Alternative zur Währungsunion Die Lehren aus der Vorgeschichte des Euro

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Illusion der Konvergenz

Letztlich, so Höpner und Spielau, hat das EWS funktioniert, also dafür gesorgt, dass die Leistungsbilanzungleichgewichte gering blieben. Allerdings nur unter hohem politischem Aufwand, der immer dann fällig wurde, wenn sich Ungleichgewichte aufgebaut hatten. Nur phasenweise schien man sich der Hoffnung hingeben zu können, dass ganz Westeuropa auf dem Pfad der Konvergenz sicher voranschreite. Die nachhaltige Angleichungswirkung, die sich die Schöpfer des Euro erhofften, trat nicht ein.

Die heutigen Krisenländer sind nicht zufälligerweise jene, die zu EWS-Zeiten häufig abwerten mussten. Die quer durch Europa verlaufende Spaltlinie wird von unterschiedlichen  Merkmalen bestimmt, die der Historiker Werner Abelshauser unter dem Begriff „Wirtschaftskulturen“ begreift. Dazu gehören nicht nur verschiedene Einstellungen zur Preisstabilität und zur Unabhängigkeit der Geldpolitik, sondern auch Unterschiede hinsichtlich der Umstände der Lohnfindung, die sich auch in der Wirtschafts- und Währungsunion nicht eingeebnet haben. Es sind Prägungen, die tief in der Geschichte der Länder wurzeln und nicht einfach durch Politik aus der Welt zu schaffen sind.

von Silke Wettach, Karin Finkenzeller

Die Währungsturbulenzen von 1992 hätten eigentlich die Erwartung eines unumkehrbaren Konvergenztrends zerstören müssen, die in der Ruhephase zuvor den Weg nach Maastricht geebnet hatte. Zumindest wenn die Währungsunion ein rein rationales Unternehmen gewesen wäre. Doch das war und ist sie eben nicht. Man dürfe sich, so Höpner und Spielau „die rationale Strategie- und Prognosefähigkeit der Architekten des Euro nicht zu ausgeprägt vorstellen“. Die beiden Soziologen ziehen aus der Rückschau auf das EWS den Schluss, dass die damaligen Politiker eher durch die deprimierende „Aussicht auf eine niemals endende Serie an politisch verhandelten Wechselkursanpassungen“ zur Währungsunion getrieben wurden.

Entscheidend war nicht die ökonomische Vernunft

Die Männer, die den Zug noch hätten anhalten können, waren dazu nicht willens – vor allem nicht der an monetären Fragen eher uninteressierte Helmut Kohl. Kurt Biedenkopf, damals sächsischer Ministerpräsident, gehörte zu jenen wenigen Mahnern, die Kohl dazu drängten, die Einführung des Euro wenigstens zu verschieben. Doch Kohl glaubte dies Francois Mitterand nicht zumuten zu können. Der Euro war aus französischer Sicht eine Bedingung für die Zustimmung zur deutschen Einheit gewesen.

Schon vor seiner Einführung war der Euro eng verbunden mit überökonomischen, politischen Interessen: Den Weg einer immer engeren Union und die Einbindung Deutschlands unumkehrbar zu machen. Einmal beschlossen, war die Währungsunion sofort unauflösbar mit der Legitimität der gesamten politischen Führung Europas verbunden. Das war und bleibt entscheidender als deren ökonomische Rationalität. Den in Maastricht eingeschlagenen Pfad zu verlassen, wäre mit unkalkulierbaren Kosten verbunden – politischen noch mehr als ökonomischen.

Als Plädoyer für die Auflösung der Währungsunion wollen Höpner und Spielau ihre Studie daher nicht verstanden sehen. Das unterscheidet ihren Blick wohltuend von jenen Ökonomen, die so tun, als könne man den Euro allein nach seinen ökonomischen Dimensionen begründen oder ablehnen.

Vor allem die geopolitischen und psychopolitischen Folgedynamiken einer Auflösung der Union sind kaum kalkulierbar. Die drohenden Gefahren für die Stabilität Europas, die diese bedeuten würden, sind möglicherweise der eigentliche Kitt, der die Währungsunion trotz wachsender Fliehkräfte beisammen hält. Der Euro wurde nicht allein aus ökonomischen Gründen eingeführt. Es ist daher kaum anzunehmen, dass ökonomische Rationalität seine Hüter überzeugt, das Projekt in Frage zu stellen.

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