Brexit Erfinden sich die Briten als Steueroase neu?

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Osborne - ein Minister auf Abruf

Skepsis ist also angebracht, auch mit Blick auf die großspurig angekündigten chinesischen Investoren. Chris Williamson, Chefvolkswirt des Finanzdienstleisters Markit Economics, meint: „Es wird für Großbritannien nach dem Austritt aus der EU sehr schwierig werden, Handelsbeziehungen mit China weiter anzukurbeln.“ Chinas Präsident Xi Jinping hat stets betont, dass er sich den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU wünscht. Ein Austritt würde das Land weit weniger attraktiv für die Chinesen machen.

Wo die großen Brexit-Baustellen sind

Hinzu kommt: Osborne, ein enger Vertrauter von Premierminister David Cameron, ist ein Finanzminister auf Abruf. Nach Camerons Abschied im September dürfte er nicht Finanzminister bleiben. „Seine Ankündigung ist bedeutungslos. Hier greift ein Kontrollfreak nach dem letzten Strohhalm“, sagt Richard Murphy. Innenministerin Theresa May, die Cameron am heutigen Mittwoch als Premierministerin nachfolgen soll, hat Osbornes Steuerpläne bisher wohlweislich nicht kommentiert.

Dennoch offenbart allein die Debatte über solche Pläne, dass Europa, je nach Sichtweise, auf eine Phase des Steuerwettbewerbs und -egoismus zusteuert. Entsprechend aufmerksam haben deutsche Regierungskreise die britische Ankündigung verfolgt. Früher hat Kanzlerin Angela Merkel zwar selbst für mehr Steuerwettbewerb in Europa geworben. Doch heute ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), verantwortlich für einen Unternehmensteuersatz von knapp 30 Prozent, „not amused“ über die britischen Pläne, wie es aus seinem Umfeld heißt.

Der Minister will sich von Osborne dessen Pläne persönlich erläutern lassen. Es dürfte kein angenehmes Gespräch werden. Schon das aktuelle britische Steuerniveau von 20 Prozent ärgert Schäuble. Nach deutschem Recht beginnt Steuerdumping eines anderen Landes bereits bei einem Satz von weniger als 25 Prozent. Seit Langem versucht Schäuble, Irland zur Anhebung seines Minisatzes zu bewegen. Auch das dürfte Osbornes Initiative erschweren.

Europäischer Mindeststeuersatz

„Ich halte nichts von Steuerdumping“, sekundiert Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU), dessen Finanzstandort Frankfurt in direktem Wettbewerb zur Londoner City steht. Schäfer fordert einen „europäischen Mindeststeuersatz“, um „den schädlichen Kampf um den niedrigsten Steuersatz zu verhindern“. So ein Mindestniveau müsste in der EU aber einstimmig beschlossen werden. Und das ist sehr unwahrscheinlich.

Einige Stimmen sind auch dankbar für die britische Vorlage. Lutz Goebel, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer, sagt: „Deutschland darf den Ideenwettstreit um Steuermodelle nicht scheuen.“ Auch die Bundesrepublik könne, so Goebels Ableitung, einiges tun. Eine Option: Eigenkapital dem Fremdkapital steuerlich gleichstellen – sprich: die (fiktiven) Zinsen als Betriebsausgabe absetzbar machen – und damit Gewinne wie Eigenkapitalbildung stimulieren.

Immerhin, die vermutlich aus Europa scheidenden Briten haben noch einmal gezeigt, dass sie Debatten in Europa lostreten können. „Dass wir nun über Steuerpolitik diskutieren, dafür bin ich dankbar“, sagt Michael Eilfort von der Stiftung Marktwirtschaft, einer Denkfabrik, der seit Jahren erfolglos Reformvorschläge vorträgt. Immerhin also: eine Idee. Man lernt in diesen Tagen in Europa, für sehr wenig dankbar zu sein.

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