Sich auf so eine Revitalisierung zu verlassen und einfach weiterzumachen wie bisher, kann aber auch keine europäische Alternative sein. Weniger, weil die Abstimmung so grundlegende Fehler der eigenen Konstruktion offengelegt hat. Sondern weil die britische Leave-Kampagne eine Grundschwäche der europäischen politischen Verfassung enttarnt – die Unfähigkeit, den Wähler mit rational ökonomischen Argumenten zu erreichen.
Cameron hatte seinen Kampf um das Argument aufgebaut, ein Verbleiben in der EU sei wirtschaftlich richtig und wichtig. Dafür hatte er jede Menge Studien und Fakten parat, die alle haarklein belegten, dass Großbritannien zu den größten Gewinnern des EU-Binnenmarktes gehört, dass dieses Land sehr viel „better off“ in der europäischen Gemeinschaft ist als außerhalb von ihr.
„Die sind doch nicht doof“, war ein Standardsatz in Brüssel und anderswo, wenn es um die Möglichkeit ging, die Briten könnten sich wirklich für einen Austritt entscheiden.
Meinung ist alles
Aber diese scheinbar so bestechende Vernunft ließ sich leicht aushebeln. Auch weil dieser britische Meinungskampf in all seiner Hässlichkeit, Aggression und häufig offenen Unwahrheit eher an amerikanische Zustände erinnerte als an europäische. Aber es sind Zustände, an die wir uns im Zeitalter der sozialen Medien gewöhnen müssen - in der Meinung (vor allem die, die man sich von Gleichgesinnten stetig bestätigen lässt) alles ist und Fakten wenig.
Und wir dürfen nicht vergessen: diese Anti-EU-Ressentiments haben verfangen, weil sie ein dumpfes Gefühl bedienen, dass „die da oben“ abgekoppelt sind vom Rest der Welt, dass die Moderne, die rasante Globalisierung etwas Beängstigendes sind – eine Welt, in der ein Durchschnittsbürger rasch aus dem Tritt gerät.
Wie man diese Wähler wieder erreicht, das ist die wahre Herausforderung für die Politiker in Brüssel, aber auch in Berlin, Paris, Madrid oder Lissabon. Denn davon gibt es in Europa sehr, sehr viele.