Bei allem Schock über die Anschläge in Paris ist nach Meinung von Experten aber Augenmaß gefragt, um unerwünschte Folgen zu vermeiden. Dauerhaft verschärfte Grenzkontrollen etwa wären für Thilo Brodtmann ein Graus. Der Hauptgeschäftsführer des Verbands der deutschen Maschinen- und Anlagebauer sagt: „Dauerhafte Grenzkontrollen würden dem gemeinsamen Binnenmarkt widersprechen und sind deshalb abzulehnen.“ Eine getaktete lagerlose Fertigung (Just-in-Time) etwa funktioniert nur, wenn die Zulieferer mit ihren Waren genau zum richtigen Zeitpunkt vorfahren.
Lange Wartezeiten an den Grenzkontrollen würden fein austarierte Produktions- und Logistikketten stören. Maschinenbauer Brodtmann sagt aber auch: „Die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer sehen derzeit keine Auswirkungen für ihre Produktion und den Warenverkehr durch die Terroranschläge in Paris. Auch vorübergehende Grenzkontrollen würde die Industrie nicht über die Maßen beeinträchtigen.“
Frankreich und der Terror
Am französischen Nationalfeiertag am 14. Juli rast in der Hafenstadt Nizza ein Attentäter mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge. Mindestens 84 Menschen werden getötet, mehr als 200 verletzt.
Am 26. Juli haben in Saint-Étienne-du-Rouvray in der Normandie zwei Geiselnehmer einen Priester getötet, ein weiteres Opfer schwebt in Lebensgefahr. Die mutmaßlichen Täter wurden getötet. Der IS reklamierte die Tat über sein Sprachrohr Amak für sich.
Ein Mann ersticht in Magnanville westlich von Paris einen Polizisten und dessen Lebensgefährtin. Die Polizei erschießt den Täter, der sich zuvor zum IS bekannt hatte.
Am Jahrestag der Anschläge auf „Charlie Hebdo“ schießen Polizisten vor einem Pariser Kommissariat einen Mann nieder. Er war mit einem Messer bewaffnet und trug die Attrappe einer Sprengstoffweste.
Bei einer koordinierten Anschlagsserie in Paris töten IS-Extremisten 130 Menschen. In der Konzerthalle „Bataclan“ richten sie ein Massaker an, Bars und Restaurants werden beschossen, am Stade de France sprengen sich während des Fußball-Länderspiels Frankreich-Deutschland drei Selbstmordattentäter in die Luft.
Ein 25-jähriger Islamist wird im Thalys-Schnellzug auf dem Weg von Brüssel nach Paris bei einem Anschlagversuch mit einem Schnellfeuergewehr von Fahrgästen überwältigt. Zwei Zuginsassen werden verletzt.
Bei einem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris werden zwölf Menschen ermordet. Die beiden islamistischen Attentäter Chérif und Said Kouachi kommen zwei Tage später bei einer Polizeiaktion nordöstlich von Paris um. Der Islamist Amedy Coulibaly, der die Brüder Kouachi kannte, erschießt bei Paris eine Polizistin und nimmt mehrere Geiseln in einem jüdischen Supermarkt. Er tötet dort vier Menschen, bevor er von der Polizei erschossen wird.
Die Gruppe Jund al-Khilafa („Soldaten des Kalifats“), ein Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat, enthauptet einen in Algerien entführten französischen Touristen.
In Mali werden zwei Mitarbeiter von Radio France Internationale (RFI) entführt und ermordet. Die Terrororganisation Al-Kaida im islamischen Maghreb bekennt sich zur Tat. Zuvor hatte sich die Gruppe dazu bekannt, eine andere französische Geisel getötet zu haben.
Ein Serien-Attentäter erschießt sieben Menschen, darunter drei Kinder und einen Lehrer einer jüdischen Schule. Er wird nach rund 32-stündiger Polizeibelagerung seiner Wohnung erschossen. Zuvor hatte er sich als Al-Kaida-Anhänger bezeichnet.
Vor der Küste Jemens rammt ein mit Sprengstoff beladenes Boot den französischen Tanker „Limburg“. Ein Matrose kommt ums Leben. Al-Kaida bekennt sich zu dem Anschlag.
