Als die 35-Stunden-Woche vor 16 Jahren eingeführt wurde, sollte die Arbeitszeitverkürzung quasi automatisch zu mehr Beschäftigung führen. Statt der erhofften 700 000 Arbeitsplätze entstand Studien zufolge aber nur rund die Hälfte. Zudem mussten Unternehmen mit Überstundenzuschlägen und Freizeitausgleich operieren. „Während die Konkurrenz international zunahm und zum Beispiel Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit verbesserte, hat die 35-Stunden-Woche in Frankreich die Arbeitskosten um elf Prozent erhöht“, kritisiert Philippe Crevel, Direktor des Thinktanks Cercle de l’Epargne.
Eine höhere Wochenarbeitszeit ist nicht der einzige umstrittene Plan der Regierung auf dem Arbeitsmarkt: Sie will unter anderem auch die bei Kündigungen üblichen Abfindungen senken. Denn das Kündigungsrecht gilt als zu starr. Die Folge: Fast neun von zehn Neueinstellungen sind befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Dauer von häufig weniger als einem Monat. So umgehen die Arbeitgeber den starren Kündigungsschutz.
„Es ist paradox“, sagt der Arbeitsmarktexperte Patrick Levy-Waitz. „Franzosen wollen möglichst selbstbestimmt leben und arbeiten, aber sie scheuen das Risiko.“
So benehmen Sie sich in Frankreich richtig
Der frühere Staatspräsident Jacques Chirac begrüßte zwar Kanzlerin Angela Merkel mit Handkuss. Doch ist der längst aus der Mode. Wer eine Dame besser kennt, begrüßt sie mit je einem angedeuteten Kuss links und rechts auf die Wangen. Aber bitte nie beim
Erstkontakt!
Wer mit der Tür ins Haus fällt, gilt als unhöflich. Wer nur Stärken präsentiert, fällt eher unangenehm auf. Geben Sie ruhig mal Fehler zu. Das gilt hier als Tugend. Wichtiger ist, diplomatisch zu bleiben und das Gesicht des anderen zu wahren. Offener Streit wird immer vermieden.
Bei manchen Einladungen wird die Kleiderordnung angegeben. „Tenue de soirée“ bedeutet Abendgarderobe, also dunkler Anzug und Krawatte beziehungsweise Abendkleid. Bei „Tenue de ville“ wird ein legerer Anzug beziehungsweise Kostüm erwartet. Die Krawatte
kann dabei wegbleiben.
Sollten nie abgelehnt werden. Fauxpas! Bei Zeitmangel kann man aber auf ein Bistro ausweichen. Nach wie vor wird in Frankreich vieles beim Essen verhandelt.
Selbst bei offiziellen Anlässen ist eine Krawatte nicht zwingend. Besucher bei Staatspräsident Nicolas Sarkozy erschienen auch schon mal mit offenem Hemdkragen. Ein Anzug oder eine Kombination sind allerdings ein Muss.
Bei privaten Einladungen ist es üblich, der Dame des Hauses einen Blumenstrauß oder Pralinés mitzubringen. Die Blumen sollten nicht ausgepackt werden, weil die oft kunstvolle Verpackung Teil des Präsents ist.
Gegenüber Damen ist man(n) in Frankreich stets Kavalier, hält ihr die Tür auf und hilft in den Mantel. Im Restaurant werden Frauen grundsätzlich zuerst bedient. Erst wenn allen Damen serviert ist, sind die Herren dran. Und erst wenn alle etwas haben, wird mit
dem Essen begonnen.
Ein Dessert nach dem Essen ist kein Muss, dafür wird meist Kaffee getrunken. Es kann auch ein Deca (ohne Koffein) oder eine Tisane (Kräutertee) sein. Übrigens: Erst danach wechselt das Gespräch zum Geschäftlichen. Nie vorher!
Lautes Zuprosten und Anstoßen gilt als unfein. Üblich ist allein, das Glas zu erheben und ein Anstoßen anzudeuten.
Getrennte Rechnungen kennt man in Frankreich nicht. Einer zahlt stets für alle am Tisch. Als Trinkgeld werden ein paar Münzen liegen gelassen – aber ohne Kommentar à la „Stimmt so“. Die Franzosen geben weniger Trinkgeld als die Deutschen. Zehn Prozent sind
schon das Maximum.
Nie selbst einen Tisch ansteuern! Richtig: Warten bis der Ober einen anspricht und zum Tisch führt. Sein Vorschlag darf allerdings abgelehnt und ein anderer Tisch gewünscht werden.
Ist zwecklos. Bei Franzosen ist in Meetings alles offen – und möglich. Manche Entscheidung fällt gar während der Kaffeepause.
Zu Geschäftsessen ist Wein üblich, sollte aber in Maßen getrunken werden. Ein Glas reicht. Nach dem Hauptgang wird der Wein wieder abgeräumt.
Ist in Frankreich ein dehnbarer Begriff, Veranstaltungen beginnen selten pünktlich.
Aus Furcht um den sozialen Frieden hat es bislang keine französische Regierung gewagt, die Zustände auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zu ändern. So wächst einzig und alleine eins: die Anstrengung, mit der die geltenden Regeln umgangen werden. Im Fall der 35-Stunden-Woche sorgen etwa Jahresarbeitszeitkonten, Ausnahmen für leitende Angestellte, Freizeitausgleich oder teure Überstunden für Ausnahmen von der Regel. Darüber hinaus erlaubte die konservative Regierung unter Staatschef Nicolas Sarkozy in der Wirtschaftskrise 2008 sogenannte Abkommen zur Wettbewerbsfähigkeit.
Diese gestatteten Mehrarbeit auch ohne Lohnausgleich, wenn dadurch Arbeitsplätze gesichert wurden. Doch sein sozialistischer Nachfolger Hollande hat diese Möglichkeit auf zwei Jahre befristet, und auch das nur für Unternehmen, die in „großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ stecken und bei denen die Gewerkschaften zustimmen. Nur zehn Betriebe haben derzeit diese bürokratische Hürde überwunden.
Ob die nun geplanten Reformen Präsident Hollande nutzen, darf bezweifelt werden. Er hat zu lange gezaudert. Denn in Kraft treten kann das Gesetz frühestens im Sommer – zu spät, als dass etwaige positive Folgen in Form einer höheren Beschäftigung die Chancen für seine Wiederwahl wesentlich erhöhen.