Nach dem Brexit-Votum wächst in der Europäischen Union der Druck auf Großbritannien, die Konsequenzen zu ziehen. Deutschland und die anderen fünf EU-Gründerstaaten fordern rasche Austrittsverhandlungen. Der britische Premier David Cameron hatte seinen Rücktritt bis Oktober angekündigt – die Verhandlungen solle erst sein Nachfolger führen. Die Reaktionen und Nachrichten vom Montag im Liveblog.
+++ Britische Regierung legt Verkauf von Bankanteilen auf Eis +++
Die britische Regierung hat nach der Brexit-Abstimmung Insidern zufolge Pläne für den milliardenschweren Verkauf von Anteilen an den Großbanken Royal Bank of Scotland und Lloyds auf Eis gelegt. Statt wie vorgesehen dieses Jahr werde man sich der Angelegenheit frühestens 2017 annehmen, war aus dem Umfeld des Finanzministeriums zu vernehmen. Grund seien die Marktturbulenzen und die wirtschaftliche Unsicherheit, die durch das Votum der Briten für einen Ausstieg aus der Europäischen Union ausgelöst worden seien. Es werde "eine ganze Weile dauern", bevor man die Konsequenzen für die Banken kenne und auch nur in Erwägung ziehen könne, mit dem Verkauf fortzufahren.
+++ USA prüfen Brexit-Folgen für TTIP-Verhandlungen +++
Die USA prüfen nach Angaben von Außenminister John Kerry derzeit die Auswirkungen des Brexit-Votums auf die Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen TTIP und den Handel im Allgemeinen. Welche Folgen der Brexit für die US-Konjunktur habe, könne man erst wissen, wenn man sehe, wie die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU liefen.
Wo die großen Brexit-Baustellen sind
Seit der konservative Premier David Cameron seinen Rücktritt angekündigt hat, tobt ein Kampf um seine Nachfolge - nicht nur hinter den Kulissen. Als aussichtsreichste Kandidaten gelten Brexit-Wortführer Boris Johnson und Innenministerin Theresa May. Johnson werden die besten Chancen eingeräumt, auch wenn er erbitterte Feinde in der Tory-Fraktion hat. May könnte als Kompromisskandidatin gelten, sie war zwar im Lager der EU-Befürworter, hielt sich aber mit öffentlichen Äußerungen zurück.
Labour-Chef Jeremy Corbyn laufen nach dem Rauswurf seines schärfsten Kritikers Hilary Benn die Mitglieder seines Schattenkabinetts in Scharen davon. Mehr als die Hälfte seines Wahlkampfteams trat bereits zurück. Sie werfen Corbyn vor, nur halbherzig gegen einen EU-Austritt geworben zu haben, und stellen seine Führungsqualitäten in Frage. Dahinter steckt auch die Befürchtung, es könne bald zu Neuwahlen kommen. Viele Labour-Abgeordnete befürchten, mit dem Linksaußen Corbyn an der Spitze nicht genug Wähler aus der Mitte ansprechen zu können. Corbyn war im Spätsommer vergangenen Jahres per Urwahl an die Parteispitze gerückt, hat aber wenig Unterstützung in der Fraktion.
Der scheidende Premier David Cameron kündigte an, die offiziellen Austrittsverhandlungen mit der EU nicht mehr selbst einzuleiten. Der Ablösungsprozess könnte damit frühestens nach Camerons Rücktritt beginnen - womöglich erst im Oktober. Äußerungen anderer britischer Politiker lassen befürchten, dass sich die Briten gern sogar noch mehr Zeit lassen würden. Am allerliebsten würden sie schon vor offiziellen Austrittsverhandlungen an einem neuen Abkommen mit der EU basteln. Brüssel, Berlin und Paris dringen aber auf einen raschen Beginn der Austrittsverhandlungen.
Seit dem Brexit-Votum liegt die Frage nach der schottischen Unabhängigkeit wieder auf dem Tisch. Die Schotten stimmten - anders als Engländer und Waliser - mit einer Mehrheit von 62 Prozent gegen einen Brexit. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte in Edinburgh an, Vorbereitungen für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum einzuleiten. Boris Johnson deutete jedoch bereits an, dass er als Premierminister da nicht mitspielen würde: „Wir hatten ein Schottland-Referendum 2014 und ich sehe keinen echten Appetit auf ein weiteres in der nahen Zukunft“, schrieb Johnson in einem Gastbeitrag im „Daily Telegraph“. Auch Premierminister David Cameron erteilte einem erneuten Schottland-Referendum eine Absage.
