Besuch in Berlin Theresa Mays Brexit-Endspiel hat begonnen

Die britische Premierministerin zieht durch Europa, um für ihren Plan über die künftigen Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und Europa zu werben. Heute besucht sie Angela Merkel in Berlin. Quelle: AP

Schicksalswochen für die britische Premierministerin: Brüssel, Berlin und London warten auf ihre Vorschläge für die künftigen Beziehungen zur EU. Es ist Mays letzte Chance, das Ruder noch mal herumzureißen.

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Zumindest was den Fußball betrifft, kommt Premierministerin Theresa May heute erhobenen Hauptes nach Berlin. England steht bei der WM im Viertelfinale – Deutschland ist ausgeschieden. Für die wunde Seele britischer Fußballfans eine echte Genugtuung. Doch bei ihrem Kurzbesuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel darf sich May keine Triumphgefühle gönnen. Denn sie ist beim Thema Brexit dringend auf die Unterstützung der deutschen Regierungschefin angewiesen.

Die konservative Britin – Pastorentochter wie ihre Gastgeberin, und ebenso wie diese gerade dabei, sich durch eine Regierungskrise zu kämpfen - hat Vorschläge mit neuen detaillierten Plänen für die künftigen Handelsbeziehungen zur EU nach dem Austritt Großbritanniens im Gepäck. Ihre Pläne will sie am morgigen Freitag in einer Klausurtagung auf dem Landsitz Chequers von ihrem zerstrittenen Kabinett diskutieren und absegnen lassen.

Vorher aber noch der wichtige Termin in Deutschland: May drängt auf größere Flexibilität ihrer EU-Counterparts. Sie propagiert im Rahmen ihres neuen Modells – so viel ist jetzt schon bekannt - auch in Zukunft eine sehr enge Anbindung an den Binnenmarkt, einen reibungs- und zollfreien Güterhandel ohne Grenzkontrollen mit der EU. Gleichzeitig möchte Großbritannien bei den Dienstleistungen aber eigene Wege gehen. Ein „dritter Weg“ sei das, betont man in Londoner Regierungskreisen. Als Rosinenpickerei kritisiert solcherlei dagegen die EU. May tingelt durch Europa und wirbt um Unterstützung für ihre Pläne. Am Dienstag reiste sie bereits in die Niederlande zu Gesprächen mit Ministerpräsident Mark Rutte.

Die Briten argumentieren schon eine ganze Weile, jedes Freihandelsabkommen basiere im Grunde auf Flexibilität und Rosinenpickerei. Sie jammern, die übrigen Europäer wollten Großbritannien für den EU-Austritt bestrafen, weshalb diese darauf pochten, die vier Säulen des Binnenmarktes seien untrennbar miteinander verbunden und Voraussetzung für einen freien EU-Marktzugang. Aber bisher zeigte man in Berlin trotz der engen wirtschaftlichen Verflechtungen der beiden Volkswirtschaften und den komplexen Lieferketten der deutschen Automobilhersteller wenig Neigung, den britischen Wünschen nach mehr Pragmatismus entgegenzukommen und aus der vereinten Front der EU-Länder auszuscheren.

Fest steht, in den nächsten beiden Wochen werden sowohl für die Zukunft Großbritanniens als auch für die deutsch-britischen Wirtschaftsbeziehungen entscheidende Weichen gestellt. Es ist wohl Mays letzte Chance, das Ruder noch mal herumzureißen und einen Vorschlag zu präsentieren, um den gordischen Knoten durchzuhauen und die festgefahrenen Brexit-Verhandlungen wieder in Schwung zu bringen. Die Herausforderung: Ihr Plan muss nicht nur für ihr Kabinett, ihre Partei und ihre Landsleute akzeptabel sein sondern auch für die EU. Schafft sie das nicht, ist sie politisch endgültig eine lahme Ente. Und die Gefahr des No-Deals wird real. Vor dem Hintergrund des Handelskriegs zwischen Europa und den USA wäre das eine zusätzliche Belastung für die Wirtschaft.

Bis zum entscheidenden EU-Gipfel im Oktober bleibt weniger Zeit als man annehmen könnte: lange Sommerpausen in London und Brüssel legen das politische Leben in den kommenden Wochen lahm, in Großbritannien finden dann im Frühherbst auch noch die Parteitage statt. So kommt der Showdown schon jetzt. An diesem Freitag wird May auf ihrem Landsitz Chequers alles versuchen, ihr zerstrittenes Kabinett im Hinblick auf die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zur EU auf Linie bringen und ihnen die Zustimmung zu ihrem neuesten Plan abzuringen. Zwei ältere, äußerst komplizierte Vorschläge für einen weitgehend zollfreien Handel waren bei der EU nicht auf Gegenliebe gestoßen und hatten auch in Mays Ministerriege keine Zustimmung gefunden. So wurden die englischen Beamten erneut ans Reißbrett zurückbeordert.

Vor zwei Jahren stimmten die Briten für den Abschied aus der EU. Realität ist der Brexit noch nicht, doch der Überdruss nimmt auf allen Seiten zu. Die negativen wirtschaftlichen Folgen machen sich zunehmend bemerkbar.
von Yvonne Esterházy

Herausforderungen vor der Sommerpause

Kracht es in Chequers allerdings zu heftig, weil sich Brexitiers und Remainer nicht einigen können, dann drohen Minister-Rücktritte – im schlimmsten Fall könnte die Regierung kollabieren. Sollte Außenminister Boris Johnson das Handtuch werfen, dann wäre das noch zu verschmerzen, er gilt inzwischen als diskreditiert. Schlimmer wären Rücktritte von Brexit-Minister David Davis oder Liam Fox, Minister für internationalen Handel. Am Montag oder Dienstag nächster Woche will May dann in einem Weißbuch konkretisieren, wie sie sich die künftigen Beziehungen mit der EU im Detail vorstellt. Erwartet werden Antworten auf die zentralen Brexit-Fragen; das hieße also Lösungsvorschläge zur Irland-Grenzfrage und für die künftigen Handelsbeziehungen und Zollmodalitäten. Das Risiko: Es droht eine Rebellion von Mays eigenen Hinterbänklern - sowohl auf der Remain- wie auf der Leave-Seite, eine parlamentarische Meuterei, die schlimmsten Fall zum Sturz der Premierministerin führen könnte. Denn noch vor der Sommerpause, die am 24 Juli beginnt, will May die Gesetzentwürfe zum Thema Zoll und Handel ins Parlament bringen.

In rund einer Woche, am 13. Juli, ist May genau zwei Jahre im Amt. Kein Grund zum Feiern allerdings, denn niemand glaubt, dass sie das dritte Amtsjubiläum erleben wird. US-Präsident Trump kommt an diesem Tag nach London, es drohen Anti-Trump-Demonstrationen und Protestaktionen. Ein schwieriger Termin auch wegen der kompromisslosen US-Haltung in Handelsfragen, Trumps Konfrontationskurs mit der EU und den von den USA bereits angekündigten knallharten Bedingungen für ein künftiges bilaterales US-UK-Freihandelsabkommen, auf das die Brexit-Anhänger alle Hoffnungen setzen. Schafft May das Unmögliche – nämlich den Brexit einigermaßen glimpflich über die Bühne zu bringen? Wird England Fußball-Weltmeister? Beides erscheint unwahrscheinlich. Am Samstag steht erst einmal das Viertelfinale gegen Schweden an.

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