Aufstieg der Rechtspopulisten Österreich, die Günstlingsrepublik

In Österreich droht heute also ein Rechtsrutsch. Wieder einmal. Wer verstehen will, warum ein blauer Grüßaugust das höchste Staatsamt erobern dürfte, sollte die Gründe dafür überall suchen – nur nicht bei der FPÖ.

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Österreich ist mehr als seine Klischees. Quelle: Handelsblatt

Zwei Emojis, die vor Glück heulen, und eine knappe Text-Nachricht poppten Montagfrüh auf meinem Smartphone-Display auf. „Ein TV-Duell ohne Moderator: Dein Land ist soooo lustig“, schrieb mir einer meiner liebsten deutschen Freunde. In Wien, meiner Heimatstadt, trafen am Abend zuvor die zwei verbliebenen Kandidaten im Kampf um das höchste Amt Österreichs zum rhetorischen Schlagabtausch aufeinander. Zur besten Sendezeit schmähten, schimpften, ja bekriegten sich Norbert Hofer von der FPÖ und sein Widersacher, der ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen. Genau 45 Minuten dauerte das wenig präsidiale Spektakel.

„Völlig irre“, sei das gewesen, kommentierte mein Kumpel. „Zum Fremdschämen“, titelte Spiegel Online. „Beide blamiert, Amt beschädigt“, schrieb das Handelsblatt. Und die Süddeutsche Zeitung resümierte: „Österreich oberpeinlich“. Der einhellige Tenor: Das Experiment des Privatsenders ATV, die beiden Bundespräsidentschaftsbewerber ohne Vorgaben, Regeln oder einen Schiedsrichter aufeinander losgehen zu lassen, sei arg misslungen. Ich fand das TV-Format dagegen äußerst erhellend – und erst recht die Reaktionen. Denn wieder einmal drehte sich alles um die FPÖ.

Österreich stürzt ab – überall

Der blaue Hofer, so hieß es, habe mit allen Mitteln versucht, das Gespräch zu zerstören. Analysen über foule Tricks und üble Kampfrhetorik machten die Runde. Warnungen vor einem freiheitlich-autoritären Staat geisterten durch die sozialen Medien. Sorgenvoll blickt Deutschland seit Wochen auf das kleine Österreich, in dem sich womöglich so Unerhörtes tut. Neben der obligatorischen Aneinanderreihung willkürlicher Österreich-Klischees (Fiaker, Mozart, Bergidylle) wird nun wieder häufig der Heldenplatz-Literat Thomas Bernhard zitiert. „Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapfen: Außen rot, innen braun und immer ein bisschen betrunken.“

Wer verstehen will, warum der rechtsnationale Populist Hofer im ersten Wahlgang mit 35 Prozentpunkten triumphierte und diesen Sonntag beste Chancen hat, der erste freiheitliche Bundespräsident Österreichs zu werden, der sollte sich freilich weniger mit Süßspeisen, der Mentalität meiner Landsleute oder gar der FPÖ-Kommunikationsstrategie beschäftigten, als vielmehr mit den ernüchternden Fakten. Und die sind nun mal, wie sie sind: Österreich stürzt ab. Überall. 

Rekordarbeitslosigkeit, Rekordschulden und Rekordsteuern treffen auf stetig steigende Lohnstückkosten, sinkende Reallöhne und ein mickriges Wirtschaftswachstum. Der regelmäßig vorgebrachte Hinweis der Regierungsvertretern, dass Österreich doch vergleichsweise gut durch die Finanzkrise gekommen sei und es anderen Staaten innerhalb der EU noch dreckiger gehe, muss für all jene, die sich in einem der reichsten Länder der Welt immer weniger leisten können, wie blanker Hohn klingen. Zumal ohnehin langsam auch dem Letzten dämmert, dass die Ursache für die Misere systemischen Charakter hat.

Der Fehler liegt im System

Im Staate Österreich ist nämlich etwas Grundlegendes faul. Sozial- und Christdemokraten haben seit 1945 ein politisch-gesellschaftliches System etabliert, das darauf ausgelegt ist, zwei Parteien (SPÖ und ÖVP) dauerhaft Geld, Macht und Posten zu sichern. Selbst Parlamentarier fühlen sich in diesem strukturell nahezu korrupt-verknöcherten Regime nicht ihren Wählern, sondern in erster Linie ihrer Partei verpflichtet. Schließlich wissen sie: Nur wer loyal ist, hat gute Aussichten, einen der begehrten oberen Listenplätze zu ergattern und somit wiedergewählt zu werden.

Obwohl SPÖ und ÖVP aktuell nicht einmal mehr zusammen eine Mehrheit bei den Wählern zustande bringen würden, haben sich die einstigen Volksparteien ihren Einfluss in Form einer Duopolstruktur bereits langfristig gesichert. Jeder Arbeiternehmer und jeder Unternehmer ist Pflichtmitglied in einem Kammersystem, deren volkswirtschaftlicher Nutzen zwar effektiv nicht gegeben ist, aber deren Existenz in der Verfassung garantiert ist und ihren Proponenten die Möglichkeit gewährt, jede Reform bereits im Ansatz zu blockieren.

Aber halt! Es gibt Hoffnung. „Vielleicht tut sich ja doch noch was in dem Land“, mailte mir kürzlich eine Bekannte, die eher selten zu überbordendem Optimismus neigt. Angehängt hatte sie eine Rede von Christian Kern, dem neuen Bundeskanzler Österreichs. „Top“, befand sie. Und halb Österreich mit ihr. Denn der einstige Bundesbahn-Chef kritisierte erfrischend direkt das traurige „Schauspiel der Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit“, das die Koalition in den vergangenen Jahren ablieferte. Er wolle einen „New Deal“ für mehr Jobs und dem Land wieder Optimismus einhauchen.

Kern muss das Günstlingssystem zerschlagen

Zugegeben: Kern macht keinen schlechten Eindruck. Nach Werner Faymann ist das aber wahrlich nicht schwer. Schließlich war Faymanns einzig verdienstvolle Handlung in siebeneinhalb Jahren der eigene Rücktritt. Um den Niedergang Österreichs aufzuhalten, wird Kern das Kunststück vollführen müssen, jenes Günstlingssystem sukzessive zu zerschlagen, auf dem nun seine eigene Machtbasis ruht.

Dass ihm derlei gelingt, scheint eher unwahrscheinlich. Aber macht er es nicht selbst, werden die Wähler versuchen, dieses teure, ungerechte und undemokratische Gebilde implodieren zu lassen. Dabei agieren sie wenig zimperlich. Am Sonntag wird jedenfalls wieder gezündelt – nur mit dem blauen Grüßaugust Hofer und der absurden Abschottungslust der FPÖ hat all das erstaunlich wenig zu tun.

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