Brexit-Chaos Theresa May, die Unbelehrbare

Brexit-Chaos: Theresa May, die Unbelehrbare Quelle: AP

Der Brexit-Prozess verkommt endgültig zur Farce. Die Schuld dafür trägt Theresa May. Den Preis für ihre Fehler müssen wohl bald andere zahlen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Man konnte am Dienstagabend im britischen Unterhaus etwas Erstaunliches beobachten: Eine Regierungschefin, die den Kontakt zur Realität komplett verloren zu haben scheint.

Die Abgeordneten haben gerade zum zweiten Mal mit einer überwältigenden Mehrheit gegen Theresa Mays Brexit-Deal gestimmt, ihr wichtigstes, eigentlich ihr einziges politisches Projekt. Und wie reagiert May? Sie tritt ans Rednerpult und erklärt, dass der Deal, „den wir ausgehandelt haben, der beste und tatsächlich einzige verfügbare Deal“ sei. Als sie dabei ins brechend vollgepackte Unterhaus schaut, wirkt sie allenfalls verärgert. Von Einsicht keine Spur.

Dabei ist es in erster Linie ihre Schuld, dass der Brexit-Prozess derartig an die Wand gefahren ist. Sie hat durch ihren autoritären und unkooperativen Stil selbst dafür gesorgt, dass es zu dieser verheerenden Niederlage gekommen ist.

Das fing schon mit der Aktivierung von Artikel 50 des EU-Vertrages an, die den Beginn des Brexit-Prozesses einläutet. May wollte diesen Prozess zunächst in Gang setzen, ohne sich zuvor die Zustimmung des Parlaments zu holen. Es bedurfte eines Urteils des obersten Gerichts des Landes, damit May die Abgeordneten um ihre Einwilligung bat.

Kurz darauf setzte sie den Brexit-Prozess in Gang, obwohl es noch keinen klaren Kurs gab. Offenbar ging May davon aus, dass es ihr schon irgendwie gelingen würden, sich über die schweren Zerwürfnisse in ihrer eigenen Partei hinwegzusetzen, die bis in ihr Kabinett reichten. Es gelang ihr nicht. Die Folge: Mehr als ein Dutzend Ministerrücktritte und ein nicht enden wollender Streit, der nun dazu geführt hat, dass Mays Brexit-Kurs vermutlich gescheitert ist.

May legte schon früh – und offenbar im Alleingang – fest, dass sie einen vergleichsweise harten Brexit anstreben würde. Das Land sollte den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen und nicht mehr der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs unterstehen. EU-Bürger sollten auch nicht mehr automatisch das Recht haben, nach Großbritannien zu ziehen. Damit hat May gegenüber der EU etliche Türen zugeschlagen, bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen haben.

Im April 2017 überraschte May das gesamte Land, indem sie vorgezogene Neuwahlen ausrief. Offenbar hatte sie noch nicht einmal ihr Kabinett darüber informiert. May nahm, wieder ohne Rücksprache mit ihrer Partei, mehrere höchst umstrittene Punkte ins Wahlprogramm auf. Im Wahlkampf stellte sie sich dermaßen ungeschickt an, dass die Tories ihre absolute Mehrheit im Parlament verloren. Rücktrittsforderungen saß May aus. Ihre Regierung ist seitdem auf die zehn Abgeordneten der Democratic Unionist Party (DUP) angewiesen, einer nordirischen Regionalpartei. Nicht ohne Grund sollte die Frage der inner-irischen Grenze zum entscheidenden Stolperstein bei den Brexit-Verhandlungen werden.

Kritik an ihrem harten Brexit-Kurs im Parlament und in den eigenen Reihen ignorierte May weitgehend. Sie berief sich immer wieder darauf, dass sie „im Auftrag des britischen Volkes“ handele. Und dieses habe beim EU-Referendum 2016 für den harten Brexit-Kurs gestimmt, den sie eingeschlagen habe, behauptete May. Damit ignorierte sie, dass in Großbritannien nicht das Volk, sondern das Parlament der Souverän ist. Kritikern ihres Kurses warf sie vor, den Willen des Volkes zu übergehen. Das kam einer versuchten Machtnahme schon gefährlich nahe.

Bei den Brexit-Verhandlungen ignorierte May lange sämtliche Hinweise aus Brüssel und aus den europäischen Hauptstädten, wonach Großbritannien wegen ihrer „roten Linien“ (Zollunion, Binnenmarkt, einem Ende der Personenfreizügigkeit) Abstriche beim Brexit-Abkommen hinnehmen muss.

Offenbar verließ sich May darauf, dass die EU schon irgendwann nachgeben würde. Ihre Minister versuchten offen, einen Keil zwischen die verbleibenden 27 EU-Staaten zu treiben. Doch die hielten zusammen. Theresa May musste nachgeben.

Als May dann Ende des vergangenen Jahres einen Brexit-Deal präsentierte, der voll von Zugeständnissen gegenüber der EU war, war niemand damit zufrieden: nicht die Hardliner, nicht die EU-Befürworter und ganz sicher nicht die Öffentlichkeit.

Im Januar dann stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal mit einer historischen Mehrheit gegen ihren Brexit-Deal. Doch May weigerte sich noch immer, ihren rigiden Brexit-Kurs aufzuweichen und mit der Opposition an einer Lösung zu arbeiten, für die es im Parlament eine Mehrheit geben könnte. Stattdessen versuchte sie wieder und wieder, die EU zu Zugeständnissen zu bewegen.

Zugleich spielte May schamlos auf Zeit und verschob den Zeitpunkt der zweiten Abstimmung über ihren Deal so weit wie möglich nach hinten. Ganz offensichtlich hoffte sie darauf, dass die Abgeordneten zähneknirschend für ihren Deal stimmen würden, wenn zweieinhalb Wochen später ein ungeordneter Chaos-Brexit droht.

Ihre riskante Strategie ging nicht auf. Theresa Mays Versuch, ihren Brexit-Kurs gegen alle Widerstände durchzudrücken, ist spektakulär gescheitert. Den Preis dafür könnte schon bald das gesamte Land zahlen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%