket und die politische Vorherrschaft auf dem Kontinent konnte er die Früchte seiner Lektüre nutzen. Inzwischen gilt der kleine Mann aus dem Elysée-Palast als großer Gewinner der Währungskrise.

Die Verlierer sitzen in Deutschland. In Berlin beherrschen zwei Themen die politische Debatte: Was wird aus unserem Geld? Und: „Die Franzosen haben uns über den Tisch gezogen“, wie es sogar in der Koalitionsführung heißt. Eine „French Connection“, eine Pariser Seilschaft in europäischen und internationalen Spitzenpositionen, habe raffiniert und rücksichtslos die nationalen Interessen des Nachbarlandes durchgedrückt: EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, IWF-Generaldirektor Dominique Strauss-Kahn und französische Spitzenbeamte in EU-Kommission und -Rat hätten „für die französischen Banken“ gearbeitet.

Seit zwei Wochen registrieren Firmenrepräsentanten aus dem Nachbarland frankophobe Töne an der Spree. Veritable Minister beklagen sich, der Kollege an der Seine „macht, was er will“, statt sich mit dem deutschen Partner abzustimmen. Im „Collegium“, einem Diskussionskreis Berliner Lobbyisten, reagierte der als Gast geladene Wirtschaftsstaatssekretär Hans-Joachim Otto unwirsch auf mögliche Kaufanreize für Elektroautos: „Das Geld fließt doch sowieso nach Frankreich“, maulte der FDP-Mann. Die würden dann ihre Wagen in den deutschen Markt drücken.

Das deutsch-französische Verhältnis ist lausig

Bis tief in den Regierungsapparat habe die Zahl der Skeptiker zugenommen, schildern die Abgesandten Frankreichs. Im Auswärtigen Amt, im Wirtschaftsministerium, im Finanzressort, im Kanzleramt – überall träfen sie auf Abwehr und Ärger. „In dieser Regierung kann man ungestraft antifranzösisch reden“, sagt ein erfahrener Unions-Mann. „Das gab es bei Kohl nicht.“ Und Spitzenbeamte, die schon andere Kanzler haben kommen und gehen sehen, resümieren: „Das deutsch-französische Verhältnis ist lausig. So schlecht war es nicht mal zu Schröders Anfangszeit.“

Auslöser für den akuten Ausbruch der schon länger wachsenden Entfremdung war der Rettungs-Coup für den Euro, der „zu 95 Prozent“ den Vorgaben aus Paris entspreche, wie Staatspräsident Sarkozy stolz prahlte. Nicht ökonomisch, aber politisch habe Frankreich die Vormachtstellung in Europa übernommen, bestätigen Brüsseler Spitzenbeamte.

Sarkozy war generalstabsmäßig vorbereitet in die Verhandlungen gegangen. Fast drei Stunden vor dem offiziellen Gipfelbeginn um 18 Uhr traf er bereits in Brüssel ein und bearbeitete zunächst den EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy. Mit dem Belgier hatte er vor eineinhalb Jahren die Übernahme der belgischen Fortis-Bank durch die französische BNP Paribas sowie ein staatliches Rettungspaket für die franko-belgische Dexia-Bank verhandelt. Dann kamen EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der Vorsitzende der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker dran. Die Ministerpräsidenten José Socrates (Portugal), José Luis Zapatero (Spanien) und Silvio Berlusconi (Italien) mussten nicht erst überzeugt werden. Selbst Kommissionspräsident Barroso, in Sorge um sein Heimatland Portugal, schloss sich der Linie an.

Banken vor dem Kollaps

Für Frankreich stand viel auf dem Spiel: Seinem Finanzsystem drohte eine gigantische Katastrophe. Nach Angaben der Wirtschaftszeitschrift „Challenges“, die sich auf die Bank für internationalen Zahlungsausgleich beruft, stehen die sogenannten PIIGS-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) mit etwa 700 Milliarden Euro bei den Banken des Landes in der Kreide. 58 Milliarden Euro stehen im akut gefährdeten Griechenland im Feuer.

Sarkozy hatte also ein immenses Interesse, das 750-Milliarden-Euro-Rettungspaket zu schnüren. Denn gerade die Traditionsbanken BNP Paribas mit ihrer italienischen Tochter BancaNazionale del Lavoro (BNL), der Crédit Agricole und die Société Générale sind kräftig dabei.

Beim Kampf um die Milliarden nutzte Frankreich das weitverzweigte Netzwerk von Landsleuten an vielen Schaltstellen internationaler Organisationen. Im Ernstfall kann Frankreichs Präsident auf die Unterstützung des einflussreichen französischen EU-Binnenmarkt-Kommissars Michel Barnier ebenso zählen wie auf Pascal Lamy, den Chef der Welthandelsorganisation WTO sowie eine Vielzahl zentral platzierter französischer Spitzenbeamter in der EU.

