Brexit-Chaos auf der Insel Den Briten droht das „No-Deal-Szenario“

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Stillstand kurz vor dem Ernstfall

Es muss nicht so weit kommen, könnte es aber, weil die führungsschwache Premierministerin Theresa May, deren heillos zerstrittenes Kabinett sie jeden Tag aufs Neue demütigt, bisher nicht einmal ihre Wunschvorstellungen für die Verhandlungen mit der EU konkretisiert hat. Der stellvertretende Leiter der Europaabteilung im Auswärtigen Amt, Peter Ptassak, twitterte schon eine Warnung: beim nächsten EU-Gipfel Ende Juni werde in Sachen Brexit wohl nicht viel passieren. Der Rückstau der ungelösten Probleme müsse dann vor dem Oktober-Gipfel geklärt werden. Ob das gelingen kann? Unklar, so der Diplomat.

Es herrscht Stillstand, obwohl die Uhr tickt. Die Premierministerin ist ständig im Noteinsatz: Am Donnerstag gelang es ihr nur mit Mühe, eine schwere Krise abzuwenden, die den Sturz der Regierung bedeutet hätte, nachdem der für den EU-Austritt zuständige Minister David Davis wegen Meinungsverschiedenheiten in der Irlandfrage mit Rücktritt gedroht hatte. Am Freitag tauchte eine Tonbandaufnahme von Außenminister Boris Johnson auf, der im kleinen Kreis erklärt hatte, US-Präsident Donald Trump wäre wohl besser für die Brexit-Verhandlungen geeignet als May. Im Hinblick auf die heikle Nord-Irland-Grenze meinte er spöttisch, der Schwanz dürfe nicht mit dem Hund wackeln. Eine sehr hilfreiche Bemerkung, bedenkt man, dass Mays Minderheitsregierung nur durch die fortwährende Duldung der nordirischen Protestanten-Partei DUP an der Macht bleiben kann.

Und wie reagierte die Premierministerin auf diese Bemerkungen? Sie vertraue ihrem Außenminister auch weiterhin, ließ sie durch ihre Sprecherin erklären. Sie wagt es eben nicht, ein Machtwort zu sprechen und ihren Außenminister zur Ordnung zu rufen.

Geheimes Telefonat – Johnson spricht von „Brexit Meltdown“

Überall bleiben wichtige Dinge liegen, die ungelösten Probleme häufen sich: Das von London angekündigte Weißbuch über die angestrebten künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU ist nach wie vor nicht veröffentlicht. Ebenso wenig der Gesetzentwurf über die künftige Einwanderungspolitik. In den zentralen Fragen, etwa der Grenze in Irland, gibt es keine vernünftigen Lösungsversuche, eine tiefe Kluft trennt EU-Chefunterhändler Michel Barnier und seine britischen Counterparts. Im Kabinett schlagen sich die Brexitiers und die EU-freundlichen Minister die Köpfe ein und streiten über zwei Zollunion-Modelle mit absurden Namen wie „Max Fac“ oder eine Zollpartnerschaft, denen die EU längst eine Absage erteilt hat. Britische Nabelschau.

Der Konflikt zwischen May und Davis hatte sich ebenfalls an der Frage entzündet, wie mit der kontroversen Irland-Frage verfahren werden könnte, denn sowohl Großbritannien als auch die EU wollen auf jeden Fall vermeiden, dass zwischen der britischen Region Nordirland und der Republik im Süden nach dem Brexit eine befestigte Grenze aufgebaut werden muss. EU-Unterhändler Barnier hatte als Notfallregelung („Backstop“) vorgeschlagen, Nordirland solle im Binnenmarkt oder in der Zollunion bleiben falls die Verhandlungen mit der EU nicht zu einem Ergebnis kommen und ein „No-Deal-Scenario“ Realität werden sollte.

Keine Notlösung, das Parlament muss das Land retten

Das aber ist für London nicht akzeptabel. Als Kompromiss hatte May daher gemeint, bis zur Klärung könne ja ganz Großbritannien bis auf weiteres in der Zollunion bleiben. Die Premierministerin plädierte dafür, kein Enddatum dafür festzuschreiben, doch die Brexitiers, allen voran Davis, forderten eine klare Befristung – andernfalls werde Großbritannien ewig an die EU gekettet bleiben. May gab nach: die Notfallregelung werde spätestens Ende 2021 enden. Doch das wiederum rief am Freitagnachmittag Barnier auf den Plan: eine Notfall-Lösung mit Befristung werde es mit ihm nicht geben, betonte er.

Nur das britische Parlament könnte das Land noch retten: indem sich die Brexit-Gegner aller Parteien nächsten Mittwoch bei der Abstimmung über das EU-Austrittsgesetz zusammenschließen und sich dem Willen von May widersetzen.

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