Autorin Sonia Purnell „Boris Johnson ist einfach nie erwachsen geworden“

Sonia Purnell (l.) versucht 2012 Boris Johnson in einem Einkaufscenter zu interviewen, in dem er zuvor eine Wahlkampfveranstaltung abhielt. Quelle: ddp images

Sonia Purnell kennt Boris Johnson gut, einst arbeitete sie mit ihm zusammen. In ihrer Biografie „Just Boris“ sagte sie 2011 voraus, dass Johnson eines Tages eine wichtige Rolle in Großbritannien spielen würde.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die Journalistin und Autorin Sonia Purnell hat in den Neunzigerjahren zusammen mit Boris Johnson im Brüsseler Büro des „Daily Telegraph“ gearbeitet. 2011 veröffentlichte sie ihre unautorisierte und viel beachteten Johnson-Biografie „Just Boris“. Darin stellt sie Johnson als einen prinzipienlosen Egomanen dar, der immer nur Eines wollte: Premierminister werden.

WirtschaftsWoche: Frau Purnell, Sie haben bereits 2011 vorausgesagt, dass Johnson eines Tages eine wichtige Rolle in Großbritannien einnehmen würde. Kam alles in etwa so, wie Sie es erwartet hatten?
Sonia Purnell: Es ist letzten Endes viel schlimmer gekommen. Mir war schon damals klar, dass er nicht gut für unser Land sein würde. Denn schon damals hat sich die Politik immer mehr in Richtung Showbusiness entwickelt. Manche Leute sagten, dass sie Johnson zum Bürgermeister Londons gewählt hätten, weil er sie zum Lachen gebracht habe. Darauf wurde Vieles reduziert: auf Emotionen und auf Unterhaltung. Mit Fragen der Sicherheit oder Wirtschaft, Gesundheit oder Bildung konnte er nie viel anfangen, denn das alles hat ihm nicht genützt. Stattdessen hat er schon damals gelogen, wann immer er wollte, ohne, dass es Konsequenzen gab. Ich glaube nicht, dass genauso viele Leute für den Brexit gestimmt hätten ohne die vielen Lügen der Vote-Leave-Kampagne.

Als Mitglied der Regierung von Theresa May hat Johnson ihren Brexit-Deal abwechselnd unterstützt und kritisiert. Jetzt hat er ihn für vollkommen gescheitert erklärt und strebt offenbar einen ungeordneten Brexit an. Welches Ziel verfolgt er?
Boris Johnson ändert seine Position jeden Tag. Er hat keine Überzeugungen und keine Prinzipien und wird immer das sagen, was an dem jeweiligen Tag hilft, ihn voranzubringen. So ist er zum Beispiel auch eigentlich ein Remainer. Er hat die EU in Wirklichkeit immer unterstützt. Das zeigt, wie weit er zu gehen bereit ist, um seine Karriere anzutreiben. Mit dem, was er sagt, dreht er sich immer mit dem Wind.

Ist der Brexit für ihn dann nichts weiter als ein Mittel, um seine Karriere voranzubringen?
Ich sehe kein anderes Motiv. Er selbst hat gesagt, dass er es schwierig fand, sich vor dem Referendum eine Meinung zu bilden. Er hat sich dann relativ spät entschieden, sich der Leave-Seite anzuschließen, als klar war, dass ihm das karrieretechnisch helfen könnte. Denn mit David Cameron hatten wir ja schon einen Remain-Premierminister. Der Job war also besetzt. Ich glaube, er hat nicht damit gerechnet, dass die Vote-Leave-Seite gewinnen würde. Als sie es tat, sah Johnson absolut verängstigt aus. Er hatte keinen Plan. Das sollte nicht klappen, es sollte einfach nur viel Aufruhr stiften und Johnson und die anderen Leave-Anführer wären dann in die Rolle der Märtyrer geschlüpft.

