Anders gesagt
Matteo Salvini, Innenminister und Vorsitzender der Lega, gibt in Italien den Kurs vor. Quelle: dpa

Das Defizitverfahren gegen Italien ist eine Farce

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Das von Brüssel geforderte Defizitverfahren gegen die populistische Regierung Italiens kann nur eine Farce werden, weil die Sanktionen absurd wären.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die Europäische Kommission hat in dieser Woche die Eröffnung eines Defizitverfahrens gegen die Republik Italien empfohlen. Schlottern deswegen nun den Regierenden in Rom die Knie? Ganz bestimmt nicht. Man weiß in Italien wie in Brüssel und im Rest der Welt, dass die vertraglich möglichen Sanktionen, nämlich ein Bußgeld in Höhe von 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und Streichung von EU-Zuflüssen, niemals effektiv werden.

Nicht nur aus jüngerer historischer Erfahrung mit französischen, deutschen, griechischen Staatsdefiziten kann man das ahnen, sondern weil das ganze Konstrukt des Verfahrens nicht vom Ende her bedacht ist. Es wird nicht angewendet, weil es von vornherein ein wirklichkeitsfremder Unsinn ist. Alle Beteiligten wissen: Das Verfahren kann nur eine Farce sein – erst recht, wenn man es konsequent durchzöge. Und darum lässt man das lieber sein.

Die vorgesehenen Strafen nämlich sind der eigentliche Schwachpunkt der Währungsunion. Spätestens, wenn sie wirklich eingesetzt würden, würde ihre Absurdität offensichtlich: Ein Staat, der sich verschuldet, weil er zu viel Geld ausgibt, würde also verdonnert, noch mehr Geld auszugeben – diesmal nicht für die Bürger des Landes und Wähler der Regierenden, sondern für die große Kasse in Brüssel.

Wo sollte denn Italien das Geld für diese Sanktionen hernehmen? Klar, durch Schuldenaufnahme, woher auch sonst. Die Strafe hätte also keinen anderen Effekt als die Verstärkung der Folgen des Vergehens. Nach dem Defizitverfahren hätte Italien noch höhere Schulden – und der Rest der Eurozone ein noch größeres Problem. Oder kann sich irgendjemand ernsthaft vorstellen, dass eine Regierung ausgerechnet für Brüssel ihre Bürger dazu verdonnert, den Gürtel deutlich enger zu schnallen? So etwas könnte wohl nicht einmal ein hypothetischer Bundeskanzler Robert Habeck seinen postmaterialistisch-europhilen Wählern in Berlin, Stuttgart und Hannover zumuten. Ein Salvini käme mit Sicherheit nicht auf die Idee.

De facto hat die Europäische Kommission keine Druckmittel in der Hand, die über eine moralische Verurteilung hinausreichen. Aber diese wird man wohl möglichst deutlich inszenieren. Die Brandmarkung der italienischen Regierung als Defizitsünderin fällt in Brüssel vielen natürlich leicht, da Italien von Populisten regiert wird. Gerade aus Deutschland dürften sich wenige Hände rühren, um die Regierung Conte (die tatsächlich immer mehr zu einer Regierung Salvini zu werden scheint) in Schutz zu nehmen. In Rom regieren schließlich Verbündete der AfD. Darüber hinaus wird vorerst nichts passieren – weil das eben nur zur Farce für die gesamte (Währungs-)Union würde.

Sanktionen wirken nicht, wenn sie nicht die Handelnden auch persönlich treffen. Die EU ist aber kein europäisches Reich und die Kommission keine souveräne Zentralmacht, die zur Züchtigung von Vasallen ausrücken kann. Die Schöpfer der Währungsunion gaben sich aber offensichtlich dieser Illusion hin.

Für Regierende kommt es auf die Zustimmung der eigenen Wähler an. Ob nun eine moralische Verurteilung als Defizitsünder ausgerechnet auf Salvini und seine Anhänger einen entscheidenden Eindruck machen wird, kann man bezweifeln. Er weiß, dass er in Brüssel, Berlin und Paris ohnehin nicht gut gelitten ist. Warum sollte er sich mehr Sorgen über ein Defizitverfahren machen als seinerzeit die Regierenden in Frankreich oder Griechenland oder zu Gerhard Schröders Zeiten in Deutschland?

Salvini kann wohl ohnehin angesichts der griechischen Erfahrungen seit 2010 davon ausgehen, dass am Ende ohnehin niemand den Willen und die politische Kraft hat, Prinzipientreue zu halten, wenn man stattdessen auch zwei Augen zudrücken und sich irgendwie mit der frommen Hoffnung auf den Sanktnimmerleinstag durchwursteln kann. Was unter solchen Umständen mittel- bis langfristig aus der Währungsunion werden soll? Keine Ahnung.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%