
Die Attentate von Paris halten Frankreich und Europa in Atem. Die acht Verdächtigen, die am Mittwoch bei einer Razzia festgenommen wurden, sollen einen weiteren Anschlag unter anderem im Geschäftsviertel La Défense geplant haben.
Dort, wenige Kilometer nordwestlich von Paris, stehen zahlreiche Bürohochhäuser, unter anderem der Luftfahrt- und Rüstungskonzern Thales hat hier seinen Sitz. Der vereitelte Plan macht deutlich, dass Unternehmen in Europa fürchten müssen, ins Visier von Attentätern zu geraten. „Terror ist eine reale Gefahr. Natürlich sind auch die Unternehmen sehr besorgt“, sagt Matthias Wachter, für Sicherheit zuständiger Abteilungsleiter beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).In Aktionismus verfällt aber niemand.
Das bedeuten die Anschläge in Paris für Deutschland
Die Bundespolizei schickt verstärkt Einsatzkräfte an die Grenze zu Frankreich, intensiviert Streifen an Flughäfen und Bahnhöfen. Die Polizisten patrouillieren dort mit Schutzwesten und schweren Waffen. Verbindungen von und nach Frankreich werden besonders in den Blick genommen.
Nach einem Anschlag in einem Nachbarland setzt sich bei Polizei und Geheimdiensten in Deutschland hinter den Kulissen automatisch eine Maschinerie in Gang: Die Behörden checken, ob es mögliche Verbindungen und Kontakte der Täter nach Deutschland gibt. Sie sprechen dazu mit den V-Leuten in der Islamisten-Szene, durchforsten Foren und Netzwerke im Internet. Und sie überwachen besonders die islamistischen „Gefährder“ - also jene, denen sie einen Terrorakt zutrauen. Aber auch Rechtsextremisten, die auf die Anschläge reagieren könnten, stehen unter besonderer Beobachtung.
Belastbare Erkenntnisse dazu gab es zunächst nicht, aber einen ersten Verdacht: In Oberbayern wurde am Donnerstag vor einer Woche auf der Autobahn zwischen Salzburg und München ein Autofahrer angehalten und kontrolliert. Schleierfahnder der Polizei entdeckten im Kleinwagen des 51-Jährigen unter anderem mehrere Kalaschnikow-Gewehre, Handgranaten sowie 200 Gramm TNT-Sprengstoff. „Es gibt einen Bezug nach Frankreich, aber es steht nicht fest, ob es einen Bezug zu diesem Anschlag gibt“, sagt de Maizière. Auf dem Navigationsgerät des Mannes habe man eine Adresse in Paris gefunden. Ob das einen Zusammenhang zur Anschlagsserie bedeute, sei noch unklar. Der Verdächtige, der aus Montenegro stammt, sitzt in Untersuchungshaft.
Als Reaktion auf die Terroranschläge in Paris werden in Deutschland die Sicherheitsmaßnahmen hochgefahren. Es werde in den nächsten Tagen eine für die Bürger sichtlich erhöhte Polizeipräsenz geben, kündigte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Samstagabend (14. November) in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner Spezial“ an. „Die Polizei, die man sieht, wird auch etwas anders aussehen als bisher. Die Ausrüstung wird eine andere sein.“ Zugleich werde zusammen mit den Nachrichtendiensten die Beobachtung islamistischer Gefährder intensiviert.
Bislang gingen bei Polizei und Geheimdiensten etwa 100 Hinweise auf mögliche Terroristen ein, die auf diesem Weg ins Land gekommen sein sollen. Davon habe sich der Verdacht bisher aber in keinem einzigen Fall bestätigt, heißt es aus Sicherheitskreisen. „Aber man darf den IS nicht unterschätzen“, meint der Terrorexperte Rolf Tophoven. „Die Gefahr ist nicht auszuschließen. Unsere Sicherheitsbehörden können nicht jeden kontrollieren.“
Nach Einschätzung von Fachleuten dürften Terroristen eher auf anderem Weg versuchen, nach Deutschland zu kommen - etwa mit gefälschten Papieren im Flieger. Polizei und Geheimdienste beobachten allerdings, dass Islamisten versuchen, junge Flüchtlinge, die schon in Deutschland sind, zu rekrutieren. Generell gilt aber: Attentäter müssen nicht unbedingt von außen ins Land gebracht werden. Es gibt viele Fanatiker, die sich im Inland radikalisiert haben.
