Das dramatisch verschuldete Griechenland will in der europäischen Finanzpolitik nicht mehr „Teil der Krise, sondern Teil der Lösung“ sein. Das beteuert Ministerpräsident Alexis Tsipras bei einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag in Berlin. Aber Griechenland kommt nicht aus der Krise, es gibt massiven Ärger mit den internationalen Gläubigern. Und nun steht wegen eines tatverdächtigen Flüchtlings noch die griechische Polizei in der Kritik. Merkel und Tsipras treten zwar gemeinsam öffentlich auf, lassen aber keine Fragen zu. Doch davon gibt es viele.
Welche Rolle spielte Griechenland im „Mordfall Freiburg“?
Hätte die griechische Polizei den mutmaßlichen Vergewaltiger und Mörder einer 19-jährigen Studentin in Freiburg im vorigen Jahr international zur Fahndung ausgeschrieben, wären deutsche Beamte womöglich schon früher auf ihn aufmerksam geworden. Denn in Griechenland war der Tatverdächtige, der Flüchtling Hussein K., 2014 wegen des Überfalls auf eine Studentin mit schwerer Körperverletzung zu zehn Jahren Haft verurteilt - und 2015 im Zuge einer Amnestiewelle unter Auflagen freigelassen worden. Dann verschwand er vom Radar der Behörden, die ihn nur national zur Fahndung ausschrieben. Vermutlich haben Merkel und Tsipras über den Fall gesprochen. Was, blieb offen.
Wie verstehen sich Merkel und Tsipras eigentlich?
Merkel sagt: „Wir haben nicht immer einfache Gespräche gehabt.“ Aber sie seien „immer aufrichtig und ehrlich“ gewesen. Tsipras bekennt: „Unsere Beziehungen sind gekennzeichnet durch Stabilität und Direktheit.“ Aufgebaut auch in den schwierigen Momenten. In der griechischen Schuldenkrise hatten vor allem Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei einem EU-Gipfel in Brüssel Tsipras massiv unter Druck gesetzt, harten Reformen zuzustimmen. So gilt das deutsch-griechische Verhältnis als belastet. Dennoch setzt Tsipras auf Merkels Unterstützung in der EU, wo sie die dienstälteste Regierungschefin und mächtigste Frau ist.
Alexis Tsipras und die Schuldenkrise
Das Syriza-Linksbündnis unter Tsipras gewinnt die vorgezogenen Neuwahlen mit gut 36 Prozent. Seine Popularität verdankt er der Ablehnung des mit den internationalen Geldgebern vereinbarten Sparkurses. Tsipras schmiedet ein umstrittenes Regierungsbündnis mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen.
Die Euro-Finanzminister verlängern das Hilfsprogramm von Ende Februar bis Ende Juni 2015.
Tsipras trifft zu seinem ersten offiziellen Besuch in Berlin ein. Mit einer Reformliste will er bei Kanzlerin Angela Merkel für sich werben.
Die Krise im pleitebedrohten Griechenland verschärft sich. Das Tauziehen um Reformen geht weiter. Tsipras gerät in der eigenen Partei unter Druck, weil der linke Flügel gegen weitere Zugeständnisse an die Geldgeber ist.
Tsipras kündigt vor dem entscheidenden Treffen der Eurogruppe ein Referendum über die Sparvorschläge der Geldgeber an und zieht damit deren Ärger auf sich. Kurz vor dem Auslaufen des zweiten Hilfspakets bittet er um ein drittes Hilfsprogramm unter dem Euro-Rettungsschirm ESM.
Tsipras will nach dem Nein der Griechen zu den Sparvorgaben der Gläubiger neue Verhandlungen. Bei einer Abstimmung im Parlament über das Spar- und Reformprogramm verfehlt er deutlich eine eigene Mehrheit, doch die Opposition stimmt überwiegend mit Ja. Sein Finanzminister Gianis Varoufakis tritt zurück. Kurz darauf entlässt Tsipras zahlreiche Regierungsvertreter seines linken Partei-Flügels. Beim Ja des Parlaments zu einem zweiten Reformpaket verfehlt er aber wiederum die eigene Mehrheit.
Tsipras kann die Experten der Gläubiger überzeugen: In den Verhandlungen über weitere Finanzhilfen bis zu 86 Milliarden wird eine Grundsatzeinigung erzielt. Aber der linke Syriza-Flügel läuft Sturm gegen die Sparmaßnahmen.
