Nach der "Brexit"-Entscheidung bereiten die Europäische Union und Großbritannien ihre Trennung vor. In den Mittelpunkt der Diskussionen rückt zunehmend der Zeitrahmen für eine Trennung und die Ausgestaltung des künftigen Verhältnisses beider Seiten sowie die Zukunft der EU.
Schulz schließt Neuwahlen nicht aus
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hält Neuwahlen in Großbritannien für nicht ausgeschlossen. „Ich weiß nicht, inwieweit dieses House of Commons noch eine ausreichende Basis für eine stabile Regierungsbildung hat“, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag bei einer Politikkonferenz der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf. Die Tories regierten das Land nicht, sondern seien sehr mit sich selbst beschäftigt. Zudem befinde sich die Labour-Partei in einem dramatischen Zustand. „Ich glaube nicht, dass man (...) Neuwahlen ausschließen kann“, kommentierte Schulz.
Österreichs Wirtschaft spürt Folgen des Brexit nicht
Das Brexit-Votum wird für die österreichische Wirtschaft nach Ansicht der Notenbank keine gravierenden Auswirkungen haben. Zentralbankchef Ewald Nowotny schätzt den Wachstumsverlust für den Zeitraum bis 2018 auf 0,3 Prozent bis 0,5 Prozent. Österreich zähle damit innerhalb der EU zu den am wenigsten vom Brexit betroffenen Staaten, sagte Finanzminister Hans Jörg Schelling in Wien.
Putin erwartet "traumatischen Effekt"
Der russische Präsident Wladimir Putin erwartet einen lang anhaltenden „traumatischen Effekt“ durch das Votum der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union. Er äußerte sich nicht direkt dazu, ob er sich eine Verwirklichung des Plans zum Brexit wünscht, sagte aber: „Wir werden sehen, wie sie dort tatsächlich demokratische Prinzipien umsetzen.“ Beobachter vermuten, dass ein Brexit im russischen Interesse wäre. Zum einen gilt Großbritannien als scharfer Kritiker der russischen Regierung. Zum anderen schwächt ein Ausscheiden des Vereinigten Königreichs die Europäische Union.
EU-Finanzplanung wird nicht vom Referendum beeinflusst
Das Brexit-Referendum hat vorerst keinen Einfluss auf die Finanzplanung der EU. Bei dem Entwurf für den europäischen Gemeinschaftshaushalt 2017 sei das Nein der Briten zu Europa nicht berücksichtigt worden, teilte die EU-Kommission mit. Demnach gilt, dass Großbritannien bis auf Weiteres Mitglied der EU ist - inklusive aller Rechte und Pflichten. In ihrem ersten Entwurf für den EU-Haushalt 2017 schlägt die EU-Kommission Ausgaben in Höhe von 134,9 Milliarden Euro vor.
Mehr Geld soll unter anderem für die Bewältigung der Flüchtlingskrise und den Kampf gegen illegale Migration und Arbeitslosigkeit zur Verfügung stehen. Verkleinert werden könnte hingegen der Haushaltstopf, aus dem die Fördermittel für die Landwirtschaft fließen. Die für Bauern relevanten Auszahlungen sollen aber mit 42,9 Milliarden Euro sogar um 700 Millionen Euro höher liegen als im Vorjahr.
Johnson verzichtet auf Kandidatur
Anders als erwartet wird der Londoner Ex-Bürgermeister Boris Johnson nicht um das Amt des Vorsitzenden der Konservativen Partei in Großbritannien kandidieren. Das sagte der Brexit-Befürworter am Donnerstag in London.
Jean-Claude Juncker zeigt sich zurückhaltend bezüglich schottischer Unabhängigkeitsbestrebungen
Die EU-Kommission äußert sich zurückhaltend zu den erneuten Unabhängigkeitsbestrebungen Schottlands. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker respektiere die schottische Demokratie und das dortige Ergebnis im EU-Referendum, sagt sein Sprecher. Dennoch sei der Umgang mit Schottland eine Frage, die innerhalb der britischen Verfassung geklärt werden müsse.
EU-Agrarkommissar fordert schnellen EU-Ausstieg
EU-Agrarkommissar Phil Hogan dringt auf rasche Verhandlungen über den Ausstieg. "Landwirte wissen besser als irgendjemand anderes, dass man Stabilität und Gewissheit braucht, um für die Zukunft planen zu können", sagt Hogan beim Deutschen Bauerntag in Hannover.
McFarlane will klare Verhandlungsrichtlinien
Der Chairman von Barclays, John McFarlane, fordert Klarheit, mit welchen Positionen Großbritannien in die Verhandlungen mit der EU geht. Großbritannien müsse ein neues internationales Modell für Finanzdienstleistungen aufbauen, sagt McFarlane in seiner Funktion als Lobbyist für den Finanzsektor.
Britische Ministerin rechnet erst in einigen Monaten mit Ausstieg
Innenministerin Theresa May würde als Regierungschefin den offiziellen Ausstieg Großbritanniens aus der EU frühestens in einigen Monaten einreichen. May sagte, der Artikel 50 der EU-Verträge und damit das Austrittsgesuch werde nicht vor Ende des Jahres aktiviert. Die Innenministerin hat ihren Hut in den Ring geworfen, um den scheidenden David Cameron als Parteichef der Konservativen und als Premierministerin abzulösen. "Brexit heißt Brexit", sagte May in einer Rede. Es werde allerdings einige Jahre dauern, um den Austritt über die Bühne zu bekommen. Es dürfe kein zweites Referendum geben und keine Versuche, in der Europäischen Union (EU) zu bleiben oder sich ihr später "durch die Hintertür" wieder anzuschließen. May sagte, vor 2020 werde es keine Neuwahl geben. In naher Zukunft werde es auch nicht zu Änderungen der Handelsvereinbarungen mit der EU kommen.
Gove geht in die Offensive
Justizminister Michael Gove, der Chef der Konservativen und der Premierminister werden will, kritisiert seinen mutmaßlichen Konkurrenten für die Ämter, Boris Johnson. Ursprünglich habe er den ehemaligen Londoner Bürgermeister unterstützten wollen, schreibt Gove in einer Kolumne im Internet. "Aber dann bin ich, nach einigem Zögern, zum Schluss gekommen, dass Boris nicht für die Führung sorgen oder das Team aufbauen kann, das für die bevorstehende Aufgabe nötig ist."
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
Frankreich lehnt Verhandlungen mit Schottland ab
Verhandlungen mit Schottland über eine EU-Mitgliedschaft sollten nach Ansicht Frankreichs nicht geführt werden, solange die Region Teil Großbritanniens ist. „Europa sollte keinesfalls zur Demontage von Nationen beitragen“, sagte Außenminister Jean-Marc Ayrault. Man müsse die Geschichte jedes der 28 EU-Länder respektieren und die Nationen selbst über ihre Zukunft entscheiden lassen, statt Verhandlungen mit einer Region wie Schottland zu führen.