
Die britische Regierung hat das Parlament gebeten, den Weg für den Brexit-Antrag freizumachen. Die Entscheidung über einen Austritt aus der Europäischen Union hätten die Wähler bereits beim Referendum im vergangenen Juni getroffen, sagte Brexit-Minister David Davis am Dienstag. Jetzt gelte es nur noch das Gesetz dafür zu billigen. Dutzende Abgeordnete der Regierung, aber auch der Opposition erklärten, sie würden das Gesetz nicht blockieren.
Premierministerin Theresa May will bis Ende März den offiziellen Brexit-Antrag einreichen. Auf diesen folgen dann zweijährige Austrittsverhandlungen mit Brüssel. Das Oberste Gericht Großbritanniens entschied vergangene Woche aber, dass dafür aber erst noch das Parlament befragt werden muss. Rasch wurde deshalb ein Gesetzentwurf vorbereitet, der nun den Abgeordneten vorgelegt wurde.
Brexit-Minister David Davis sagte zum Auftakt der Debatte im Unterhaus, die Entscheidung über den Austritt sei gefallen. „Das ist keine Vorlage darüber, ob Großbritannien die Union verlassen soll oder wie es das tun soll“, sagte Davis. „Es geht hier schlicht darum, dass das Parlament die Regierung ermächtigt, eine Entscheidung umzusetzen, die bereits getroffen wurde - der Punkt ohne Widerkehr ist bereits verstrichen.“
Welche deutschen Branchen der Brexit treffen könnte
Jedes fünfte aus Deutschland exportierte Auto geht laut Branchenverband VDA ins Vereinigte Königreich. Präsident Matthias Wissmann warnte daher vor Zöllen, die den Warenverkehr verteuerten. BMW etwa verkaufte in Großbritannien 2015 rund 236 000 Autos - über 10 Prozent des weltweiten Absatzes. Bei Mercedes waren es 8 Prozent, bei VW 6 Prozent. BMW und VW haben auf der Insel zudem Fabriken für ihre Töchter Mini und Bentley. Von „deutlich geringeren Verkäufen“ in Großbritannien nach dem Brexit-Votum berichtete bereits Opel. Der Hersteller rechnet wegen des Entscheids 2016 nicht mehr mit der angepeilten Rückkehr in die schwarzen Zahlen.
Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien der viertwichtigste Auslandsmarkt nach den USA, China und Frankreich. 2015 gingen Maschinen im Wert von 7,2 Milliarden Euro auf die Insel. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte weniger gut. In den ersten zehn Monaten 2016 stiegen die Exporte nach Großbritannien dem Branchenverband VDMA zufolge um 1,8 Prozent gemessen am Vorjahr. 2015 waren sie aber noch um 5,8 Prozent binnen Jahresfrist gewachsen. Mit dem Brexit sei ein weiteres Konjunkturrisiko für den Maschinenbau dazugekommen, sagte VDMA-Präsident Carl Martin Welcker im Dezember.
Die Unternehmen fürchten schlechtere Geschäfte wegen des Brexits. Der Entscheid habe bewirkt, dass sich das Investitions- und Konsumklima in Großbritannien verschlechtert habe, sagte jüngst Kurt Bock, Präsident des Branchenverbands VCI. Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien ein wichtiger Abnehmer gerade von Pharmazeutika und Spezialchemikalien. 2016 exportierten sie Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich, rund 7,3 Prozent ihrer Gesamtexporte.
Für Elektroprodukte „Made in Germany“ ist Großbritannien der viertgrößte Abnehmer weltweit. 2015 exportierten deutsche Hersteller laut Branchenverband ZVEI Waren im Wert von 9,9 Milliarden Euro in das Land, 9,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte mit dem Vereinigten Königreich nicht mehr so gut. Nach zehn Monaten verzeichnet der Verband ein Plus bei den Elektroausfuhren von 1,7 Prozent gemessen am Vorjahr. Grund für die Eintrübung seien nicht zuletzt Wechselkurseffekte wegen des schwachen Pfunds, sagte Andreas Gontermann, Chefvolkswirt des ZVEI.
Banken brauchen für Dienstleistungen in der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Mit dem Brexit werden Barrieren befürchtet. Deutsche Geldhäuser beschäftigten zudem Tausende Banker in London, gerade im Investmentbanking. Die Deutsche Bank glaubt indes nicht, dass sie ihre Struktur in Großbritannien „kurzfristig wesentlich“ ändern muss. Die Commerzbank hat ihr Investmentbanking in London schon stark gekürzt. Um viel geht es für die Deutsche Börse. Sie will sich mit dem Londoner Konkurrenten LSE zusammenschließen. Der Brexit macht das Projekt noch komplizierter.
Der Gesetzentwurf, der zur Abstimmung steht, besagt: „Die Premierministerin darf die Absicht des Vereinigten Königreichs zum Austritt aus der EU gemäß Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union bekanntgeben.“
Dutzende Abgeordnete meldeten sich bis spätabends zu Wort, um ihre Unterstützung und ihre Bedenken zum Brexit kundzutun. Der Konservative Bill Cash nannte das Brexit-Referendum eine „friedliche Revolution“. Sein Kollege John Redwood sah einen Neubeginn für das bisher von Brüssel dominierte „Puppenparlament“ in London. Seine Kollegin Anna Soubry hingegen sagte, dass die Geschichte über ihre Regierung wohl kein gutes Urteil fällen werde.
Die Labour-Partei als größte Oppositionspartei will Änderungen in dem Entwurf durchsetzen, hat aber angekündigt, ihn nicht zu blockieren. Einige Labour-Abgeordnete aus Regionen von Brexit-Gegnern sagten aber, sie wollten den Willen ihrer Wähler respektieren und gegen das Austrittsverfahren stimmen. Auch die Schottische Nationalpartei und die Liberaldemokraten kündigten Widerstand an. Der frühere Parteichef der Liberaldemokraten, Nick Clegg, forderte die Regierung auf, einen besseren Brexit-Plan auszuarbeiten, durch den Großbritannien im Binnenmarkt bleiben könne. Weil May nun außerhalb der EU nach Partnern suchen müsse, habe sie sich sogar dem US-Präsidenten Donald Trump andienen müssen, dessen Protektionismus den strategischen Interessen Großbritanniens entgegenlaufe.
Die Beratungen gehen am Mittwoch weiter. Erhält der Gesetzentwurf die erwartete Zustimmung, wird er an den Prüfungsausschuss und anschließend an das britische Oberhaus weitergeleitet.