Alexander Kritikos "Griechische Auswanderer sollten Athen helfen"

Die internationalen Geldgeber verhandeln wieder über das Schicksal Griechenlands. Der DIW-Forscher und gebürtige Grieche Alexander Kritikos fordert von ausgewanderten Griechen mehr Schützenhilfe für ihr Heimatland.

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Athene steht in der griechischen Mythologie für Weisheit, Strategie und Kampf. Griechenland muss Eliten ins Land holen um Innovationen zu fördern. Quelle: Getty Images

Herr Professor Kritikos, Sie sind in Deutschland aufgewachsen, Ihr Vater stammt aus Griechenland. Wie sehr fühlen Sie sich dem Heimatland Ihres Vaters verbunden?

Alexander Kritikos: Ich bin halber Grieche und fühle mich Griechenland deshalb sehr verbunden. Ich bin oft dort, auch beruflich. Im Jahr 2000 habe ich etwa ein Jahr lang an der Universität in Athen gelehrt. Griechenland ist ein Teil meiner Heimat.

Alexander Kritikos Quelle: PR

In Griechenland leben zehn Millionen Menschen. Zudem gibt es sieben Millionen griechische Auswanderer, die vor vielen Jahren oder Jahrzehnten ihr Land verlassen haben. Sie fordern, dass die griechische Diaspora den Transformationsprozess unterstützt. Wie soll das funktionieren?

Die griechische Diaspora kann zu einem zentralen Faktor werden, die massiven Probleme in Griechenland zu lösen. Im Kern ist hier die intellektuelle Elite gefragt, die im Ausland forscht oder unternehmerisch tätig ist. Laut einer Studie der Universität Stanford machen die Griechen 0,2 Prozent der Bevölkerung aus, aber drei Prozent der Top-Forscher sind griechisch-stämmig. Es gibt ein großes wissenschaftliches, aber auch ein ebenso großes unternehmerisches Potenzial.

Zur Person

Was können die Exil-Griechen konkret tun?

Es gibt drei große Defizite. Griechenland leidet unter extremer Überregulierung, einem Mangel an Kapital und einer schlecht ausgeprägten Innovationskultur. In allen drei Bereichen könnte die Diaspora ansetzen.

Und wie?

Beispiel Innovation: In Griechenland durften Forschungsergebnisse lange Zeit nicht in Produkte und Dienstleistungen umgesetzt werden. Zwar wurden die Gesetze inzwischen geändert, so dass das möglich ist. Aber kein Mensch weiß davon. Das über Jahre verinnerlichte Tabu lebt in den Köpfen der Griechen weiter.

Griechische Forscher und Unternehmer im Ausland könnten hier Initiative ergreifen und versuchen, einen Innovationsprozess in Gang zu setzen. Sie haben in ihrer „zweiten“ Heimat erlebt und häufig auch aktiv bei solchen so genannten Wissenstransfers mitgewirkt und wissen, wie so etwas geht.

