Zweiter Punkt: das Wirrwarr der Institutionen. In Brüssel gibt es viele EU-Behörden, jede mit eigenen Prozessen – und eigenen Pressemitteilungen, die oft in mehreren Sprachen erscheinen. „Da dauert es natürlich länger, sich auf eine Botschaft zu verständigen“, sagt Shields. Außerdem konzentriere sich die Kommunikation zu sehr auf die Europäische Kommission. „Das Parlament kommt zu selten vor.“
Dritter Punkt: die falsche Tonlage. „Die Sprache der EU ist immer noch zu technisch“, sagt Shields. Ganze Internetseiten beschäftigen sich mit dem EU-Jargon und erklären Begriffe und Abkürzungen wie Komitologie (das System der Verwaltungs- und Expertenausschüsse) oder ECOFIN (der Rat der EU-Finanzminister) in möglichst verständlicher Sprache. Wo selbst viele Experten gähnen, steigen normale Bürger sofort aus.
Einer, der diese Probleme lösen soll, ist Klaus Dittko: ein Mann, der sich in der Kommunikationsbranche auskennt. Früher hat er Reden für Helmut Kohl geschrieben, dann verschiedene PR-Jobs gemacht. Mittlerweile leitet er die Werbeagentur Scholz & Friends in Berlin. Zum Kundenstamm seiner Agentur gehört die EU. Vor ein paar Jahren hat sie für das Parlament gearbeitet, jetzt entwirft sie eine Kampagne zum Juncker-Plan für die Kommission.
Der Brexit-Fahrplan
Laut Barnier sollen bis Oktober 2018 die Details für den Austritt Großbritanniens ausverhandelt sein. Der Franzose hat diesen Zeitplan bereits als sehr ambitioniert bezeichnet. Andere Experten halten ihn angesichts der Fülle der Problemfelder für unmöglich. Womöglich wird es deshalb zahlreiche Übergangsfristen von etwa zwei bis fünf Jahren geben.
Die schottische Regierung will im Herbst 2018 ein zweites Referendum über den Verbleib im Vereinigten Königreich abhalten, sobald die Bedingungen für den Brexit klar sind. May hat dies abgelehnt.
Bis März 2019 wäre dann Zeit, damit Mitgliedsländer und EU-Parlament die Vereinbarung ratifizieren. Der Tag des Austritts Großbritanniens aus der EU wäre dann Samstag, der 30. März.
Unklar ist, wann die umfassenderen Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU abgeschlossen sind. May strebt ein Freihandelsabkommen mit der EU innerhalb weniger Jahre an, über das schon parallel zum Brexit verhandelt werden soll. Dagegen verweist die EU-Kommission auf die Erfahrung aus anderen Abkommen wie etwa mit Kanada (Ceta), über das sechs Jahre lang verhandelt wurde. Im Ceta-Vertrag sind allerdings keine Vereinbarungen über den komplexen Bereich der Finanzdienstleistungen enthalten, die für Großbritannien und den Finanzplatz London von enormer Bedeutung sind.
Der Juncker-Plan, sagt Dittko, sei ein gutes Beispiel, um das kommunikative Dilemma der EU zu erklären. Jedes Jahr steckt die EU mehrere Milliarden Euro in unterschiedliche Projekte, um das Wirtschaftswachstum zu stärken. Die Projekte betreffen zum Beispiel Windparks, Straßen oder Flughäfen. Zwar ist der Plan umstritten, aber klar ist, dass die Projekte Arbeitsplätze schaffen und die regionale Infrastruktur stärken. „Das Problem ist, dass die positiven Effekte bisher kaum jemand wahrnimmt oder der EU zuschreibt“, sagt Dittko. Stattdessen kanalisiere ein großer Teil der europäischen Bevölkerung ihren Frust über Arbeitslosigkeit oder die zunehmende Migration in Richtung EU.
