Wahlprogramme richten sich an jeden. Doch wer sich die Forderungen und Erläuterungen der Parteien vornimmt, braucht eine gute Portion Hartnäckigkeit. Die AfD konfrontiert ihre Leser mit "konfiskatorischen Staatseingriffen", die Grünen schreiben über "Immaterialgüterrechte" und die SPD über "Normenkontrollmechanismus". Damit überfordern sie viele Bürger, so das Ergebnis einer Studie der Universität Hohenheim und der Firma H&H Communication Lab.
Paradoxerweise werden die Programme seit der ersten Wahl im Jahr 1979 immer verständlicher - auf niedrigem Niveau. Anikar Haseloff hat die Parteiprogramme zur Europawahl mit dem Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider einer Textanalyse unterzogen. Sie kommen zu dem Ergebnis: "Die Wahlprogramme sind besser, aber immer noch unverständlich."
Wie lesbar die umfangreichen Werke sind, messen sie mit dem sogenannten Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Die Skala reicht von 0 (überhaupt nicht verständlich) bis 20 (maximal verständlich). Die Textanalyse-Software misst die Länge der Sätze, der einzelnen Wörter und den Anteil der Schachtelsätze. Je höher die Werte, desto schlechter die Lesbarkeit.
Der Durchschnitt liegt mit 8,9 Punkten über den Ergebnissen aller vergangenen Wahlen. Sämtliche Oppositionsparteien von der Linken bis zur FDP landeten unter dem Durchschnitt.
Lesbar wie ein Werbebrief
Am besten schnitt beim Verständlichkeits-Check die bayrische CSU ab. Sie erreicht 13 Punkte auf der Skala und ist damit so lesbar wie ein Werbebrief oder eine einfache Nachricht in einer Tageszeitung, erklärt Haseloff. Dass die CSU so gut abschneidet, liege daran, dass in der Partei große Einigkeit über die Positionen herrscht.
Ganz anders bei der AfD: Mit nur 6,4 Punkten schnitt sie am schlechtesten ab. Ihr Programm liest sich laut dem Index in etwa so gut wie die Vertragsunterlagen einer Versicherung. Ein Grund könnten die Uneinigkeiten in der jungen Partei sein, erklärt Haseloff. "Wenn eine Partei intern keine klaren Positionen hat, ist es schwierig, einfach zu formulieren."
Dass das auch dem Parteivorsitzenden, Ökonomie-Professor Bernd Lucke, schwerfällt, weiß jeder, der ihn schon einmal bei einer Wahlkampfveranstaltung gesehen hat. Geht es um den Euro, kippt die Stimmung schnell von rettungspolitischer Empörung in schläfrige Hörsaalatmosphäre. Luckes Anspruch an den Zuhörer findet sich laut Haseloff in dem Programm wieder.
Uneinigkeit führt zu Unlesbarkeit
Zu den vergangenen Europawahlen untersuchten die Forscher um Kommunikationswissenschaftler Brettschneider die Programme auch thematisch. Die Verständlichkeit des Programms spiegelt dabei die Einigkeit in der Partei zum Thema wider. So waren Passagen zur Energiepolitik bei den Grünen leicht verständlich, außenpolitische Positionen eher kompliziert ausgedrückt. "Kernkompetenzen sind am einfachsten zu kommunizieren", sagt Haseloff.
Die Lesbarkeit ist also auch ein Ausdruck dafür, wie einig sich eine Partei ist. An besonders komplizierten Stellen im Programm war die Partei wahrscheinlich dazu gezwungen, ihre Position stark auszudifferenzieren. Nur so können sie es allen Mitgliedern recht machen - und das Programm verabschieden.
Wer soll 120 Seiten lesen?
Ein weiteres Hindernis für interessierte Wähler ist die Länge des Programms. Erwarten die Grünen ernsthaft, dass sich jemand durch 120 Seiten Wahlprogramm forstet? Mit einer Bewertung von 7,7 sind die nicht einmal sonderlich lesbar. Haseloff empfiehlt eine Länge von maximal 60 Seiten. Die CSU kommt auf 17.
Eine Schlagwort-Analyse zeigt auch, worüber die Parteien in ihren Programmen am häufigsten sprechen. Es ist wenig verwunderlich, dass ganz oben in der Liste "Europa", "EU" und "europäisch" stehen.
Die CDU schreibt oft "Deutschland", die CSU "Bayern".
Die AfD benennt sich häufig selbst.