Es stockt einem der Atem und das Denken, wenn man die Bilder und Töne aus Paris sieht. Der Anschlag, bei dem zwölf Menschen sterben mussten, ist nicht nur grausam und radikal. Er trifft auch ins Herz der demokratischen Gesellschaft.
Die gesamte Führungsriege eines Satiremagazins wird durch mutmaßlich islamistische Attentäter niedergemäht. Ebenso die Polizisten, die die Journalisten schützen. Al-Qaida gegen "Charlie Hebdo"? Die feige vermummte, diktatorische Doktrin gegen das offene Visier der Freiheit von Meinung und Kritik?
Die wichtigsten Fakten zu "Charlie Hebdo"
Die französische Satire-Zeitung im Zentrum des Terroranschlags von Paris arbeitet mit Provokationen: „Charlie Hebdo“ macht sich über Päpste und Präsidenten lustig - und auch über den Propheten Mohammed. Die Wochenzeitung, die am Mittwoch einem Angriff mit mindestens zwölf Toten zum Opfer fiel, rief mit Karikaturen des hoch verehrten Propheten in der islamischen Welt immer wieder Empörung hervor.
Im November 2011 waren die Büros der Zeitung Ziel eines Brandbombenangriffs, nachdem sie eine Ausgabe publiziert hatte, in der Mohammed „eingeladen“ wurde, ihr Gastredakteur zu werden. Auf der Titelseite: eine Karikatur des Propheten.
Ein Jahr später veröffentlichte die Zeitung inmitten der Aufregung über einen islamfeindlichen Film weitere Mohammed-Zeichnungen. Die Karikaturen stellten Mohammed nackt und in erniedrigenden oder pornografischen Posen dar. Während die Emotionen hochkochten, nahm die französische Regierung die Redefreiheit in Schutz. Gleichzeitig warf sie „Charlie Hebdo“ vor, Spannungen zu schüren.
Die Zeitung mit niedriger Auflage tendiert politisch betrachtet zum linken Spektrum. Sie ist stolz, mit Karikaturen und parodierenden Berichten Kommentare zum Weltgeschehen abzugeben. „Wir gehen mit den Nachrichten wie Journalisten um“, sagte ein Karikaturist mit Namen Luz 2012 der Nachrichtenagentur AP. „Einige nutzen Kameras, einige nutzen Computer. Für uns ist es ein Papier und Bleistift“, sagte er. „Ein Bleistift ist keine Waffe. Er ist einfach ein Äußerungsmittel“, meinte er.
Chefredakteur Stéphane Charbonnier, der bei dem Anschlag am Mittwoch getötet wurde, hatte die Mohammed-Karikaturen ebenfalls verteidigt. „Mohammed ist mir nicht heilig“, sagte er 2012. „Ich mache Muslimen keine Vorwürfe dafür, dass sie nicht über unsere Zeichnungen lachen. Ich lebe unter französischem Gesetz“, ergänzte er. „Ich lebe nicht unter Koran-Gesetz.“
Eine von Charbonniers letzten Karikaturen, die in der dieswöchigen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ veröffentlicht wurde, scheint in Anbetracht der Ereignisse wie eine unheimliche Vorahnung. „Noch immer keine Anschläge in Frankreich“, sagte ein Extremisten-Kämpfer darin. „Warte - wir haben bis Ende Januar, um unsere Neujahrswünsche vorzubringen.“
Wo auch immer sich die mutmaßlichen islamistischen Angreifer verorten, bei Al-Qaida oder beim sogenannten Islamischen Staat (IS), ihr Ziel ist identisch: Sie wollen die freiheitliche demokratische Gesellschaft zerstören zugunsten eines vermeintlichen Tugendstaats, der sich an einer fehlgeleiteten Interpretation des Koran ausrichtet.
Solche Versuche hat es im Lauf der Geschichte immer wieder gegeben. Doch was gestern in Paris geschehen ist, kann ein Wendepunkt sein. Denn ein Klima der Angst kann Menschen verstummen lassen und sie zu Mitläufern im Mainstream machen. Es kann aber auch zum Verhängnis werden für diejenigen, die durch Terror Angst erzwingen wollen - und durch Angst Anpassung an eine vermeintliche Tugend.
Die Meinungsfreiheit ist eine grundlegende Freiheit, auf der viele weitere Freiheiten aufsetzen, die wir heute genießen. Ohne Meinungsfreiheit gibt es keine politische Freiheit. Ohne Meinungsfreiheit gäbe es viele Formen des Wettbewerbs nicht. Ohne Meinungsfreiheit stockt irgendwann auch das Wachstum.
Wer nicht aushalten kann, dass andere nicht seiner Meinung sind, dessen Welt- und Selbstsicht ist schwach und zögerlich. Der Weltsicht, die mit Gewalt durchgesetzt werden muss, mangelt es an Überzeugungskraft. Das Korsett der Doktrin braucht es nur da, wo das Rückgrat fehlt. Wenn jetzt die ersten Stimmen laut werden, die Satire wie bei "Charlie Hebdo" nur eingeschränkt von der Meinungsfreiheit abgedeckt sehen, ist das die beängstigende Folge eines beängstigenden Anschlags.
Die "Financial Times" kommentiert, man möge doch ein wenig "common sense" walten lassen in Redaktionen wie der von "Charlie Hebdo". Man wisse doch, dass die Provokation von Muslimen einen Schlag gegen die Freiheit zur Folge haben kann. Der Schlag gegen die Freiheit liegt auch in solchen Zugeständnissen.
Meinungs- und Pressefreiheit gibt es nicht abstrakt oder in der Theorie. Es gibt sie nur konkret und in der Praxis. Die Islamisten gewinnen nicht durch schreckliche Anschläge wie dem in Paris. Sie gewinnen, indem sie uns verführen, unsere Freiheit vorausschauend zu beschränken und zu einem theoretischen Recht und Anspruch verkommen zu lassen. Wir sollten es nicht so weit kommen lassen.