Mehr als 43.000 Menschen gehören insgesamt dazu. Die Szene ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen - vor allem durch den starken Zulauf bei den Salafisten, einer besonders konservativen Strömung des Islam. Rund 7900 Salafisten gibt es inzwischen. Polizei und Geheimdienste stufen viele Islamisten als gefährlich ein: Etwa 1000 Menschen werden dem islamistisch-terroristischen Spektrum zugeordnet. Darunter sind 420 „Gefährder“.
Zum Teil sind auch Rückkehrer aus Dschihad-Gebieten darunter. Diese machen den Sicherheitsbehörden große Sorgen, weil viele radikalisiert und kampferprobt zurückkommen. Von den mehr als 750 Islamisten aus Deutschland, die bislang Richtung Syrien und Irak ausgereist sind, ist ein Drittel wieder zurück - also rund 250 Leute. Etwa 70 davon haben Kampferfahrung gesammelt.
„Bislang gibt es keine deutlichen Verschärfungen der Sicherheitsmaßnahmen bei deutschen Unternehmen“, sagt Wachter. Unternehmen müssen vor allem lernen, mit dem Risiko zu leben. Kritische Industrien wie der Energiesektor, die Wasserversorgung oder die Telekommunikation sind sich der Bedrohung seit Jahren bewusst und haben ihre Schutzstandards erhöht.
Obwohl es beim abgesagten Fußball-Länderspiel Deutschland gegen die Niederlande am Dienstagabend auch eine Anschlagswarnung für Deutschland gab, herrscht in den meisten Unternehmen angespannte Ruhe. „Es gibt derzeit keine Warnungen, dass konkrete Industrieanlagen besonders im Fokus von Terroristen stünden“, sagt BDI-Experte Wachter. Eine Einschätzung, die die Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) bestätigt. Der in Berlin ansässige Dachverband der Sicherheitschefs in den Unternehmen hält engen Kontakt zum Krisenstab im Auswärtigen Amt.
Sorgen bei Betreibern von Hallen und Vergnügungsstätten
Bisher musste der ASW-Bundesverband keine „verschärfte Gefährdungslage“ an seine Mitglieder melden. „Das Lagebild für Deutschland hat sich grundsätzlich nicht verändert“, sagt ASW-Geschäftsführer Jan Wolter. Allerdings habe sich der Kreis der potenziell betroffenen Unternehmen erweitert. Die Betreiber von Konzerthallen und Vergnügungsstätten müssten ihre Sicherheitskonzepte im Lichte der Anschläge gegebenenfalls neu bewerten, sagt Wolter.
Für die großen, weltweit präsenten Dax-Unternehmen gehört die Abschätzung von Terrorrisiken zum täglichen Geschäft. Die Sicherheitsabteilungen erstellen quasi täglich Lagebilder von Risikoländern – ganz gleich, ob es um den Krieg in Syrien oder die Auseinandersetzungen von Drogenbossen in Mexiko geht. Sobald ein Topmanager ins Ausland reist, wird für jeden Aufenthaltsort eine genaue Sicherheitsanalyse erstellt. Das gleiche gilt für alle Niederlassungen im Ausland.