In beiden Teilen der Insel herrscht Sorge, der Brexit könnte dazu führen, dass wieder Grenzkontrollen eingeführt werden und der Friedensprozess gestört wird. Irlands Ministerpräsident Enda Kenny versicherte, seine Regierung arbeite eng mit Belfast und London zusammen, um die Grenzen offenzuhalten. Ähnlich wie in Schottland stimmte auch in Nordirland eine Mehrheit der Wähler gegen den Austritt des Königreichs aus der EU. Die nordirische nationalistische Partei Sinn Fein forderte bereits eine Abstimmung über eine Wiedervereinigung Irlands und Nordirlands.
Das britische Pfund verlor seit dem Brexit-Votum massiv an Wert gegenüber dem Dollar und fiel auf den niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten. Auch die Börsenkurse stürzten zeitweise in den Keller. Der britische Finanzminister George Osborne versuchte am Montag, Sorgen an den Märkten zu zerstreuen. Großbritannien sei auf alles vorbereitet, sagte Osborne. Noch am Tag nach der Brexit-Entscheidung war Notenbank-Chef Mark Carney vor die Kameras getreten und hatte angekündigt, die Bank of England könne bis zu 250 Milliarden Pfund in die Hand nehmen, um weitere Verwerfungen zu verhindern. Trotz allem verlor das Pfund weiter an Wert.
+++ Brexit-Schock sorgt für erneute Dax-Talfahrt +++
Der Brexit-Schock sitzt tief an der Börse. Verunsicherte Anleger schickten den deutschen Aktienmarkt am Montag weiter auf Talfahrt. Der Dax fiel zeitweise auf den tiefsten Stand seit dem 25. Februar. Mit einem Abschlag von 3,02 Prozent auf 9268,66 Punkten geht der deutsche Leitindex aus dem Tag.
+++ Cameron: vorerst keine formalen Gespräche +++
Premierminister David Cameron will vorerst keine formalen Gespräche über ein Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union einleiten, sagt er im britischen Unterhaus. Erneut äußert er sich enttäuscht, dass knapp 52 Prozent der Wähler am Donnerstag für den Brexit gestimmt hatten. Dies sei nicht das beste Ergebnis für Großbritannien, sagt Cameron. Der Wählerwille müsse respektiert und auf bestmögliche Weise umgesetzt werden. Doch werde Großbritannien in diesem Stadium noch nicht bei der EU die Trennung beantragen.
+++ EU-Staaten: Verhandlungen erst nach Aktivierung von Artikel 50 +++
Vertreter aller EU-Staaten außer Großbritannien sind sich nach Angaben aus Frankreich einig, dass die Londoner Regierung zunächst unter Berufung auf Artikel 50 des EU-Vertrages den Austritt aus dem Staatenbund beantragen muss. Vorher werde es keine Brexit-Verhandlungen geben.
+++ Renzi: Nach Briten-Votum keine Zeit verlieren +++
Europa sollte nach dem Brexit-Votum Großbritanniens nach Worten von Italiens Regierungschef Matteo Renzi keine Zeit verlieren. „Europa kann alles machen, außer jetzt eine einjährige Diskussion über die Prozeduren zu beginnen“, sagt Renzi im Senat in Rom. Ansonsten verliere man nicht nur die Botschaft des britischen Votums, sondern auch die eigentliche Idee Europas aus dem Blick. Die Entscheidung der Briten laste „wie ein Felsblock auf der Geschichte Europas“, so Renzi, der am Abend mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident François Hollande in Berlin zusammentreffen soll.
+++ EU-Parlamentsfraktionen: „Unverzügliche“ Brexit-Verhandlungen nötig +++
Die vier großen Fraktionen im Europaparlament drängen zur Eile. Über einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) solle „unverzüglich“ verhandelt werden, um eine „schädliche Unsicherheit“ für alle zu vermeiden, hieß es am Montag in einem Antrag von EVP, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen. Die Fraktionen wollen, dass das Parlament den britischen Premierminister David Cameron auffordert, den anderen Staats- und Regierungschefs beim Gipfeltreffen am Dienstag das Ergebnis des Brexit-Referendums mitzuteilen. Dieser Schritt ist notwendig, um das Verfahren für einen Austritt einleiten zu können. Die beim EU-Gipfel im Februar ausgehandelten Reformangebote an Großbritannien seien außerdem nun vom Tisch, betonten die Fraktionen.