Bei einem Anschlag mit einer Gasflaschen-Bombe im Pariser S-Bahnhof Port Royal kommen vier Menschen ums Leben. Bereits 1995 waren bei einer Serie von Terroranschlägen, die islamischen Fundamentalisten aus Algerien zugeschrieben werden, in Frankreich insgesamt acht Menschen getötet worden.
Bei einem Absturz eines französischen Flugzeugs in Folge einer Bombenexplosion an Bord über dem afrikanischen Staat Niger sterben 170 Menschen. Ein französisches Gericht verurteilt sechs Libyer in Abwesenheit zu lebenslanger Haft, unter ihnen einen Schwager des damaligen libyschen Staatschefs Muammar el Gaddafi.
Für clevere Ideen bietet eine angespannte Sicherheitslage sogar Chancen. „Israel hat etliche High-Tech-Unternehmen, viel mehr als unsere Nachbarländer“, sagt David Gal, Aufsichtsratschef und Miteigentümer von Scanmaster in Kfar Saba nahe Tel Aviv. Sein Unternehmen stellt unter anderem Scanner für die Kontrolle von Gepäckstücken her. „Israel exportiert Sicherheitstechnik in alle Welt. Auf die exportorientierte Industrie hat die Bedrohung überhaupt keinen Einfluss, höchstens auf lokale business cyles.“ Unternehmen stünden zudem in Israel nicht im Fokus von Attentätern.
Vor allem Frankreich selbst, das Hauptziel der Terroristen, sollte der Versuchung widerstehen, über das Ziel hinaus zu schießen. „Der Anschlag trifft Frankreich in einem Moment, in dem es so aussah, als käme die Wirtschaft wieder nach oben“, sagt Lutz Hartmann, Rechtsanwalt in Frankfurt und Paris sowie Außenhandelsberater der französischen Regierung. „Zahlreiche französische Unternehmen hatten uns zuletzt von guten Hoffnungen für 2016 berichtet.“ Darüber gibt es nun jedoch wieder mehr Fragezeichen. Die Kosten für den Terrorismus würden zunächst die öffentlichen Kassen treffen, allerdings sind die französischen Unternehmen traditionell stärker als in anderen Ländern von öffentlichen Aufträgen abhängig. Die wiederum könnten sinken, wenn die Staatskasse leer ist. Präsident François Hollande hat schon mitgeteilt, dass Frankreich die Defizitziele verfehlen wird.
Warnung vor Staatsdirigismus
Frankreichs Regierung habe einige Fehler wie die Reichensteuer gerade korrigiert. „Sollten mehr Auflagen, mehr Verwaltungsaufwand auf die Unternehmen zukommen, wäre das auf jeden Fall negativ für die wirtschaftliche Erholung“, sagt Hartmann. „Bei allem Verständnis für mehr Sicherheitsmaßnahmen sollte Frankreich darauf achten, jetzt nicht in Staatsdirigismus zu verfallen, sondern die unternehmerische Freiheit weiter im Fokus zu halten.“ BDI-Mann Wachter setzt darauf, dass Sicherheitsbehörden und Industrie gemeinsam Lösungen finden. „Wir brauchen eine noch engere Verzahnung“, sagt der Sicherheits-Abteilungsleiter des Industrieverbands. Nach den jüngsten Attacken werde es Überprüfungen der Sicherheitskonzepte in Unternehmen geben.
Europa
„Die Art der Angriffe wird zu analysieren sein und dann muss man sehen, wie die Sicherheitsmaßnahmen nachjustiert werden können.“ Die Ergebnisse dürften auch in die nationale Wirtschaftsschutz-Strategie einfließen, die der BDI derzeit gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erarbeitet. „Viele Unternehmen wissen gar nicht, an wen sie sich wenden sollen, weil so viele Behörden zuständig sind – das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Landesämter für Verfassungsschutz, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, die Polizei, das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter“, sagt Wachter.
Bis Ende des Jahres soll ein Handbuch erstellt sein und im kommenden Jahr von DIHK, BDI und Bundesinnenministerium vorgestellt werden. Es wird auch ein zentrales Internetportal geben, um schnell Ansprechpartner zu finden. Wachter: „Dabei geht es nicht nur um Terrorismus, sondern auch um Cyberangriffe oder Wirtschaftsspionage.“