Brexit Großbritannien will sich gegen den EU-Austritt wappnen

Seite 2/2

"Meine Regierung ist für alle da, nicht nur für die Privilegierten"

Das Ende der Sparpolitik von Ex-Finanzminister Osborne ist eine direkte Folge aus dem EU-Referendum: Zahlreiche Wähler aus ärmeren Einkommensschichten mit niedrigerem Bildungsniveau, die in Regionen außerhalb kosmopolitischer Metropolen wie London leben, fühlten sich unverstanden, von den Errungenschaften der Globalisierung und des Liberalismus ausgeschlossen, rebellierten gegen den Status Quo und stimmten deshalb für den Brexit. May hatte daher wiederholt versprochen, sie werde sich um die Familien kümmern, die gerade mal so über die Runden kämen.

„Meine Regierung ist für alle da, nicht nur für die Privilegierten“, beteuerte sie in den letzten Monaten immer wieder. Hammond versucht dem Rechnung zu tragen  indem er eine Aufstockung des Mindestlohns um 30 Pence auf 7,50 Pfund (8,75 Euro) bekannt gab. Geringverdiener sollen zusätzlich entlastet werden, indem die Einkommensschwelle für den Start der Lohnsteuerpflicht ab April angehoben wird. Der Schatzkanzler pumpt außerdem 1,4 Milliarden Pfund in den sozialen Wohnungsbau und kappte die Maklergebühren für Mieter. Mit all diesen Maßnahmen will Hammond die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen entlasten.

Er kündigte auch an, dass Sozialhilfeempfänger, die einen Arbeitsplatz gefunden haben, nicht so viel von ihrer Stütze verlieren werden, wie bisher geplant. Doch angesichts der angespannten Haushaltslage hatte er nicht viel Spielraum.

Wie es nach dem Referendum weiter geht
Premierminister David Cameron Quelle: dpa
Artikel 50 Quelle: dpa
Der ungeregelte Austritt Quelle: dpa
Das Modell „Norwegen“: Quelle: dpa
Das Modell „Schweiz“: Quelle: dpa
Das Modell „Kanada“: Quelle: dpa
Das „WTO“-Modell Quelle: REUTERS

Anders als erwartet kündigte der Finanzminister auch keine Senkung der Körperschaftssteuer auf 15 Prozent an, er bestätigte statt dessen nur, was bereits sein Vorgänger Osborne angekündigt hatte: die Abgabe soll bis 2020 von heute 20 Prozent auf 17 Prozent sinken. Teile der Wirtschaft waren enttäuscht, weil er keine neuen Anreize für Investitionen ankündigte, obwohl er die niedrige Produktivität beklagt hatte: „Deutsche und amerikanische Arbeiter sind um 30 Prozent produktiver als ihre britischen Kollegen“, so Hammond.

Der Generaldirektor des Verbandes der leitenden Angestellten (IoD), Simon Walker, kritisierte daher, der neue Haushaltsplan biete der Industrie nicht genug und sei „nicht ehrgeizig genug“.

Hammond erwähnte auch nicht, welche Pläne die Regierung im Hinblick auf die bevorstehenden Brexit-Verhandlungen verfolgt. Dabei ist dies das Thema, das die Wirtschaft am meisten umtreibt. Das wurde bereits bei der Jahrestagung des Industrieverbandes CBI am Montag deutlich. Kühl reagierten die zahlreichen Unternehmer, die sich in Londons Edelhotel Grosvenor House versammelt hatten auf eine nichtssagende Rede von May, die erneut die entscheidenden Antworten schuldig blieb. Einer zuckte nur die Achseln, eine Reihe von anderen Managern machten ihrer Frustration über die mangelnden Informationen über die bevorstehenden Brexit-Gespräche anschließend im kleinen Kreis Luft.

Denn Großbritanniens Unternehmer sorgen sich wegen der anhaltenden Ungewißheit über das künftige Verhältnis zur EU, sie wollen wissen, ob die Regierung ihnen den Zugang zum Binnenmarkt sichern will und vor allem wünschen sie sich Übergangsfristen, um einen möglichst reibungslosen Wechsel zu ermöglichen. „Wir benötigen mehr Klarheit – vor allem aber: einen Plan“, forderte CBI-Präsident Paul Drechsler und fügte hinzu: „Was passiert am Tag nach dem Brexit? Wenn die Uhr Mitternacht schlägt und die zweijährigen Verhandlungen vorbei sind?“ Die Wirtschaft überlege, was ein Klippenrand-Szenario bedeuten würde: eine plötzliche und drastische Veränderung der Handelskonditionen. „Sollte das passieren, könnten sich die Firmen in einem regulatorischen Niemandsland wiederfinden“, warnte Drechsler

Für viele Unternehmer ist auch die drastische Abwertung der britischen Währung nach dem Brexit-Votum im Juni ein Problem. Zwar profitieren davon die Exporteure, doch gleichzeitig haben sich die Importe verteuert. Diese Preiserhöhungen an die Kunden weiterzugeben ist nicht leicht. Dennoch ist es nur eine Frage der Zeit, bis die britischen Supermärkte und auch die deutschen Discounter Aldi und Lidl ihre Preise auf der Insel anheben. Das aber wird die Inflation anheizen, die Bank of England prognostiziert bereits einen Anstieg der Teuerungsrate.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%