Bei der Abstimmung über das neue Hilfsprogramm verfehlt Tsipras erneut eine eigene Mehrheit seiner Koalition. Aus Regierungskreisen heißt es, er wolle nach Zahlung der ersten Tranche der Finanzhilfe die Vertrauensfrage stellen.
Der Bundestag stimmt weiteren Krediten zu. Die Euro-Finanzminister bewilligen die erste Kredittranche von 26 Milliarden Euro.
Tsipras will nach Angaben aus Regierungskreisen zurücktreten, um den Weg für vorgezogene Parlamentswahlen am 20. September zu ebnen. Er erhofft sich dadurch ein frisches Mandat, ehe die harten Sparmaßnahmen des neuen Sparprogramms greifen.
Hatte Tsipras besondere Anliegen im Gepäck?
Er dürfte vor allem auf den zügigen Beginn der Verhandlungen zur Erleichterung der Schuldenlast seines Landes gedrängt haben. Die Chancen dafür stehen im Moment jedoch denkbar schlecht. Tsipras' Entscheidung, den Rentnern in diesem Jahr ein Weihnachtsgeld von 617 Millionen Euro auszuzahlen und die griechischen Flüchtlingsinseln in der Ostägäis mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu unterstützen, hat einen Teil der Gläubiger - vor allem Berlin - schwer verstimmt. Bevor es weitere Hilfen gibt, soll nun zuerst geprüft werden, ob diese Sonderausgaben mit den Forderungen der Gläubiger in Einklang stehen. In Berlin verwies Tsipras auf Prognosen, dass die griechische Wirtschaft 2017 um 2,7 Prozent und 2018 um 3,1 Prozent zulegen könne. Merkel sagte nichts zu den Rentengeschenken. Sie betonte, die Entscheidungen seien bei den Institutionen (EZB, EU, IWF) in guten Händen. Weiter offen ist, ob sich der Internationale Währungsfonds am dritten Athen-Rettungspaket beteiligen wird. Das will der Bundestag..
Wie steht es um die innenpolitische Lage in Griechenland?
Das Renten-„Weihnachtsgeschenk“ hilft Tsipras innenpolitisch kaum weiter; der Groll der Wähler auf die Regierung ist groß, immer wieder gehen die Menschen auf die Straße, die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) erhält in Umfragen doppelt so viele Stimmen wie die linke Regierungspartei Syriza und fordert fast täglich Neuwahlen.
Sind Neuwahlen denn eine Option, und was gehen sie das Ausland an?
Neuwahlen könnte sogar Tsipras selbst veranlassen, glaubt die griechische Presse. Sie würden einen monatelangen Stillstand verursachen und die Verhandlungen mit den Gläubigern stocken lassen. Das wiederum wäre nicht im Interesse der europäischen Partner, die - stattdessen mit den Verhandlungen über Schuldenerleichterungen beginnen könnten - und Tsipras dadurch innenpolitisch aufwerten.
Ist denn Stabilität in Griechenland für den Rest Europas so wichtig?
Hier spielt neben der gemeinsamen Währung vor allem die Flüchtlingskrise eine große Rolle. Auf den griechischen Inseln sitzen seit dem Inkrafttreten des europäisch-türkischen Flüchtlingspakts mehr als 16 000 Menschen fest, insgesamt sind es in Griechenland mehr als 62 000. Sollte die Türkei den Pakt aufkündigen, wäre das Land womöglich erneut einem großen Flüchtlingsansturm ausgesetzt, dem es nicht Herr werden könnte.
Wie wollen Merkel und Tsipras die Flüchtlingskrise lösen?
Beide pochten eindringlich auf die Solidarität aller EU-Staaten. „Griechenland steht vor riesigen Herausforderungen“, sagte die Kanzlerin. Und: „Wir beide werben gemeinsam immer wieder dafür, dass wir zu einer fairen Verteilung der Flüchtlinge kommen müssen innerhalb der Europäischen Union - und ein Land wie Griechenland hier nicht alleine lassen können.“ Tsipras lenkte unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise den Blick auf „rassistischen Bewegungen“. Alle europäischen Kräfte müssten gegen die vorgehen, die die EU bedrohten.