Austrittsgespräche Auf dem Weg zum Showdown beim Brexit

Mehr als 500 Tage sind bereits seit der Entscheidung für den Brexit vergangen, seit knapp fünf Monaten verhandeln die EU und Großbritannien darüber. Aber wo bleibt der Durchbruch?

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Blick durch eine vom Regen benetzte Autoscheibe auf eine britische Flagge Quelle: dpa

Wieder standen die beiden ergrauten Herren vor dem Union Jack und der Europaflagge beieinander, wieder bekräftigten sie ihre bekannten Positionen - der strenge EU-Chefunterhändler Michel Barnier und der stets optimistische britische Minister David Davis. Und wieder gab es keinen nennenswerten Fortschritt. Die Brexit-Verhandlungen scheinen seit fünf Monaten gefangen in einer Endlosschleife des Klassikers „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Doch hinter der Fassade der ewig gleichen diplomatischen Floskeln werden beide Seiten inzwischen sichtbar nervös.

Die Europäische Union versucht nun mit der Brechstange, endlich Bewegung in die Gespräche über den geplanten EU-Austritt des Vereinigten Königreichs zu bringen: Barnier setzte der britischen Regierung nach der sechsten Verhandlungsrunde am Freitag kurz angebunden eine Frist von zwei Wochen für Zugeständnisse. Gleichzeitig versuchte die britische Premierministerin Theresa May in London, ihre Position zu festigen und das Austrittsdatum im März 2019 unumkehrbar festzuschreiben. Zwei Indizien, dass beide Seiten offenbar auf einen Showdown zusteuern.

Dabei war die Stimmung zuletzt etwas besser, seit May im September in einer Rede in Florenz Zugeständnisse angedeutet hatte. Großbritannien werde eingegangene finanzielle Verpflichtungen einhalten und schlage zudem eine zweijährige Übergangsfrist vor, um den Austritt verträglicher zu gestalten.

Das sind die Brexit-Pläne der Banken
Banken in London Quelle: REUTERS
Die britische Großbank HSBC Quelle: dpa
BarclaysBarclays-Chef Jes Staley spielt die Brexit-Auswirkungen für seine Bank herunter. Der geplante EU-Austritt sei eine „vollkommen machbare Herausforderung“, sagte Staley dem „Guardian“ zufolge. Erwartet wird, dass die Bank ihren Standort in der irischen Hauptstadt Dublin ausbaut. Das bedeute aber nicht, dass in London Arbeitsplätze wegfielen, betonte Staley. „Ich glaube, wir werden einige neue Jobs an Standorten in der EU schaffen, aber es wäre ein Fehler zu glauben, dass dafür jemand entlassen werden muss“, sagte er bereits Ende April der Finanznachrichtenagentur Bloomberg. Quelle: REUTERS
Goldman Sachs Quelle: REUTERS
Deutsche Bank Quelle: dpa
Commerzbank Quelle: dpa
Entscheidung für Frankfurt Quelle: REUTERS

Beides kam der EU entgegen. Doch beharren die 27 bleibenden Länder auf konkreten und genaueren Zusagen am Verhandlungstisch, und das blockt Unterhändler Davis konsequent ab. „Spezifische Verpflichtungen“ werde man jetzt nicht eingehen, bekräftigte der Brexit-Minister auch am Freitag.

Aus britischer Sicht ist das verständlich, denn May und ihrer Regierung bleibt politisch kaum Spielraum. Die regierenden Konservativen schlingern in ihrem Brexit-Kurs und zwingen die Premierministerin zu einem Eiertanz zwischen der Drohung mit einem harten Ausstieg ohne Zugeständnisse und sanften Kompromisssignalen an Brüssel. Die Regierungschefin selbst ist seit dem Verlust ihrer konservativen Mehrheit bei der Neuwahl vom Juni schwer angeschlagen.

Nach einer Chaoswoche mit zwei Ministerrücktritten versuchte May am Freitag mit der gesetzlichen Festschreibung des Brexit-Datums wieder in die Offensive zu kommen. „Niemand sollte unsere Entschlossenheit anzweifeln oder unsere Durchsetzungskraft in Frage stellen: Der Brexit wird kommen“, schrieb sie auf Facebook. „So wird es schwarz auf weiß auf der ersten Seite dieses historischen Gesetzes stehen: Das Vereinigte Königreich verlässt die EU am 29. März 2019 um 23.00 Uhr Greenwich Mean Time.“ Ihre Botschaft: Wir gehen so oder so, mit oder ohne Einigung mit der EU.

EU-Unterhändler Barnier ließ dies allerdings galant abtropfen, zumal die EU diesen Austritt ohnehin längst als gegeben ansieht. „Das Vereinigte Königreich hat sich vor mehr als 500 Tagen zum Ausstieg aus der Europäischen Union entschieden“, sagte der Franzose in seiner Pressekonferenz mit Davis und setzte die ach so feine Pointe, dass die Uhren auf dem Kontinent nicht nach Greenwich Mean Time ticken. „Und es wird tatsächlich am 29. März 2019 um Mitternacht ausscheiden, Brüsseler Zeit.“ Seine Botschaft: Das wissen wir alles, aber jetzt muss es mal konkret vorangehen. Und zwar schnell.

Erst sagte es Barnier etwas verschwiemelt: „Um das gemeinsame Ziel eines geordneten Ausstiegs mit einer Einigung zu erreichen, müssen wir in den kommenden Wochen bis zum nächsten EU-Gipfel mit aller nötigen Intensität arbeiten.“ Dann stellte er klar: Nur zwei Wochen bleiben aus Sicht der EU noch für einen ersten Durchbruch bei den drei Fragen, die die EU unbedingt zuerst klären will: Garantien für die Millionen EU-Bürger in Großbritannien, Absprachen zur künftigen EU-Außengrenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Und eben die Schlussrechnung von bis zu 100 Milliarden Euro.

Gibt es hier nicht den von der EU geforderten „ausreichenden Fortschritt“, könnte der EU-Gipfel auch im Dezember die Zustimmung für die von Großbritannien gewünschten Verhandlungen über andere Themen und die künftigen Beziehungen verweigern. Und dann käme der ohnehin enge Zeitplan so ins Rutschen, dass ein umfassendes und pünktliches Brexit-Abkommen immer unwahrscheinlicher würde.

Noch ist es nicht so weit. Aber der Bundesverband der Deutschen Industrie sieht inzwischen eine reale Gefahr eines „sehr harten Brexits“, wie Hauptgeschäftsführer Joachim Lang sagt. „Wir haben schon jetzt zu viel Zeit verloren.“

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