Beim Brexit sei überdeutlich geworden, dass es ein Problem mit der Wahrnehmung der EU gebe, sagt Dittko. Nun hofft er, dass das Ereignis wie ein reinigender Gewittersturm wirkt. „Ich glaube, vielen Menschen ist dadurch erst klar geworden, was sie an der EU haben – und was sie verlieren können“, sagt er. Darin liege auch eine große Chance für die EU. Das Wahlergebnis in den Niederlanden und die "Pulse of Europe"-Bewegung, für die jeden Sonntag Tausende Menschen europaweit auf die Straße gehen, sieht er als erste Anzeichen für eine aufkeimende Gegenbewegung zum europafeindlichen Populismus von Le Pen und Co.
Fünf Krisen, die die EU schon überlebt hat
Als Großbritannien 1963 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der sechs Gründerstaaten beitreten will, legt Frankreichs Präsident Charles de Gaulle sein Veto ein. Großbritannien sei weder politisch noch wirtschaftlich reif, argumentiert er. Erst sein Nachfolger Georges Pompidou bringt die Wende. Der Beitritt der Briten gelingt 1973 - zehn Jahre nach dem ersten Antrag.
Quelle: dpa
Von Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre schwächelt die Gemeinschaft wirtschaftlich und politisch. Von „Eurosklerose“ ist die Rede. Die Konkurrenz aus den USA und Japan macht dem europäischen Markt zu schaffen. Die Mitgliedsländer versuchen, ihre Märkte zu schützen und nationale Interessen durchzusetzen. Die Krise wird überwunden durch neuen Schwung nach den Beitritten von Spanien und Portugal und dem Plan eines gemeinsamen europäischen Binnenmarkts.
Es soll der Startschuss zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sein. Doch die Dänen sagen in einem Referendum Nein zum Vertrag von Maastricht und setzen das politische Europa 1992 unter Schock. Elf Monate vergehen, bis ein Kompromiss mit Sonderrechten ausgehandelt wird, dem die Dänen zustimmen.
Mehrere Mitglieder der vom Luxemburger Jacques Santer geführten EU-Kommission müssen sich einem Misstrauensvotum im Europäischen Parlament wegen möglicher Betrugsaffären stellen. Ein von „fünf Weisen“ erstellter „Bericht über Betrug, Missmanagement und Vetternwirtschaft“ besiegelt kurz darauf das Schicksal der Santer-Kommission. Das gesamte Kollegium tritt im März 1999 zurück.
Mehr Demokratie und Transparenz - darum geht es 2005 in dem mühsam ausgehandelten „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ der damals 25 EU-Staaten. Doch die Franzosen und die Niederländer lehnen die EU-Verfassung bei Volksabstimmungen ab. An ihre Stelle tritt letztlich 2009 der Vertrag von Lissabon, der ähnliche Ziele verfolgt.
Wie die richtige Kommunikation der EU solche Bewegungen unterstützen und ihre Botschaft verbreiten kann, hat die Brüsseler PR-Expertin Shields in einer Agenda zusammengetragen. „Es kommt darauf an, dass die richtigen Personen die Erfolgsgeschichten der EU in einfacher Sprache spannend erzählen“, fasst sie ihre Ergebnisse zusammen. Die richtigen Personen seien dabei eher selten Pressesprecher in grauen Anzügen, sondern glaubwürdige Bürger.
Nach Ansicht von Shields hätte man mit den richtigen Worten auch den Ärger um die Staubsauger-Verordnung vermeiden können. „Man hätte viel mehr betonen müssen, dass auch energiesparende Staubsauger kraftvoll sein können und man mit ihnen viel Geld sparen kann“, sagt sie. In einem Blog-Eintrag machte die Europäische Kommission genau das als Reaktion auf die negativen Presseberichte. Allerdings ist dieser Blog ziemlich versteckt. Bis heute haben den Beitrag genau 10.185 Menschen aufgerufen.