




Die Europäische Union ist dem britischen Ministerpräsidenten Cameron bei seinen Reformwünschen weit entgegengekommen. Doch damit ist der Brexit, also der Austritt von Großbritannien aus der EU, noch nicht abgewendet. Auch in den jüngsten Umfragen liegen die Brexit-Befürworter vor den Gegnern. Sollten sie auch am Ende die Nase vorne haben, könnte der Prozess der Schwächung Europas erst richtig Fahrt aufnehmen, weitere Austritte könnten folgen.
Die wirtschaftlichen Folgen für Europa wären aus meiner Sicht nicht ganz so nachhaltig, da man hier sicherlich pragmatische Lösungen finden würde. Doch aus politischer Sicht wäre dieser Schritt sehr nachteilig - für Europa und für Großbritannien. In Großbritannien selbst könnte sich eine schwierige Diskussion entwickeln. Die Regionen Schottland und Wales sind klare Befürworter Europas. Daher ist es auch nicht völlig auszuschließen, dass diese beiden Teile von Großbritannien wiederum in die Europäische Union eintreten wollen, was quasi einer Spaltung des Vereinigten Königreichs gleich käme.
Die schwierige Beziehung der Briten zu Europa
Die Beziehungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union waren nie einfach. Der konservative britische Premierminister David Cameron will bei einer Wiederwahl 2017 ein Referendum über den Verbleib in der EU ansetzen - und vorher das Verhältnis des Königreichs zu Brüssel neu verhandeln. Geprägt von tiefem Misstrauen gegenüber Europa setzte Großbritannien in der Vergangenheit wiederholt Sonderregeln durch - und steht traditionell mit einem Fuß außerhalb der EU.
Da Großbritannien zwar viel in den EU-Haushalt einzahlte, aber kaum von den milliardenschweren Agrarhilfen profitierte, forderte die britische Premierministerin Margaret Thatcher 1979: „I want my money back!“ („Ich will mein Geld zurück!“) Die „Eiserne Lady“ setzte dann 1984 eine Rabatt-Regelung für ihr Land durch, nach der Großbritannien 66 Prozent seines Nettobeitrags an die EU zurückerhält. Der Rabatt besteht bis heute, obwohl er immer wieder den Unmut anderer EU-Länder erregt, da sie nun den britischen Anteil mittragen müssen. Doch abgeschafft werden kann die Regel nur, wenn London zustimmt.
Wer von Deutschland nach Frankreich, Österreich oder in die Niederlande reist, muss dafür seinen Pass nicht vorzeigen. Großbritannien-Urlauber sollten den Pass jedoch dabei haben: Die Briten haben sich nicht dem Schengen-Abkommen angeschlossen, das den EU-Bürgern Reisefreiheit von Italien bis Norwegen und von Portugal bis Polen garantiert.
Seit der EU-Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 in Kraft getreten ist, kann Großbritannien wählen, an welchen Gesetzen im Bereich Inneres und Justiz es sich beteiligt. Zudem erwirkte die britische Regierung den Ausstieg aus 130 Gesetzen aus der Zeit vor dem Lissabon-Vertrag. Im Dezember 2014 stieg London dann bei rund 30 Regelungen wieder ein, darunter beim Europäischen Haftbefehl. Diese „Rosinenpickerei“ nervt im Rest der EU viele.
In der Verteidigungspolitik setzt Großbritannien auf die Nato. Als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im März für den Aufbau einer europäischen Armee warb, kam das „No“ aus London postwendend. „Verteidigung ist eine nationale, keine EU-Angelegenheit“, sagte ein Regierungssprecher. Obgleich Großbritannien Ende der 1990er Jahre den Widerstand gegen die Gründung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) aufgab, wacht es darüber, dass die Europäer hier nicht zu weit gehen. So hat London verhindert, dass es ein Militärhauptquartier in Brüssel gibt. EU-Einsätze wie etwa in Mali werden deshalb dezentral aus den Mitgliedstaaten geleitet.
Auch in der Euro-Krise ist die an ihrer Pfund-Währung festhaltende britische Insel ein gutes Stück weiter von der Kern-EU weggedriftet. Mit Sorge wurden in London die mühseligen Arbeiten zur Euro-Rettung beobachtet, zudem fürchtete die britische Regierung Folgen für den Finanzstandort London durch strengere Banken-Regulierung oder eine Finanztransaktionssteuer. Für Empörung in der EU sorgte, dass sich Großbritannien dem Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin nicht anschloss.
Für Deutschland ist die britische Regierung ein wichtiger Verhandlungspartner. Die Briten sind die letzten gewichtigen Verbündeten Deutschlands, die klare marktwirtschaftliche Positionen vertreten. Dies kann man auch gut an den Forderungen des britischen Premiers Cameron sehen, die eigentlich vernünftig sind und viele grundlegende Probleme der EU adressieren. Die gute Nachricht dabei ist, im Grunde sollte in fast allen Punkten eine Einigung oder ein Kompromiss erreichbar sein.
Viel Migration aus EU-Ländern
Da in Großbritannien die Zuwanderung aus östlichen EU-Ländern offenbar mehr Probleme macht als die Zuwanderung aus Afrika, Nahost oder Asien, möchte Cameron von der Regel abweichen, wonach EU-Bürger überall innerhalb der Union gleich behandelt werden müssen – also auch im Lande lebende Bürger anderer EU-Staaten die gleichen Sozialleistungen erhalten wie Inländer. Dafür kann er wahrscheinlich mit wachsendem Verständnis der übrigen EU-Länder rechnen, die ja gerade dabei sind, die Anspruchsvoraussetzungen für eingewanderte Nicht-EU-Bürger zu verschärfen. Juristisch mag ein Kompromiss schwierig sein, politisch liegt ein Konsens aber nahe.
Weiterhin fordert Cameron den Abbau von Überregulierung und exzessiver Bürokratie in der EU und will damit die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Dagegen hat niemand etwas. Das Problem mit dieser Forderung liegt eher darin zu unterscheiden, wo die europäische Regulierung zu weit geht, und wo sie durch die Harmonisierung nationaler Regulierungen gerade dazu dient, den Wettbewerb innerhalb des gesamteuropäischen Marktes zu stärken.
Da Großbritannien nicht Mitglied der Währungsunion ist, fordert es verständlicherweise, dass die Nicht-Euro-Länder innerhalb der EU nicht benachteiligt werden. Das ist keine spezifisch britische Forderung, sondern ein Problem, das die Union ohnehin lösen muss. Denn auch andere Nicht-Euro-Länder sehen sich an den Rand gedrängt, da die politische Energie in Europa sich in letzter Zeit mehr und mehr auf die Eurozone konzentriert hat – nicht zuletzt, da in der Währungsunion die Europäische Zentralbank zum dominierenden wirtschaftspolitischen Akteur geworden ist.