EZB-Präsident Trichet (links) Quelle: AP

Der entscheidende Unterschied: Deutsche in internationalen Organisationen wollen gern die Musterknaben sein, schon um sich nicht den Vorwurf des Nationalismus einzufangen; Franzosen auf solchen Posten verstehen sich in erster Linie als Vertreter ihrer Nation. Und so agieren sie.

Zwar gab es keine Absprache zwischen Sarkozy, Strauss-Kahn, Lamy und Trichet. Es bedarf aber auch gar keines ausgeklügelten Komplotts, damit alle Franzosen an einem Strang ziehen. Das funktioniert normalerweise automatisch, weil alle die nationalen Interessen im Zweifel über das Wohl oder die Haltung ihrer jeweiligen internationalen Dienstherren stellen. Die gemeinsame Erziehung an den Elite-Universitäten bürgt für Corpsgeist. Diesmal lief sogar der Wettbewerb, wer am meisten für die Heimat herausholt.

Staatspräsident Sarkozy wollte auf jeden Fall sich selbst als Retter präsentieren und bekämpfte deshalb vehement den Wunsch der deutschen Kanzlerin, Sünderländer nur unter Aufsicht des eigentlich strengen Internationalen Währungsfonds zu helfen. Denn beim IWF führt Dominique Strauss-Kahn Regie. Der frühere französische Wirtschafts- und Finanzminister gilt als möglicher Präsidentschaftskandidat, mit dem die Sozialisten am ehesten Chancen hätten, Sarkozy im Jahr 2012 aus dem Elysée-Palast zu vertreiben.

Obama und Sarkozy machten Druck auf Merkel

Zusammen mit EZB-Gouverneur Jean-Claude Trichet, der bisher als untadeliger Verteidiger einer unabhängigen Zentralbank galt, bearbeitete Strauss-Kahn schon vor Wochen Merkel und die gesamte Bundesregierung in Berlin. Schon als Wirtschafts- und Finanzminister der damaligen Linksregierung hatte er zwischen 1997 und 1999 stets eine stark nachfrageorientierte Politik betrieben und sich für einen „policy mix“ nach Art der amerikanischen Federal Reserve ausgesprochen, bei der die Geldpolitik letztlich Erfüllungsgehilfe der Politik ist. Intellektuelle Schützenhilfe bezieht er vom ebenfalls französischen Chefvolkswirt des IWF. Olivier Blanchard hatte vor einiger Zeit mit einem Arbeitspapier für Aufsehen gesorgt, in dem er die Anhebung der Zielinflationsrate von zwei auf vier Prozent forderte, damit die hoch verschuldeten Staaten mithilfe der Geldentwertung ihre Kredite leichter zurückzahlen könnten.

Ohne Zustimmung der Amerikaner läuft beim IWF nichts. In der aktuellen Krise decken sich die Interessen der Regierungen in Washington und Paris: US-Präsident Barack Obama machte zusammen mit Sarkozy Druck auf Merkel, den französischen Plänen zuzustimmen. Am Telefon lobte Obama zwar die Sparauflagen für die Südländer, forderte aber auch von den Deutschen, mehr Geld auszugeben. Die USA haben wegen des Außenhandels kein Interesse daran, dass der Euro zusammenbricht und der Dollar steil nach oben schießt.

Die Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft hatte bereits im März Strauss-Kahn und Finanzministerin Christine Lagarde auf die Barrikaden gebracht. Die Ministerin warf Berlin „Egoismus und Mangel an Solidarität“ vor. Frankreich, das wirtschaftlich unter einem Deutschland-Komplex leidet, wies 2009 ein Handelsdefizit von 54,5 Milliarden Euro aus, Deutschland einen Überschuss von 135,8 Milliarden Euro. Die Bundesrepublik solle gefälligst durch Lohnerhöhungen und Steuersenkungen den Konsum ankurbeln, so das ungleiche Duo aus Paris und Washington.

Merkel äfft gern „Sarko“ nach

Das Problem der Europapolitik: Die deutsch-französische Achse eiert, die Widerlager sind ausgeschlagen. Zwar geht auch heute nichts in Brüssel ohne Paris und Berlin. Aber Misstrauen und Unverständnis haben die einst „gewollte Interessengemeinschaft“, so ein früherer Merkel-Mitarbeiter, verdrängt. Heute wittern die Deutschen hinter jedem Vorstoß in Politik oder Wirtschaft ein abgekartetes Spiel, das aus dem Elysée-Palast gesteuert wird. Und die Franzosen vermuten, die stets so gut organisierten Deutschen müssten doch eine geheime Blaupause haben. Nennen sie in EU-Verhandlungen ihre Ziele und Interessen nicht offen (weil sie sie manchmal noch gar nicht definiert haben), vermuten die Nachbarn jenseits des Rheins dahinter eine besonders perfide Finte. Der Verlust des gegenseitigen Verstehens, analysiert ein Praktiker der Kooperation, führe „zu einer gewissen Dämonisierung“.