Boris Johnson stellt sich in diesen Tagen gerne als ein Unterstützer des freien Marktes dar und spricht über Großbritanniens angebliche Zukunft als führende Welthandelsnation. Ist das auch alles nur eine Show?
Ich glaube nicht, dass er sich wirklich dafür interessiert. Und es kümmert ihn auch nicht, sich damit vernünftig zu befassen. Er ist zugleich aber auch nicht dumm. Ihm ist klar, dass der Brexit ein Desaster ist. Aber wieso sollte ihn das kümmern? Es dreht sich doch alles um ihn. Wir haben als Land wirklich Pech, dass wir solche Leute haben. Wir sind ein Land, das gerade einen Nervenzusammenbruch hat. Sonst würden wir so jemandem weder Zeit noch Raum geben.

Johnson hat einmal in einem Gespräch auf den Hinweis, dass sich die Wirtschaft wegen eines möglichen No-Deal-Brexits Sorgen mache, geantwortet: „Fuck business“. Wie kam es dazu?
Der Brexit lässt ihn natürlich schlecht aussehen. Er ist schlecht für die Wirtschaft, er ist schlecht für die Arbeitsplätze, er ist eine Unannehmlichkeit. Wenn man sich dann anschaut, was zum Beispiel die Autohersteller sagen oder Airbus, dann ist das für ihn wie ein Moskito, der ihn immer wieder sticht. Er versucht, diesen Moskito mit der Hand wegzuwehen. Johnson erkennt so gut wie alle anderen, dass der Brexit schlecht fürs Geschäft ist. Und wenn ihm dann die Wirtschaft im Weg steht, na dann fuck it. So denkt er. Zugleich hat Boris Johnson absolut keine Moral und keine Bedenken. Er ist ein sehr reicher Mann. Das alles wird ihn nicht treffen. Aber er ist wirklich dabei, alle anderen schwer zu treffen.

In seiner Zeitungskolumne fällt er immer wieder mit provokanten Äußerungen auf. So hat er vor einigen Monaten verschleierte muslimische Frauen mit Briefkästen verglichen. Meinte er das ernst?
Boris Johnson weiß genau, was er da tut. Das sind alles Sachen, die dazu führen, dass über ihn gesprochen wird. Er möchte Bewunderung und ständige Aufmerksamkeit. Er ist wie ein Kind. Er ist frech, damit ihm der Lehrer seine Aufmerksamkeit widmet. Boris Johnson ist einfach nie erwachsen geworden. Er denkt ganz genau darüber nach, was er sagt. Das ist alles ein Teil der Aufführung. Nach dem Burka-Vergleich war er ja gleich in allen Zeitungen. Das ist alles, was ihn interessiert. Damit hat er sein Ziel erreicht. Nur reißt er mit solchen Sachen ein ganzes Land mit in den Abgrund.

Ihm wird aus der Zeit, als er gemeinsam mit Ihnen Brüssel-Korrespondent war, ein Teil der Schuld daran gegeben, dass das Bild der EU in Großbritannien so verzerrt ist. Ihm wird vorgeworfen, er habe damals oft Dinge überspitzt oder einseitig dargestellt. Wie haben Sie seine Arbeit damals erlebt?
Er hat oft Dinge wahnsinnig überdreht. Meist gab es im Kern einen Funken Wahrheit. Aber er hat das dann so lange überdehnt, bis am Ende nicht mehr viel Wahres dran war. Komplett erfunden hat er aber nichts. Die EU-Kommission hat ihm damals meiner Meinung nach zu wenig entgegengesetzt. Sie hätte ihn konfrontieren sollen, wusste aber offenbar nicht, ihn zu nehmen. Johnson kann ja recht unterhaltsam sein. Viele Leute wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Was aber auch schlimm ist, dass ihn die Chefredakteure beim „Telegraph“ nie gestoppt haben. Denn das hat schon früh dabei geholfen, mehr Zeitungen zu verkaufen. Als sie gemerkt haben, dass das alles Unsinn war, war es zu spät. Als es zu peinlich wurde, haben sie ihn aus Brüssel abgezogen. Aber da war es schon zu spät. Jemand, der ein so flüchtiges Verhältnis zur Wahrheit hat, ist gefährlich. Und das nicht nur für unser Land, sondern für ganz Europa.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%