Anke Hassel „Eine Welt ohne Anreize funktioniert nicht“

Das bedingungslose Grundeinkommen würde nicht mehr Gleichheit, sondern mehr Ausgrenzung bewirken, sagt Anke Hassel von der Hans-Böckler-Stiftung.

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Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Frau Hassel, angenommen es gäbe ein Grundeinkommen. Wie viele Menschen würden Ihrer Einschätzung aufhören, zu arbeiten?
Anke Hassel: Die meisten würden sicher weiter arbeiten - schon allein deshalb, weil das Grundeinkommen in den meisten Modellen ja nur das Existenzminimum abdeckt. Doch gleichzeitig würde ein Teil der Menschen, die jetzt schon an diesem Minimum leben, dadurch langfristig ausgegrenzt werden. 

Zur Person

Wie meinen Sie das?
Bei Menschen aus dem Niedriglohnsektor macht es für ihren Lebensstandard keinen Unterschied mehr, ob sie arbeiten oder nicht. Vielleicht wären Sie kurzfristig froh, nicht mehr arbeiten zu müssen. Doch langfristig kämen sie aus dieser gesellschaftlichen Position nicht mehr raus, sie würden sich in der Armut einrichten. Ich möchte jedoch, dass Menschen, die derzeit in dieser Situation stecken, eine Perspektive bekommen.

Doch wenn die Menschen von ihren Existenzängsten befreit sind, würden sie dann nicht frei entscheiden können, was sie mit ihrem Leben anfangen?
Die Gesellschaft würde keine Investitionen mehr in die Weiterbildung von Menschen tätigen. Man würde immer sagen: Warum denn? Die sind doch versorgt. Und damit wäre die Unterbeschäftigung ihre langfristige Perspektive. 

Und was, wenn die Menschen in ihrem Nichtstun zufriedener wären?
Kurzfristig wären sie vielleicht glücklich. Doch dafür gäbe es andere Möglichkeiten. Ich bin absolut dafür, dass Menschen Auszeiten nehmen sollten, zum Beispiel in Form von Sabbaticals. Doch das kann keine Perspektive für das gesamte Leben sein.

Auch, wenn die Menschen statt Lohnarbeit andere sinnvolle Arbeit, zum Beispiel im Ehrenamt, leisten?
Es gibt heute schon Wohngebiete, wo die Bezugsquote von Sozialhilfe sehr hoch ist. Das korreliert nicht mit dem zunehmenden gesellschaftlichen Engagement. 

Wie sollten wir mit gesellschaftlicher Arbeit umgehen, die derzeit überhaupt nicht entlohnt wird?
Es gibt tatsächlich Bereiche, in denen viel unbezahlte Arbeit geleistet wird, die den Staat ansonsten viel Geld kosten würde. Da brauchen wir mehr finanzielle Unterstützung, zum Beispiel für Angehörige, die Pflegeleistungen übernehmen. Doch ich lehne ab, dass der Staat die Verantwortung über ein Grundeinkommen komplett abgibt und dann zum Beispiel Leistungen einstellt. 

In anderen Branchen finden immer größere Teile der Produktion automatisiert statt. Ein Grundeinkommen könnte diesen Wegfall von Jobs sozial abfangen.
Ich sehe derzeit überhaupt keine Anzeichen dafür, dass uns die Arbeit ausgeht. Wir haben einen Hochstand an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Täglich entstehen neue Beschäftigungsbereiche, gerade in der virtuellen Welt. 

Und gerade aus dieser Branche engagieren sich einige Unternehmer für ein Grundeinkommen. Was halten Sie davon?
Gerade die Silicon-Valley-Unternehmer haben stets sehr viel Energie darauf verwendet, Steuern zu minimieren. Da entgehen uns in Deutschland Steuerbeträge von mehreren Milliarden. Wenn die gleichen Menschen auf einmal sagen: Wir finanzieren ein Grundeinkommen durch die Besteuerung unseres eigenen Geschäftsmodells, frage ich mich: Warum nimmt das überhaupt jemand ernst?

Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, in einem Arbeitsverhältnis zu sein?
Arbeit bedeutet vor allem Integration in die Gesellschaft. Menschen suchen über Arbeit auch Wertschätzung, soziale Kontakte. Das geht über das Finanzielle hinaus. Kinder machen das in der Schule, Erwachsene machen das über den Arbeitsmarkt

Konzepte zur Förderung eines bedingungslosen Grundeinkommens

Die Befürworter des Grundeinkommens argumentieren: Mit der gleichen Grundausstattung hätte jeder die gleichen Chancen, an der Gesellschaft zu partizipieren.
Ein gleicher Geldbetrag nahe am Existenzminimum bedeutet doch keine Chancengleichheit. Die haben Sie durch Bildungszugang oder durch Zugang zu kulturellem Kapital. Das sind Aspekte der Teilhabe, die das Grundeinkommen nicht ermöglicht.  Es wird damit nicht zu einer Reduzierung der sozialen Ungleichheit führen, sondern zum Gegenteil. 

Also braucht der Mensch aus Ihrer Sicht den Antrieb der Existenzsicherung?
Diese Diskussion hat immer die Konnotation: Die Befürworter haben ein positives Menschenbild, die Gegner haben ein negatives Menschenbild. Dagegen wehre ich mich.  Ich habe immer den Teenager vor Augen, der sich in der Schule anstrengen müsste und dann diese Perspektive des Grundeinkommens hätte. Ich habe zwei Kinder in dem Alter und weiß, wie schwer es für junge Menschen ist, die langfristigen Folgen ihres Handelns zu sehen. Eine Welt ohne Anreize, allein im Vertrauen auf intrinsische Motivation, da zeigt meine Erfahrung: das funktioniert nicht.

Interview aufgezeichnet von Katharina Matheis.

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