+++ Britisches Kabinett soll mit Brexit-Vorbereitungen beginnen +++
Die britische Regierung soll nach dem Willen von Premierminister David Cameron bereits mit den Vorbereitungen für den Austritt aus der Europäischen Union beginnen. Ansonsten habe Cameron seine Minister angewiesen, dass alles seinen gewohnten Gang gehen solle, sag seine Sprecherin. Wann der Antrag auf EU-Austritt nach Artikel 50 des EU-Vertrages in Brüssel aktiviert werde, sei die Entscheidung Großbritanniens. EU-Vertreter dringen allerdings darauf, dass die Briten ihren Austritt zügig erklären und die Verhandlungen darüber bald starten.
+++ Berlin: Jetzt rasche Austritts-Gespräche +++
Unmittelbar vor dem EU-Gipfel setzt Berlin die britische Regierung im Streit um die Austrittsverhandlungen unter Handlungsdruck. Nach dem Brexit-Votum müsse London bald Klarheit über den Fahrplan zum Ausstieg aus der EU schaffen. „Die Bundesregierung will keine Hängepartie“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Der SPD ist auch diese Ansage zu wenig. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sagt der Deutschen Presse-Agentur: „Das Signal der Staats- und Regierungschefs muss lauten: Klarheit statt Taktiererei, entschlossenes Handeln statt Zaudern.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt in einer Pressekonferenz, der Brexit dürfe nicht zur Hängepartie werden. Sie habe aber ein gewisses Verständnis dafür, dass die britische Regierung jetzt die Auswirkungen des Referendums analysiere. Die EU müsse alles tun, um Fliehkräften entgegen zu wirken. Zudem schließt die Kanzlerin aus, dass die EU mit Großbritannien ohne einen formellen Austrittsantrag bereits Verhandlungen über das zukünftige Verhältnis führt. Sie habe ein gewisses Verständnis dafür, dass sich die britische Regierung derzeit noch mit der Analyse der Brexit-Entscheidung befasse, so Merkel. Es dürfe aber keine dauerhafte Hängepartie" geben, unter der die Wirtschaft sowohl in Großbritannien als auch auf dem Kontinent leiden werde. "Deshalb erwarte ich auch zu einem bestimmten Zeitpunkt die Mitteilung nach Artikel 50", sagt sie unter Verweis auf den entsprechenden Paragrafen des EU-Vertrages, ohne aber ein Datum zu nennen. "Es ist ... auch klar, dass es keine informellen Verhandlungen geben kann, bevor nicht die Absicht förmlich erklärt ist, aus der EU auszuscheiden."
+++ Brexit trifft britische und europäische Banken hart +++
Banken auf beiden Seiten des Ärmelkanals gehören schon jetzt zu den größten Verlierern des Austritts Großbritanniens aus der EU. Analysten stufen nicht nur britische, sondern auch andere europäische Banken und US-Investmentbanken massenhaft herab, Börsianer warfen deren Aktien aus den Portfolios. Die Hoffnung auf steigende Zinsen in Europa sei in noch weitere Ferne gerückt, und die Konjunktur werde sich zumindest auf der Insel eintrüben, heißt es in vielen Studien. Die Kapitalkosten für die Banken dürften steigen. Der europäische Banken-Index, der am Freitag um 15 Prozent eingebrochen war, sackte um weitere 7,7 Prozent auf den niedrigsten Stand seit der Euro-Schuldenkrise vor vier Jahren.
Die Deutsche-Bank-Aktie fiel um bis zu 9,7 Prozent auf ein Allzeittief von 12,07 Euro. Auch die Commerzbank -Aktie kam unter die Räder: Sie fiel um 5,8 Prozent auf 5,84 Euro. Noch schlimmer getroffen wurden die britischen Geldhäuser. Barclays fielen um 18 Prozent, Royal Bank of Scotland (RBS) verloren mehr als ein Viertel ihres Wertes auf 152 Pence, den tiefsten Stand seit siebeneinhalb Jahren. Als relativ "sicherer Hafen" gelten dagegen die auf Asien ausgerichteten Investmentbanken HSBC (minus 1,9 Prozent) und Standard Chartered (minus 6,1). RBC Capital kürzte die Kursziele für britische Banken pauschal um 30 Prozent.