Was Sie über Griechenland wissen sollten
Für die griechische Nationalmannschaft gab es lange keinen Spitznamen. Erst, nachdem die Griechen die EM 2004 gewannen, erhielten sie den Spitznamen „To Piratiko “, zu deutsch: das Piratenschiff. Der Name ist eine Anspielung auf die Seefahrernation Portugal, der die Griechen die Trophäe abluchsten. Quelle: dapd
Dem berühmten antiken Mathematiker, Physiker und Ingenieur Archimedes wird das Zitat zugeschrieben: „Gib mir einen Punkt, auf dem ich stehen kann, und ich werde dir die Welt aus den Angeln heben“. Doch auch mit einem festen Punkt und mithilfe eines Flaschenzugs hätte Archimedes das nicht vollbringen können: Selbst mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes hätte er 45 Billionen Jahre lang ziehen müssen, um die Erde auch nur einen Daumen breit verschieben zu können. Quelle: dpa
Griechenland, damit verbinden viele vor allem Sonnenschein und warme Temperaturen. Und tatsächlich hat das Land einen Rekord zu bieten: In Iraklio auf der Insel Kreta wurde noch nie eine Temperatur unter 0 Grad Celsius gemessen. Quelle: dapd
Ob Vicky Leandros oder Nana Mouskouri: Der griechische Schlager ist in Deutschland beliebt, „Weiße Rosen aus Athen“ oder „Theo, wir fahr‘n nach Lodz“ klingen im Ohr. Was aber viele nicht wissen: Vicky Leandros war auch als Politikerin aktiv. 2006 errang sie ein Mandat bei den Kommunalwahlen in Piräus für die sozialdemokratische Pasok-Partei. Sie wurde Stadträtin für Kultur und Vizebürgermeisterin. 2001 und 2006 war sie sogar in Deutschland als Kultursenatorin im Gespräch, zuerst für Hamburg und fünf Jahre später für Berlin. Leandros lehnte das Angebot aber ab. Quelle: AP
2008 schaffte es die größte Bougatsa der Welt ins Guinness-Buch der Rekorde. Dabei handelt es sich um ein Blätterteig-Gebäck, das süß oder herzhaft gefüllt wird und besonders in Nordgriechenland verbreitet ist. Die Rekord-Bougatsa wog 182,2 Kilogramm und war 19,97 Meter mal 58,5 Zentimeter groß und 2 Zentimeter dick. Sie wurde im ostmakedonischen Serres in einem 20 Meter großen Ofen zubereitet.Foto: Konstantinos Stampoulis, GNU-Lizenz 1.2
Für die Zeit zwischen 1200 vor Christus bis etwa 750 vor Christus gibt es kaum historische Belege wie Schriftstücke oder archäologische Funde. Die Zeit wird daher auch als die „Dunklen Jahrhunderte“ bezeichnet. Quelle: REUTERS
Eine Geschichte, die Schlagzeilen machte: Im Juli 2011 fiel auf der griechischen Urlaubsinsel Samos der Strom aus – auch in einem Krankenhaus. Eine Frau, die gerade in den Wehen lag, musste ihr Baby im schwachen Schein von Handydisplays gebären. Das Kind kam trotz allem gesund zur Welt. Quelle: dapd

Das heißt, sie müssten dann auch nach Griechenland zurückkehren – und zwar dauerhaft!

Nicht unbedingt. Es gibt viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Die griechischen Top-Wissenschaftler, die beispielweise in den USA, Australien und Europa forschen, könnten zeitlich befristete Lehr- und Forschungseinsätze von etwa drei Monaten absolvieren. So würden sie Know-how nach Griechenland bringen und Kontakt zur nachwachsenden Elite aufbauen.

Forschungsdrang der Griechen

Wie erklären Sie sich den Forschungsdrang der Griechen?

Es gibt ein traditionell gutes Bildungssystem mit einem Fokus auf den Naturwissenschaften. Außerdem werden die Kinder sehr stark von ihren Eltern unterstützt. Die Griechen leben ihren Traum, das Allerbeste für ihre Kinder zu tun. Viele Eltern schicken ihre Kinder auf Privatschulen und finanzieren Nachhilfeunterricht.

Wer muss den ersten Schritt machen: die Auswanderer oder die Regierung in Athen?

