Der in Spanien wegen Rebellion angeklagte abgesetzte Regionalpräsident Kataloniens, Carles Puigdemont, ist nach Belgien geflohen. Er habe den Separatisten „persönlich gesehen“, sagte der belgische Anwalt Paul Bekaert. Puigdemont sei in Belgien und habe ihn als Berater angestellt, bestätigte Bekaert am Montagabend dem TV-Sender VRT in einem Interview. Für Dienstag kündigte er eine Stellungnahme Puigdemonts an.
Unklar blieb zunächst, ob der Katalane in Belgien Asyl beantragen will. „Das ist noch nicht beschlossen“, betonte Bekaert, der unter anderem auch Angehörige der früheren baskischen Terrorgruppe ETA vertrat und auf Menschenrechte sowie Auslieferungsfragen spezialisiert ist. Um die weiteren Schritte zu beschließen, wolle man abwarten, „wie Spanien reagiert“, sagte der Anwalt.
Die spanische Staatsanwaltschaft hatte am Montag Anklage gegen Puigdemont und weitere Angehörige der abgesetzten Regionalregierung erhoben. Die Vorwürfe gegen die Angeklagten lauteten unter anderem auf Rebellion, Auflehnung gegen die Staatsgewalt und Unterschlagung öffentlicher Gelder, sagte Generalstaatsanwalt José Manuel Maza. Ihnen droht im Fall einer Verurteilung eine langjährige Haftstrafe.
Die Entscheidung Puigdemonts zur Ausreise aus Spanien löste große Überraschung und viel Kritik aus. Die Zeitung „El País“ sprach von einem „tragikomischen Schwank“. Nach Medienberichten soll der 54-jährige liberale Politiker schon am Wochenende mit dem Wagen nach Marseille und von dort nach Brüssel geflogen sein. Nach Belgien sollen laut Medien auch fünf seiner Ex-Minister gereist sein.
Der belgische Staatssekretär für Asyl und Migration, Theo Francken, hatte die Möglichkeit von Asyl in Belgien am Sonntag ins Spiel gebracht. Katalanen, die sich politisch verfolgt fühlten, könnten in Belgien um Asyl ersuchen, sagte der Politiker der nationalistisch-flämischen Partei N-VA. Ministerpräsident Charles Michel hatte einen möglichen Asylantrag Puigdemonts hingegen als Thema bezeichnet, das „absolut nicht auf der Agenda“ stehe.
Kataloniens Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland
Etwa 1300 deutsche Firmen sind in Spanien aktiv, davon sind etwa 40 Prozent in Katalonien ansässig. Sie kommen besonders aus den großen Industriebranchen Chemie, Pharma und Auto. Zu den Unternehmen zählen unter anderem Allianz, BASF, Bayer, Bosch, Haribo, Siemens, Lidl und Volkswagen. Mehr als 400 katalanische Betriebe sind in Deutschland vertreten, vom Sekterzeuger Freixenet bis zum Tourismuskonzern Grupo Hotusa.
Deutschland ist neben dem benachbarten Frankreich der wichtigste Handelspartner Kataloniens. 18,3 Prozent der katalanischen Importe stammten 2015 aus Deutschland. Sie summierten sich auf fast 14 Milliarden Euro. Aus keinem anderen Land bezieht die Region mehr Waren. Gefragt sind vor allem Fahrzeuge mit einem Anteil von 34,6 Prozent an den deutschen Lieferungen nach Katalonien, gefolgt von Maschinen und Anlagen mit rund zehn Prozent.
Umgekehrt gehen rund zwölf Prozent der katalanischen Exporte nach Deutschland, was einem Warenwert von mehr als 7,5 Milliarden Euro entspricht. Nur Frankreich nimmt noch mehr Waren ab. Die Region liefert vor allem Fahrzeuge (39 Prozent), Geräte und Elektromaterial (6,5) sowie Kunststoffprodukte (6,3) nach Deutschland. Rund 2700 katalanische Unternehmen exportieren regelmäßig in die Bundesrepublik.
Deutsche Unternehmen haben Milliarden in Katalonien investiert. Allein 2013 waren es fast 900 Millionen Euro, die vor allem auf den Pharmasektor entfielen. 2014 kamen gut 200 Millionen Euro hinzu. 2015 waren es mehr als eine halbe Milliarden Euro, wovon fast ein Drittel auf den Lebensmitteleinzelhandel und mehr als 16 Prozent auf die Chemieindustrie entfielen.
Katalonien mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern erwirtschaftet rund 200 Milliarden Euro. Das entspricht etwas einem Fünftel des spanischen Bruttoinlandsprodukts. Das Wachstum fiel 2015 und 2016 mit etwa 3,4 Prozent etwas stärker aus als in Spanien insgesamt. Allein Barcelona zählt mehr als 1200 Startup-Unternehmen.
Ob ein Asylantrag Puigdemonts in Belgien Chancen hätte, gilt als fraglich. Über den EU-Vertrag ist geregelt, dass sich die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Asylangelegenheiten untereinander als sogenannte sichere Herkunftsländer betrachten. Es wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass es in EU-Staaten keine Verfolgungsgefahr gibt. Nur unter ganz besondereren Bedingungen darf der Asylantrag eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats von einem anderen Mitgliedstaat berücksichtigt werden.
Möglich wäre die Berücksichtigung des Antrags demnach nur dann, wenn Spanien unter Berufung auf einen Notstand die Verpflichtungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten aussetzen würde - oder wenn gegen das Land ein EU-Verfahren wegen des Verdachts auf schwerwiegende Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit laufen würde.
Da beides nicht der Fall ist, müsste Belgien auf jeden Fall den Rat der EU-Mitgliedstaaten einschalten. Dieser dürfte wenig begeistert sein, wenn Belgien der spanischen Regierung mit Asyl für Puigdemont in den Rücken fallen würde. Bisher stehen die EU-Partner geschlossen hinter Madrid, unter ihnen auch der belgische Premier Charles Michel, der nicht der flämischen Partei N-VA abgehört.
Die Regierung von Spaniens konservativem Premierminister Mariano Rajoy hatte die Regionalregierung am Samstag offiziell abgesetzt, nachdem am Freitag das Regionalparlament kurz vor Inkrafttreten der Madrider Zwangsmaßnahmen einen Unabhängigkeitsbeschluss verabschiedet hatte. Die Zwangsverwaltung der wirtschaftsstarken Autonomen Gemeinschaft im Nordosten des Landes soll mindestens bis zu den für den 21. Dezember einberufenen Neuwahlen laufen.