Anti-Betrugs-Behörde EU-Ermittler prangern Missbrauch von drei Milliarden Euro an

Anti-Betrugs-Behörde Olaf: Missbrauch von EU-Geldern angeprangert Quelle: dpa

Im vergangenen Jahr hat die Anti-Betrugs-Behörde Olaf einen ungewöhnlich großen Zoll-Betrug aufgedeckt, der die EU mehr als zwei Milliarden Euro kostete. Ein anderer größerer Fall betrifft auch Deutschland. 

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Die Anti-Betrugsbehörde Olaf hat 2017 Missbrauch oder Zweckentfremdung von mehr als drei Milliarden Euro EU-Geldern angeprangert – rund fünf Mal so viel wie im Jahr davor. Die starke Erhöhung gehe allerdings auf einen Sondereffekt durch ein großes Zollverfahren zurück, sagte der amtierende Generaldirektor Nicholas Ilett bei der Vorstellung des Olaf-Jahresberichts. Allein hierbei ging es um 2,3 Milliarden Euro.

Die Ermittlungsbehörde der EU ist dafür zuständig, Missbrauch von EU-Geldern aufzudecken und nötigenfalls die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Lässt man den großen Zollfall außen vor, bewegte sich die Arbeit von Olaf nach Angaben des amtierenden Behördenchefs 2017 etwa im langjährigen Rahmen: 1111 Verdachtsfälle, 215 neue und 197 abgeschlossene Verfahren. Ilett sieht auch keine Hinweise für eine Zunahme von Betrug und Gaunereien oder illegalen Machenschaften von EU-Bediensteten. „Ich glaube nicht, dass es schlimmer wird, es wird besser“, sagte Ilett, der in wenigen Wochen in den Ruhestand geht.

Der außergewöhnliche Zollfall mit einem Betrugswert von 2,3 Milliarden Euro betrifft Großbritannien. Laut Olaf gaben Importeure chinesischer Kleidung und Schuhe bei der Einfuhr in die EU den Wert der Ware systematisch zu niedrig an und drückten damit den Zoll. Um dies nachzuweisen, analysierten Ermittler alle Zollerklärungen für diese Produkte aus China für die Jahre 2013 bis 2016. Allein 1,9 Milliarden Euro Verlust sollen bei Einfuhren über Großbritannien entstanden sein, weil die dortigen Behörden keine Gegenmaßnahmen ergriffen hätten. Betrüger hätten dies ausgenutzt und ihre Operation gezielt nach Großbritannien verlegt, heißt es im Jahresbericht.

Mit Rückforderungen 162 Millionen Euro gehörte 2017 auch ein deutscher Fall, der in Sachsen-Anhalt seit Jahren Schlagzeilen macht, zu den finanziell bedeutsamen. Es geht um einen Risikokapitalfonds der Investitions- und Beteiligungsgesellschaft IGB, in den die 162,3 Millionen Euro EU-Fördergelder flossen. Das Geld sei zur Förderung des Mittelstands in Sachsen-Anhalts gedacht gewesen, sei aber nicht zweckgemäß eingesetzt worden, sagte Ilett: „Es war ziemlich klar, dass das Geld in einigen Fällen nicht für kleine Unternehmen ausgegeben wurde, sondern für größere. Sie gehörten nicht alle zu den vorgesehenen Branchen und sie waren nicht alle in Sachsen-Anhalt.“

Diebstahl oder Unterschlagung sei nicht nachzuweisen. Aber es habe „erhebliche Interessenkonflikte“ örtlicher Entscheidungsträger gegeben. „Die Kommission sah das als irregulär genug, um das gesamte Geld zurückzuverlangen“, sagte der amtierende Behördenchef. „Das war einer der großen Fälle.“ Die sachsen-anhaltische Landesregierung sieht den Sachverhalt allerdings anders und will notfalls gegen die Rückforderung klagen, wie sie Ende April erklärte. Die Argumente der Olaf-Ermittler seien unzureichend.

Vergleichsweise kleine Fälle aus Ungarn, Rumänien oder Italien - darunter ein Verfahren mit dem klangvollen Namen „Operation Papierschloss“ - lieferten allerdings weit mehr Belege für kriminelle Energie und auch politischen Zündstoff. „Ernste Unregelmäßigkeiten“ entdeckte Olaf dem Jahresbericht zufolge bei einem Beleuchtungsprojekt in Ungarn, das dort auch im Wahlkampf Wellen schlug. In 35 Gemeinden sollte die Straßenbeleuchtung mit umweltfreundlichen LED-Lichtern modernisiert werden, mit finanzieller Unterstützung aus EU-Strukturfonds. Die Ermittler fanden jedoch schon im Antrag und dann auch im Ausschreibungsverfahren Unregelmäßigkeiten sowie Interessenkonflikte zwischen beteiligten Beratern und der ausführenden Firma. Olaf empfahl der EU-Kommission die Rückforderung von 43,7 Millionen Euro und schaltete die Staatsanwaltschaft in Ungarn ein. „Das war wohl der spektakulärste Fall im Sinne politischer Folgen“, sagte Ilett.

Von einem „komplizierten Betrug“ geht Olaf im Fall einer Firma in Italien aus, die 1,4 Millionen Euro EU-Fördermittel zur Entwicklung eines Luftkissenfahrzeugs für Noteinsätze einstrich. Mit dem neuartigen Gerät sollte nach Naturkatastrophen Hilfe in unwegbares Gelände gebracht werden. Allein: Es wurde nie Realität. „Es wurde fast keine Entwicklungsarbeit geleistet, das Geld wurde gestohlen und genutzt, um die Hypothek für ein Schloss in Italien abzuzahlen“, resümierte Ilett.

Im Jahresbericht analysiert Olaf auch generelle Trends des Betrugs in Europa. Demnach sind die Strukturfonds der EU weiterhin von Korruption, Interessenkonflikten und der Manipulation von Ausschreibungsverfahren betroffen. In manchen Fällen seien dabei auch organisierte Verbrecherorganisationen aktiv. In jüngerer Zeit seien in zunehmendem Maße auch EU-Fonds für Forschung und zur Behebung der Flüchtlingskrise das Objekt von Betrügern geworden. Ein dritter Trend seien transnationale kriminelle Machenschaften um europäische Zoll-Pflichten zu umgehen. „Jegliche Lücken in der Gesetzeslage oder bei den operativen Möglichkeiten der Zollverwaltungen grenzüberschreitend zu wirken, wird schnell von organisierten kriminellen Gruppen ausgenutzt”, heißt es im Bericht.

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