Das schreiben die französischen Zeitungen zu den Anschlägen
„Alle Antiterror-Experten haben einen Großangriff in Frankreich erwartet. Die Eingreiftruppen haben sich schon lange auf diese Art von Anschlägen auf verschiedene Ziele vorbereitet.“
„Wut und Abscheu: Das empfindet man angesichts der Morde, die die Täter in Paris mit der üblichen Feigheit der Terroristen verübt haben. Im Namen der Märtyrer vom Freitag, der unschuldigen Opfer und im Namen der Republik wird Frankreich vereint bleiben und dem Terror die Stirn bieten.“
„Elf Monate nach den Anschlägen vom Januar hat der Terrorismus wieder getötet. Im großen Ausmaß. Blind und ohne Mitleid.“
„Paris ist angegriffen. Paris ist die Zielscheibe. Paris wird wieder einmal verletzt, auf blutige, erschütternde und entsetzliche Weise. Nur wenige Tage, bevor die Staatschefs zum UN-Klimagipfel in der französischen Hauptstadt landen, (US-Präsident) Obama, (der russische Präsident) Putin und andere. Der Terrorismus hat vor aller Augen seine Schlagfähigkeit demonstriert, und hat gezeigt, dass er durch Massenmorde ein Entsetzen auslösen kann, das auf Frankreich, aber auf die gesamte Welt zielt. Der Notstand klingt wie ein Signal des Krieges.“
“Die Opfer der Anschläge sind das entsetzliche Zeugnis eines weltweiten Krieges, der Frankreich gegen seinen Willen zu einem der wichtigsten Schlachtfelder macht.“
„Dieser Krieg wird uns aufgezwungen. Dies erfordert von jedem Bürger eine Solidarität, um den Bedrohungen und Angriffen zu widerstehen. Wir müssen angesichts dieses Dramas einen kühlen Kopf bewahren, und Entschlossenheit zeigen.“
„Dieses Land wird den Terroristen niemals nachgeben. Die Heimat der Menschenrechte wird sich niemals von diesen Terrorgruppen beeindrucken lassen, deren Methoden und mörderischer Hass die Unterschrift trägt, die alle Welt erkannt hat. Wir werden die Barbarei nicht hinnehmen.“
Vielen Sicherheitschef haben die Terrorakte von Paris allerdings die Augen geöffnet, dass sie die Sicherheit von Gebäuden und Personen, traditionell Aufgabe des Werksschutzes, nicht vernachlässigen dürfen. In den vergangenen zwei Jahren verstärkten viele Unternehmen ihre Abwehr von Cyberangriffen, um die Computersysteme besser vor Sabotage und Spionage zu schützen.
Sicherheitsanforderungen steigen kontinuierlich
Unter den besonders gefährdeten Unternehmen wird immer wieder die Chemiebranche genannt. Anschläge, bei denen giftige Chemikalien freigesetzt werden, könnten besonders großen Schaden anrichten. Doch auch hier ändern die Anschläge von Paris erst einmal wenig. „Uns ist nicht bekannt, dass die Behörden für Chemieanlagen jetzt von einer höheren Bedrohungslage ausgehen“, heißt es beim Chemiepark-Betreiber Currenta in Leverkusen. Das Gemeinschaftsunternehmen von Bayer und Lanxess steuert drei große nordrhein-westfälische Chemie-Standorte (Leverkusen, Dormagen, Krefeld-Uerdingen).
Mit höheren Sicherheitskosten nach dem Terrorangriff auf Paris rechnet die Branche ebenfalls nicht. Ein Manager eines großen Chemiekonzerns, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagt: „Sicherheit ist eine Daueraufgabe. Die Anforderungen steigen kontinuierlich, die schlimmen Anschläge von Paris sorgen erstmal für keinen weiteren Kostenschub.“
Laut der im April dieses Jahres veröffentlichten „Sicherheits-Enquete 2014/15“ der Fachzeitschrift WIK in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) sehen Unternehmen Terrorismus nicht als größtes Problem an. Die Enquete basiert auf der Befragung von Sicherheitsbeauftragten in Unternehmen – und die sind erstaunlich gelassen.
Terrorismus und Auswirkung von Kriegen oder Bürgerkriegen hatten einen geringeren Stellenwert als alle anderen Sicherheitsrisiken, am meisten fürchten sie sich vor Angriffen auf ihre IT und Spionage.