Benidorm Von Korruption, Mafia und modernen Piraten

InTempo - das höchste Hochhaus Spaniens und ein unfreiwilliges Symbol für Korruption Quelle: Stefanie Claudia Müller

Die spanische Regierung wurde wegen Korruption gestürzt. Viele Fälle sind dabei mit dem Ort Benidorm verbunden. Dort steht Spaniens höchstes Hochhaus - unfertig. Es symbolisiert eine Ära, die noch lange nicht vorbei ist.

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Es gibt wohl keinen Ort, der alle Fehler der spanischen Wirtschaftspolitik so gut sichtbar macht wie Benidorm. Wer von der Autobahn AP7 oder der Nationalstraße N332 in die Urlaubsstadt reinfährt, der versteht direkt, was die vergangenen Jahre baupolitisch falsch gelaufen ist. Obwohl hier jeden Tag Millionen Euro in Hotels, Bars, Restaurants und Discotheken umgesetzt werden, stinkt es dort schon bei der Stadteinfahrt nach Kloake. Das Leitungswasser ist ungenießbar, die Stadt mit den meisten Hotelbetten in Spanien nach Madrid und Barcelona ist schmutzig, es gibt keine öffentliche Toiletten am Strand und die Gebäudefassaden brauchen eine Generalreinigung.

Geltende Baugesetze, urbane Ästhetik, Umweltschutz oder Sauberkeit spielen hier keine Rolle, sondern nur das schnelle Geld zählt. Der nebenan liegende Vergnügungspark „Terra Mitica“ und seine Millionenverluste sind mit der enormen lokalen Korruption in Spanien genauso eng verbunden wie das in Form eines M gebaute Wohnhochhaus „InTempo“. Die Levante, der Küstenabschnitt, den die Deutschen vor allem unter Costa Blanca kennen, ist nicht nur gegen sämtliche geltende Umweltgesetze total verbaut worden, sondern hier dürfte das Land und die Justiz in den kommenden Jahren noch einiges an krimineller Energie aufarbeiten. Der ehemalige Bürgermeister von Benidorm, Eduardo Zaplana, wurde erst vor wenigen Wochen wegen Korruptions- und Betrugsverdächtigungen festgenommen.

Eine Goldgrube direkt am Strand

Benidorm oder Beniyork, wie der Touristenort auch wegen der vielen Hochhäuser genannt wird, macht deutlich: Mit dem Sturz von Mariano Rajoy am 1. Juni durch den Sozialdemokraten Pedro Sánchez, der das Misstrauensvotum gegen die spanische Regierung gewann, ist das Kapitel Baubetrug in Spanien noch lange nicht abgeschlossen. Das gilt vor allem für Benidorm, wo ebenfalls Rajoys Partei PP regiert. Die Rechnung zahlt wie immer der Unwissende und der brave Steuerzahler. Ausländer und Einheimische, die das Mikroklima von Benidorm, seine Strände und das klare Meer schätzen, haben dort Wohnungen in Gebäuden gekauft, denen nun der Abriss droht. So wie den 200 Meter hohen, direkt am Strand liegenden „Twin Towers“. 

„Es wurde ohne Sinn und Verstand gebaut. Dabei wurden Lizenzen gegen Barzahlungen vergeben“, erzählt der Spanier Viktor Álvarez, der weiss, wovon er spricht. Der gelernte Anwalt hat lange bei der Sparkasse Caja Navarra gearbeitet, die inzwischen auch wegen Korruption abgewickelt wurde. Der aus Pamplona stammende Gastronom und Sportler ist einer der wenigen in der Stadt, der offen über brisante Themen spricht, die spanische Politiker der beiden Volksparteien PP und PSOE gerne unter den Teppich kehren. Seit drei Jahren führt Álvarez in der Altstadt von Benidorm die Restaurant-Bar „Aupa“: „Benidorm ist ohne Frage ein Riesengeschäft für den Tourismussektor“. Im Sommer schwillt hier die rund 80.000 Einwohner zählende Bevölkerung auf eine Million Menschen an. Und auch im Winter funktioniert die Urlaubswirtschaft: „An Weihnachten wird ausgelassen auf den Tischen getanzt“, erzählt die in der Altstadt von Benidorm lebende Baskin Amparo Urretxo. Jeder versucht hier, soviel wie möglich vom Kuchen abzukriegen, auch die Politiker. In Lebensqualität für die Bürger wird wenig investiert.