In den vergangenen fünf Jahrzehnten war das anders. Wegen der gegenseitigen Abhängigkeit war ein Vertrauensverhältnis zwischen den jeweiligen Regierungschefs gewachsen. Auch zwischen Adenauer und de Gaulle, Schmidt und Giscard, Kohl und Mitterrand, Schröder und Chirac gab es immer mal Krach. Aber es gab ein gegenseitiges Verständnis, gemeinsame historische Erfahrungen. Kohl und Mitterrand beispielsweise teilten die prägenden Erlebnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit. Zwischen Kanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy gibt es keine Gemeinsamkeiten, außer der Freude am Regieren.

Von Sarkozy weiß man, dass er weder mit den noch mit der Deutschen etwas anfangen kann. Merkel kann umgekehrt Parteifreunde zum Lachen bringen, wenn sie zu vorgerückter Stunde die eitlen Auftritte des kleinen Franzosen mit beachtlichem schauspielerischem Talent nachäfft.

Staatspräsident Mitterand (links), Bundeskanzler Kohl 1984 in Verdun Quelle: DPA

Vor einiger Zeit ließ sich im Pariser Hotel Bristol ein bizarres Mittagessen beobachten. Sarkozy, der seine Sonnenbrille nicht abnahm, und die Kanzlerin stocherten lustlos auf ihren Tellern, die französischen Mitarbeiter redeten ebenso untereinander wie die deutschen – aber nicht miteinander. „Jetzt sitzen sich zwei gegenüber, die zumindest keine ‚complicité‘ haben“, erzählt ein langjähriger Gestalter der deutsch-französischen Beziehungen. Auf Deutsch: Es gibt kein enges Vertrauensverhältnis, die beiden stecken nicht unter einer Decke.

Auch in der reinen Sachpolitik knirscht es.

Beim Streit um den europäischen Wettersatelliten prallen Philosophie und Pragmatismus aufeinander. Raumfahrt ist für Frankreich von strategischer Bedeutung und Symbol des nationalen Prestiges. Für Deutschland ist es eine teure und im Nutzen umstrittene Technik.Vom International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) sind die Franzosen schwer begeistert, schon weil die Forschungsanlage für die Kernfusion im heimischen Cadarache entsteht. Die Deutschen dagegen möchten gern vertragliche Notausstiege verhandeln, weil das Projekt immer teurer wird.Das deutsch-französische Gemeinschaftsunternehmen EADS illustriert die verschobene gegenseitige Wahrnehmung aufs Schönste: In Deutschland gilt es als vom französischen Staat dominierter Laden, weil Louis Gallois als alleiniger Vorstandsvorsitzender installiert wurde. In der Pariser Firmenzentrale maulen sie dagegen über die teutonische Vorherrschaft, weil drei der vier Bereichsvorstände Deutsche sind.

Germanische Hybris

Hinzu kommt, dass die fürs diplomatische Feingefühl zuständigen Außenministerien in den deutsch-französischen Beziehungen kaum noch eine Rolle spielen – weder der Quai d’Orsay noch das Auswärtige Amt. Die wichtigen Themen spielen im Kanzleramt und im Elysée-Palast, die Alltagspolitik dank der regelmäßigen Regierungskonsultationen in den Fachressorts.

Etwas „germanische Hybris“ spiele da freilich auch mit, sagt ein hochrangiger EU-Beamter. „Wir haben immer noch eine unglaubliche Arroganz in Europa“, schilt ein Berliner Staatssekretär die eigene Regierung.

Führend dabei ist ausgerechnet Merkels Mann für Europa, ihr Abteilungsleiter Uwe Corsepius. Der schlaksige Endvierziger behandelt andere nicht nur wegen seiner Körpergröße von oben herab. Mal faltet er den deutschen EU-Botschafter Edmund Duckwitz zusammen, mal drangsaliert er Staatssekretäre. Der promovierte Ökonom gilt als Euro-Skeptiker und Antifranzose. „Das ist ein reiner Technokrat“, wertet ein früherer Vorgesetzter, „bei Frankreich braucht man Emotionen.“

Schwacher Moment

Besser wird das deutsche Ansehen in den nächsten Jahren nicht werden – Corsepius wechselt Mitte 2011 als Generalsekretär des Europäischen Rates nach Brüssel. Sogar im Kreise der Staats- und Regierungschefs wurde schon über den Deutschen getuschelt – normalerweise nehmen die Chefs die Mitarbeiter anderer Länder nicht wahr. Französische Unterhändler klagen, ihr Präsident Sarkozy habe „in einem schwachen Moment“ dem Wunsch der Kanzlerin zugestimmt. Aber das war, bevor Sarko die „Gefährlichen Liebschaften“ durchgelesen hatte.

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