+++ Britisches Pfund fällt auf Tiefstand +++
Das Britische Pfund ist am Montag weiter unter Druck geraten und noch unter den Stand vom Freitag direkt nach dem Brexit-Votum gefallen. Am Montagmittag kostete die britische Währung noch 1,3222 US-Dollar und damit so wenig wie seit 1985 nicht mehr. Am Freitag hatte das Pfund nach dem Ja der Briten zum Austritt aus der Europäischen Union mehr als 11 Prozent an Wert verloren und war bis auf 1,3229 Dollar gefallen. Ausschlaggebend war, dass die Märkte von einem Verbleib des Landes in der EU ausgegangen waren und vom Brexit komplett auf dem falschen Fuß erwischt wurden.
+++ Brexit trifft auch deutschen Arbeitsmarkt +++
Der Brexit wird nach Einschätzung von Volkswirten deutscher Großbanken auch für den deutschen Arbeitsmarkt nicht ohne Folgen bleiben. Gerade in der von Großbritannien abhängigen Exportindustrie könnten künftig zunächst geplante Stellen unbesetzt bleiben und damit den seit Jahren anhaltenden Beschäftigungsaufbau bremsen, erklärten Ökonomen in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur. Im schlimmsten Fall könnte auch die Arbeitslosigkeit steigen, warnen die Fachleute.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
+++ Japan profitiert von Brexit +++
Die Unruhe nach der Brexit-Abstimmung dürfte in Japan Experten zufolge der Partei von Ministerpräsident Shinzo Abe bei den Oberhauswahlen am 10. Juli zugutekommen. "In unruhigen Zeiten setzt der japanische Wähler auf Stabilität", sagt Gerry Curtis von der Columbia University. Am Wochenende hatte Abe vor politischen Abenteuern mit anderen Parteien gewarnt.
+++ Wirtschaftsbeziehungen aufrecht erhalten +++
Die deutsche Wirtschaft dringt darauf, die engen Wirtschaftsbeziehungen zu Großbritannien auch nach einem Brexit aufrechtzuerhalten. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, fordert in der "Bild"-Zeitung von EU und britischer Regierung rasch Klarheit. "Die deutschen Unternehmen müssen so schnell wie möglich wissen, wo es lang geht."
+++ 2017: Leichte Rezession +++
Volkswirte von Goldman Sachs gehen davon aus, dass Großbritannien wegen des Ausgangs der Brexit-Abstimmung bis Anfang 2017 eine "leichte Rezession" durchmachen wird. Auch in den EU-Staaten und den USA werde das Wirtschaftswachstum nicht so hoch ausfallen wie bislang erwartet, heißt es in einem Brief der US-Großbank an ihre Kunden.
+++ Osborne will Märkte beruhigen +++
Der britische Finanzminister George Osborne will mit einer Erklärung noch vor Handelsbeginn die Finanzmärkte beruhigen. Osborne werde sich am Montag äußern, teilte ein Sprecher des Ministers am späten Sonntagabend in London mit. Osborne werde erklären, dass die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität des Vereinigten Königreiches auch im Lichte des Ergebnisses der Volksabstimmung gegeben sei. In der Stellungnahme werde es auch um die Maßnahmen gehen, die Osborne und die gesamte Regierung ergreifen wollten, um die nationalen Interessen in nächster Zeit zu schützen.
+++ Merkel und Hollande demonstrieren Einigkeit +++
Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande wollen Unsicherheiten vermeiden. Darauf hätten sich die beiden Politiker bei einem halbstündigen Telefongespräch verständigt, verlautete am Sonntagabend aus dem Elysee-Palast. Sie seien sich einig im Umgang mit dem Ergebnis des Referendums gewesen. Die Bundesregierung bestätigte das Telefonat, verwies aber für Inhalte auf Montag. Merkel und Hollande kommen zum Wochenauftakt in Berlin mit dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi zusammen, um über die Konsequenzen des britischen Referendums zu beraten. Zuvor stehen Gespräche mit EU-Ratspräsident Donald Tusk auf der Agenda.