„InTempo“ - symbolisch für absurde Baupolitik in Spanien

Der Inbegriff der Absurdität des spanischen Baubooms steht direkt am Eingang von Benidorm: das 47 Etagen hohe „InTempo“-Gebäude, das seit Jahren leer steht wegen schwerwiegender Baufehler und der Pleite des Bauträgers sowie der beteiligten Sparkasse Caixa Galicia. Das inzwischen auch abgewickelte Finanzinstitut hatte für das Wohngebäude mit Blick bis zu den Balearen einen Kredit von 108 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Zu Füßen des 192 Meter hohen grün-goldenen Hochhauses liegt heute, vier Jahre nach der Fertigstellung, nur noch Schutt. Das in der Form des Buchstaben M gebauten Gebäudes gehört inzwischen dem internationalen Investmentfonds SVP Global.

Ein vergilbtes Schild davor macht deutlich: Hier stimmt was nicht. Besuche des Gebäudes sind derzeit nicht erlaubt: “Wir planen einen Relaunch in einigen Monaten”, heißt es bei SVP Global, an den Spaniens Bad Bank Sareb die Schulden von „InTempo“ 2015 zu einem Discount-Preis verkaufte: “Die ganze Geschichte um das Gebäude erinnert an einen Krimi”, heiβt es aus Kreisen der spanischen Institution.

Wer in einem der vielen Touristenboote von Benidorm zur gegenüberliegen Insel, “L’Illa”, fährt, genießt den Blick auf einen billigen Abklatsch von Manhattan, in dem „InTempo“ vor allem durch seine Hässlichkeit heraussticht. Ende dieses Jahres sollen die Appartements aller Voraussicht nach auf den Markt kommen. Gemäß spanischen Zeitungsberichten sollen diese je nach Größe bis zu einer Millionen Euro und mehr kosten. „Wer das bezahlen soll, ist unklar“, sagt die 61-jährige Wahl-Benidormerin Urretxo, die solche Investitionen eher im weiter südlichen liegenden Marbella angesiedelt sieht. „In Benidorm gibt es weder Yachten noch luxuriöse Villen, sondern vor allem Hotelbetten und Billig-Wohnungen“.

Die Umgebung vom InTempo. Quelle: Stefanie Claudia Müller

In Benidorm zählt Masse, nicht Klasse. Aber auch das bringt Geld und viel Neid. Fernab von Table Dance und Junggesellen-Abschieden wird unter Unternehmern und Politikern vor allem bedroht und verleumdet. Selbst dortige Vereinigungen gegen die Korruption wollen nicht persönlich mit der Presse sprechen: „In Benidorm selber können wir uns nicht treffen, das ist zu gefährlich. Besser per Telefon“, heiβt es. Auch, die Frau, die auf der kleinen Insel vor Benidorm allein mit ihrer Familie ein Restaurant führt, hat einen Gerichtsprozess laufen. Ihr wird vorgeworfen - von einem nach ihrer Meinung „neidischen Wettbewerber“ -, dass sie keine Steuern zahle und die von der Lokalregierung gebaute Bar, wo jeden Tag Dutzende von Urlauberboote ankommen, illegal sei. Vergiftete Atmosphäre, in der verständlicher Weise jeder den Part des Guten spielen will.

Auch der ehemalige konservative Premier José Maria Aznar, der Ziehvater dieser Baupolitik ist, glaubt sich auf der Seite der Guten: „Korruption ist ein Krebsgeschwür. Jeder muss für seine Taten gerade stehen“, verkündete er vor laufender Kamera. Gastronom Álvarez ist pessimistisch: „Was wir jetzt mit dem Sturz Rajoys gesehen haben, ist erst die Spitze des Eisberges. Es werden noch viel Köpfe rollen“. Álvarez ist nicht der einzige, der glaubt, dass auch die aktuelle PSOE-Regierung noch einige Säuberungsarbeit in der eigenen Partei leisten muss. Denn auch linke Bürgermeister haben bei dem korrupten Machtspiel mit der Bauwirtschaft und Hotelinhabern mitgemischt. Was mit „InTempo“ passiert? „Man darf gespannt bleiben“, sagt Álvarez.

Gastronom Victor Álvarez. Benidorm Quelle: Stefanie Claudia Müller

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