Brexit Erfinden sich die Briten als Steueroase neu?

Heute rückt Innenministerin Theresa May an die Spitze der britischen Regierung. Der bisherige Schatzkanzler arbeitet indes an Plänen, die Unternehmenssteuer radikal zu senken. Kann das funktionieren?

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Diese Städte wollen das nächste London sein
Die irische Hauptstadt lockt vor allem mit niedrigen Steuersätzen für Unternehmen. Damit hat Irland bereits große US-Konzerne überzeugt – und zugleich Kritik auf sich gezogen. Der IT-Riese Google zum Beispiel muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er deutschen Fiskus austrickst. Quelle: imago images
Um sich dem Zugriff des Staates zu entziehen, verschieben einige Unternehmen über ihre Niederlassungen in Irland Gewinne in andere Steueroasen. Punkten kann Dublin natürlich auch damit, dass Englisch gesprochen wird. Gegen den Standort spricht aber, dass er nicht gerade zentral in der EU liegt und auch nicht gerade viele Banker unbedingt dort hinziehen werden. Quelle: imago images
Der französische Staatschef François Hollande hat gleich Paris als Alternative zu London ins Spiel gebracht – und Banken Hoffnungen auf Steuererleichterungen gemacht. Die Regierung müsse daher „unsere Regeln, darunter die fiskalischen, anpassen, um den Finanzplatz Paris attraktiver zu machen“, sagte Holland. Paris hat als Bankenstadt bereits eine Bedeutung – allein schon, weil die großen französischen Banken dort ihren Hauptsitz haben. Quelle: REUTERS
Und wenn es um Kultur, Lifestyle und Nachtleben geht, hängt Paris sowieso alle anderen Städte ab. Die Attraktivität Paris‘ ist zugleich ein Manko. Die Stadt ist extrem teuer, die Wege sind weit.   Quelle: imago images
Dass Luxemburg ein wichtiger Finanzplatz in der EU ist, ist unbestritten. Viele Banken, Fondsgesellschaften und Dienstleister haben dort große Büros. Der Großteil der Fonds, die in Deutschland verkauft werden, wurde nach den Luxemburger Regeln gestartet. Quelle: dpa
Und ähnlich wie Dublin hat auch das Großherzogtum Unternehmen mit geringen Steuersätzen angelockt. Diese Praxis ist aber mehr denn je hochumstritten. Zudem ist die Stadt mit rund 110.000 Einwohnern alles andere als groß. Fraglich wäre, ob dort einfach tausende weiterer Banker hinziehen könnten. Quelle: imago images
New York ist das globale Finanzzentrum. Entsprechen viele Banken aus aller Welt haben ohnehin einen großen Standort dort. Deshalb dürfte in einigen Fällen – wenn es nicht um Europageschäft geht – naheliegend sein, Jobs von London nach New York zu verlagern. In einer Umfrage der Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group nannten Topbanker von sich aus New York  als beste Alternative zu London. Quelle: AP

Nach dem Brexit ist vor der Urlaubssperre. Die wurde in Brüssel verhängt, dort müssen die engsten Mitarbeiter von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Sommer durcharbeiten. Verlangt werden neue Ideen für ein neues Europa. Die Beamten sollen in ihren Überlegungen möglichst konkret werden. „Es geht um die zwei, drei wichtigsten Fragen, die Europa lösen muss“, heißt es. Was immer das bedeuten mag.

Viele Menschen weit weg von der Blase des Brüsseler Europaviertels machen sich auch so ihre Gedanken. Sie kreisen allerdings nicht um das Anliegen, den Kontinent zu einen. Eher folgen sie dem neuen europäischen Motto, das der Brexit auf spektakuläre Weise bestätigt hat: Jeder ist sich selbst der Nächste. „Jetzt geht der nationale Wettstreit auf dem Kontinent erst richtig los“, sagt ein deutscher Spitzenbeamter.

Theresa May wird neue Premierministerin

Anders ist die Ankündigung des britischen Finanzministers George Osborne jedenfalls nicht zu verstehen. Der Schatzkanzler hat eine Senkung der britischen Unternehmensteuer von derzeit 20 auf unter 15 Prozent in Aussicht gestellt. Offenbar will Osborne kurzfristig eine drohende Rezession nach dem Brexit abwenden, mittelfristig die britische Verhandlungsposition gegenüber der EU stärken und langfristig sein Land zu einem attraktiven Standort für ausländische Investoren machen. Sein Ziel sei ein „superwettbewerbsfähiger“ Wirtschaftsstandort, so Osborne. Oder eben das führende „Offshore-Zentrum der Welt“, wie Finanzinvestor George Soros die Londoner Pläne umschreibt.

Britain first

Zunächst schien Großbritannien nach dem Referendum überhaupt keinen Plan zu haben. Jetzt liegt einer vor, der an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig lässt: Britain first. Exporteure sollen gezielt von der starken Abwertung des Pfund profitieren, das im Vergleich zum Dollar auf den tiefsten Stand seit 30 Jahren gefallen ist. Die britische Notenbank hat bereits klargemacht, dass sie dem Verfall der heimischen Währung zusehen wird, solange sich die Volatilität an den Märkten in Grenzen hält. Zudem will sie mit sinkenden Zinsen und viel Liquidität – die Bank hält 250 Milliarden Pfund bereit – dafür sorgen, dass die Banken mehr Kredite an Haushalte und Unternehmen vergeben und so die Konjunktur ankurbeln.

Brisanz birgt aber besonders Osbornes Steuerplan, der einen europaweiten Unterbietungswettlauf in Gang setzen und alle sozialdemokratischen Träume von harmonisierten Steuersätzen beenden könnte. Der französische EU-Kommissar Pierre Moscovici warnt bereits vor einem „ungezügelten Steuerwettbewerb“. Der mutmaßliche französische Präsidentschaftskandidat Alain Juppé hingegen ist der Meinung, dass Frankreich „reagieren“ und den eigenen Steuersatz senken müsse. In Irland wiederum schlägt die Industrielobby Alarm, weil sie sich um die eigene Standortattraktivität sorgt. „Früher konkurrierten vor allem die Niederlande und Singapur als Niedrigsteuerländer mit uns“, sagt Gerard Brady, Chefvolkswirt des irischen Unternehmerverbandes Ibec, „nun auch Großbritannien“. Brady fordert, seine Regierung solle umgehend die Kapitalertragsteuer für Firmen reduzieren.

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