Diese Unis sind bei ausländischen Forschern beliebt
Platz 15: Universität MünsterAlle zwei Jahre veröffentlicht die Alexander von Humboldt-Stiftung ein Ranking der deutschen Universitäten, die für ausländische Forscher am attraktivsten sind. Ausgewertet wurden dafür die Anzahl der Gastaufenthalte von internationalen Spitzen- und Nachwuchswissenschaftlern, die in den letzten fünf Jahren als Stipendiaten oder Preisträger der Stiftung in Deutschland forschten. Die Universität Münster kommt demnach auf Platz 15 mit: Gastwissenschaftler: 140 Gewichtete Anzahl: 47,14Rang absolut: Rangfolge basiert auf der Anzahl der GefördertenRang gewichtet: Gewichtung basiert auf der Anzahl der Geförderten im Verhältnis zur Anzahl der Professorinnen und Professoren pro InstitutionQuelle: Alexander von Humboldt-Stiftung Quelle: dpa
Platz 14: Universität Frankfurt am MainDie Gothe Universität in Frankfurt kann sich über Platz 14 freuen. Aber: "Die ausländischen Forscher suchen die Standorte für ihre Gastaufenthalte offenkundig nicht nur danach aus, ob sie in einer der Metropolen Deutschlands liegen", sagte Humboldt-Präsident Helmut Schwarz. "Das tut nicht nur dem Forschungsstandort Deutschland gut, sondern auch den Außenbeziehungen insgesamt." Gastwissenschaftler: 125 Gewichtete Anzahl: 47,35 Quelle: dpa
Platz 13: Technische Universität Darmstadt Gastwissenschaftler: 82 Gewichtete Anzahl: 47,4 Quelle: Presse
Platz 12: Technische Hochschule Aachen Die TU Aachen ist im Ranking von Platz 14 auf zwölf aufgestiegen. Hier forschten und dozierten: Gastwissenschaftler: 123 Gewichtete Anzahl: 47,67 Quelle: dapd
Platz 11: Universität Bielefeld Gastwissenschaftler: 78 Gewichtete Anzahl: 48,15 Quelle: Presse
Platz 10: Universität Freiburg Auch kleinere Hochschulstädte wie Freiburg befinden sich unter den Top Ten der gefragtesten Unis für einen Forschungsaufenthalt in Deutschland. Gastwissenschaftler: 53 Gewichtete Anzahl: 143 Quelle: dpa/dpaweb
Platz 9: Universität BayreuthBayreuth ist nicht nur für Wagner-Fans interessant, sondern auch für Wissenschaftler. Gastwissenschaftler: 53 Gewichtete Anzahl: 70 Quelle: dpa

Die griechische Regierung wäre klug beraten, die Hilfe systematisch einzufordern und die Rahmenbedingungen zu verbessern. Leider ist das oft nicht der Fall. In Polen beispielsweise hat man kürzlich angefangen, mit europäischer Hilfe aus Brüssel Ableger von Max-Planck-Instituten aufzubauen – mit polnischen Wissenschaftlern an der Spitze, die zuvor in Deutschland gearbeitet haben. Ähnliches wird in Griechenland seit Jahren versucht – ohne Erfolg. Dafür gibt es strukturelle, aber auch kulturelle Gründe: Die griechische Verwaltung will sich nicht mit Transformationsländern auf eine Stufe stellen lassen, obwohl Griechenland de facto ein Transformationsland ist.

Gibt es Auswanderergemeinden aus anderen Ländern, die ihrer alten Heimat geholfen haben?

Ja. Koreaner und Japaner haben in den vergangenen Jahrzehnten mit Direktinvestitionen den Aufbau von innovativen Unternehmen finanziert. Auch die irische Diaspora soll während und nach der Finanzkrise sehr aktiv gewesen sein, wenngleich es darüber keine fundierten Daten gibt. Im Übrigen könnte die griechische Diaspora auch auf andere Weise helfen.

Nämlich?

Die griechische Diaspora bietet sich auch als potenzielle Nachfragergruppe für heimische Produkte an. Kluge Unternehmer in Griechenland könnten ihre Produkte auf dieses Weise ins Ausland verkaufen.

Was muss als nächstes passieren, damit die Diaspora eher bereit ist, in Griechenland mitzuwirken?

Ich glaube, es wäre das Beste, wenn sich die griechische Regierung endlich die Reformvorschläge der Gläubiger zu Eigen machen würde. Strukturreformen wie die Vereinfachung der Regulierung der in den Produktmärkten, ein massiver Abbau der Bürokratie und der vielzahligen, sich gegenseitig widersprechenden Vorschriften und eine Reform der Zivilprozessordnung wären ein sehr wichtiger Beitrag, um die griechische Diaspora für ihr eigenes Land wieder zu gewinnen.

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