Brexit-Durchbruch in Brüssel Die Skepsis bei britischen Unternehmern wächst

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Keine Zeit zu verlieren

EU-Chefunterhändler Michel Barnier hatte wiederholt betont, nach dem Ausstritt aus der Zollunion und dem EU-Binnenmarkt bleibe als Muster für die künftigen Handelsbeziehungen eigentlich nur ein Freihandelsabkommen nach dem kanadischen Modell übrig. Doch weil das keine Dienstleistungen einschließt, ist es vor allem für die Finanzindustrie und die Banken, die in der britischen Wirtschaft eine dominante Rolle spielen, wertlos.

Kein Wunder also dass der Chef der Royal Bank of Scotland (RBS) Ross McEwan kühl auf den Brüsseler Kompromiss reagierte: „Wir werden uns so verhalten, als werde es keinen Brexit-Deal geben, der für unsere Branche von Nutzen ist. Wir dürfen keine Zeit verlieren sondern müssen uns darauf vorbereiten, dass wir unsere Kunden auch weiter betreuen können – ganz egal was passiert.“

Auch die Wall-Street-Banken Goldman Sachs und Morgan Stanley planen, schon bald mit der Verlagerung von Personal zu beginnen. Miles Celic, Chef der Lobbyorganisation TheCityUK fordert dennoch: „Jetzt müssen sich die EU und Großbritannien dringend auf ein umfassendes Freihandelsabkommen konzentrieren, das Waren und Dienstleistungen einschließt und auf der gegenseitigen Anerkennung von regulatorischen Standards beruht“. Das Prinzip Hoffnung regiert bei den Lobbyisten eben immer noch, aber manche Unternehmer wollen nicht mehr warten.

Dringende Klärung der Übergangsperiode

Wichtigstes Ziel für die verarbeitende Wirtschaft, die langfristige Investitionsentscheidungen treffen muss, ist jetzt die baldige Klärung der Bedingungen für die Übergangsperiode. 60 Prozent der Mitgliedsfirmen des Industrieverbandes CBI sind fest entschlossen, bis Ende März ihre Notfallpläne für einen harten Brexit umzusetzen, wenn sie bis dahin keine konkreten Zusicherungen erhalten haben, wie es in der Zeit nach dem offiziellen Austrittstermin Ende März 2019 weitergeht. „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Rom brennt. Die Unternehmen müssen dringend wissen, wie die Transitphase aussehen wird”, fordert CBI-Präsident Paul Drechsler.

Unzufrieden ist der CBI auch, weil der künftige Status der EU-Bürger in Großbritannien und der britischen Bürger in der EU noch nicht ausreichend abgesichert ist:  „Das hat Priorität. Es muss unmissverständlich festgelegt werden, dass diese Menschen in den Ländern, in denen sie leben, willkommen sind – und zwar ganz unabhängig davon, wie der endgültige Ausgang der Verhandlungen ist. Es darf nicht sein, dass sie zum zweiten Mal ein Weihnachtsfest durchleben, während dessen sie um ihren Status bangen müssen“, betont der stellvertretende CBI-Generaldirektor Josh Hardie.

Auch beim Verband der verarbeitenden Industrie EEF macht man sich diesbezüglich große Sorgen. Eine Forderung, die nicht nur aus Menschlichkeit resultiert, weil man die EU-Bürger als Arbeitskräfte schließlich dringend braucht. „Schon jetzt bemerken unsere Mitgliedsfirmen, dass die Zahl der Bewerber aus den EU-Staaten zurückgeht. Außerdem sind bereits viele EU-Bürger in ihre Heimat zurückgekehrt. Im Südwesten Englands verkaufen zahlreiche Ausländer ihre Häuser und bereiten sich so auf ihren Abschied vor“, warnt Mark Swift vom EEF.

Welche deutschen Branchen der Brexit treffen könnte

Der grenzüberschreitende Handel mit der Republik Irland ist für die britischen Unternehmen weniger wichtig als für die irischen Mittelständler und Farmer, für die Großbritannien der wichtigste Exportmarkt ist. Doch sie alle fürchten, dass die Ungereimtheiten und Wiedersprüche der Kompromissformel für die Grenze, sich mittelfristig noch als Problem erweisen könnte. Denn eine „harte Grenze“ zwischen Nordirland und der Republik Irland ist nach wie vor nicht ausgeschlossen.

Einzige Lösung: Großbritannien müsste die Regeln des Binnenmarkts und der Zollunion weiter anwenden – doch dass ist für die Brexitiers nicht akzeptabel. Großbritannien könnte keine neuen Freihandelsabkommen abschließen und bliebe de facto in der EU. Spätestens am Ende der zweiten Verhandlungsphase kommt es also im Hinblick auf die Grenzfrage zum Schwur – „konstruktive Ambiguität“ wie bisher wird dann nicht mehr funktionieren.

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