Bank of England greift ein Chaostage an Großbritanniens Finanzmärkten

Nach Chaos an den britischen Finanzmärkten ergreift die Bank of England Notfallmaßnahmen. Quelle: AP

Großbritanniens Regierung hat mit ihren Steuersenkungsplänen eine Krise an den Finanzmärkten ausgelöst. Die Bank of England greift jetzt ein und schüttet Geld in Richtung der Regierung. Der IWF kritisiert London scharf.

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Nach tagelangem Chaos an den britischen Finanzmärkten ergreift die Bank of England Notfallmaßnahmen: Die Zentralbank wird im großen Stil Staatsanleihen aufkaufen und so versuchen, die Krise abzuwenden, die sich in den vergangenen Tagen schnell zugespitzt hat.

Man beobachte „die Entwicklungen an den Finanzmärkten sehr genau“, schrieb die Bank of England in einer Erklärung. Besonders bei den langfristigen Staatsanleihen habe es in den vergangenen Tagen eine „Preisanpassung“ gegeben. „Sollte die Dysfunktion auf diesem Markt anhalten oder sich verschlechtern, bestünde ein erhebliches Risiko für die britische Finanzstabilität“, hieß es in der Erklärung weiter. Das wiederum könne „zu einer Verringerung des Kreditflusses an die Realwirtschaft führen.“

Worauf die nominell unabhängige Zentralbank in ihrer Erklärung nicht gesondert einging, ist die Ursache der Turbulenzen: Es sind die libertären Steuersenkungspläne von Premierministerin Liz Truss. Ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng hat am vergangenen Freitag die umfangreichsten Steuersenkungen in einem halben Jahrhundert angekündigt. Teile davon wurden erwartet: So nahm Kwarteng unter anderem eine geplante Erhöhung der Körperschaftssteuer von 19 auf 25 Prozent zurück und kassierte auch eine geplante Erhöhung der Sozialversicherungsabgaben. Sein Vorgänger im Schatzamt, Rishi Sunak, wollte damit einen Teil der Kosten der Pandemie auffangen. So weit, so absehbar.

Doch dann ging Kwarteng, selbst ein ausgewiesener Anhänger rechtslibertärer Ideen, noch viel weiter: Inmitten der größten Lebenshaltungskostenkrise seit Jahrzehnten kündigte er die Abschaffung des Spitzensteuersatzes in Höhe von 45 Prozent an. Von der Maßnahme profitieren werden gerade einmal etwa 600.000 Briten mit Einkommen über 150.000 Pfund. Normalverdiener wurden weniger großzügig bedacht: Der Eingangssteuersatz soll ab dem kommenden Frühjahr nur von 20 auf 19 Prozent sinken.

Laut dem Thinktank Institute of Fiscal Studies (IFS) wandert der Großteil der angekündigten Steuerentlastungen an die wohlhabendsten zehn Prozent der Landes. Finanziert werden soll die einseitige Maßnahme durch neue Schulden, ebenso wie die Kosten des Energiepreisdeckels, den die Regierung bereits Anfang des Monats angekündigt hat. Dieser Deckel soll die Energiekosten eines durchschnittlichen Haushalts in den kommenden zwei Jahren bei rund 2500 Pfund im Jahr halten. Die astronomischen Zufallsgewinne im Erdgas- und Ölsektor rührt die ehemalige Shell-Mitarbeiterin Truss nicht an.

Eigentlich hätte der Schatzkanzler bei der Vorstellung seines Haushalts eine Einschätzung seiner Pläne durch die Ausgabenwächter vom Office for Budget Responsibility (OBR) veröffentlichen müssen. Vermutlich deswegen deklarierte das Schatzamt die Vorstellung stattdessen als „fiskalen Event“. Nicht nur das: Kwarteng untersagte dem OBR, ihre Analyse seiner Pläne zu veröffentlichen – und das bei einer erwarteten Neuverschuldung in dreistelliger Milliardenhöhe.

Es kam, wie es kommen musste: Die Finanzmärkte gerieten in Panik. Das Pfund stürzte ab und zahlreiche Investoren trennten sich so schnell sie konnten von Regierungsanleihen. Deren Kosten für die Regierung steigen seitdem rasant an – was die Zentralbank am Mittwoch dazu veranlasste, einzugreifen. Banken und Hypothekengesellschaften zogen tausende bereits vereinbarte Hypotheken zurück und nehmen etwa 300 Angebote vom Markt. Das Chaos an den Finanzmärkte dürfte die Bank of England dazu zwingen, den Leitzins deutlich stärker anzuheben, als sie es andernfalls getan hätte. Die Folge dürfte eine tiefe Rezession sein.

Die Reaktion der Anleihemärkte auf die Italien-Wahl fiel glimpflich aus, der Absturz des britischen Pfunds dagegen sorgt für Turbulenzen. Anleger können die gefallenen Kurse zum Einstieg nutzen.
von Saskia Littmann

Schließlich meldete sich sogar der Internationale Währungsfonds (IWF) zu Wort und kritisierte die Pläne von Truss' Regierung scharf. Die Organisation warnte davor, dass die Regierung damit die (in Großbritannien ohnehin schon enorm große) Ungleichheit weiter verstärken könnte. Die „großen und ungezielten Fiskalpakete“ könnten die Geldpolitik der Zentralbank untergraben. Es war eine für London extrem blamable Intervention.

Truss' und Kwartengs Pläne finden zudem innerhalb der britischen Bevölkerung kaum Unterstützung. Einer Umfrage im Auftrag der konservativen Tageszeitung „The Times“ zufolge lehnen 72 Prozent der Befragten die Steuersenkungen für Vermögende ab. Selbst bei den Tory-Wählerinnen und Wähler waren es 69 Prozent.

Stellt sich die Frage, was die Regierung mit ihren Plänen überhaupt bewirken wollte. Aufschluss dazu geben Äußerungen, die Truss während des parteiinternen Wahlkampfs im Sommer gemacht hat: So sei bislang viel zu viel Wert auf „Umverteilung“ gelegt worden, erklärte Truss mehrfach. Sie werde, sobald sie im Amt ist, „angebotsorientierte Reformen“ in Gang setzen.

Damit gemeint ist eine Theorie, wonach Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen für die gesamte Gesellschaft nützlich seien, weil deren erhöhter Wohlstand zwangsläufig auf die übrigen Teile der Gesellschaft „herabregnen“ werde. Auch bekannt als: Trickle-down-Effekt. Dabei gilt diese Theorie seit langem als diskreditiert. Unzählige Studien belegen, dass der erhoffte Effekt in dieser Form nie eintritt. Die überwiegende Mehrzahl der Ökonomen lehnt die Theorie entsprechend ab.

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Sowohl die Premierministerin als auch der Schatzkanzler zeigen sich von den Verheerungen auf den Finanzmärkten bislang jedoch weitgehend unbeeindruckt. Ganz im Gegenteil: Am Wochenende legte Kwarteng sogar nach und stellte weitere Steuersenkungen in Aussicht. Damit untergrub er die Glaubwürdigkeit der Regierung weiter. Nach der anhaltenden Kritik erklärte die Regierung, dass sie die Prognosen des OBR doch veröffentlichen werde und offenlegen wolle, wie sie den Haushalt ausgleichen wolle. Allerdings erst am 23. November – also in etwa zwei Monaten.

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