Und die Wirtschaft? Die ist gespalten: Große internationale Konzerne wie Easyjet, Vodafone und WPP haben sich bereits als Befürworter einer reformierten EU geoutet, Vertreter der internationalen Großbanken in der Londoner City, die Lobbygruppe TheCityUK und der Industrieverband CBI ebenso. Auf der anderen Seite formiert sich ein lautstarkes Lager der Europagegner, denen Camerons Vorschläge nicht weit genug gehen: Vote Leave, eine radikale Pro-Brexit-Gruppe, in der sich neben Unternehmern auch Politiker aller Parteien tummeln, bezeichnet den CBI als „Sprachrohr Brüssels“.
„Die Wähler müssen erkennen, die Wirtschaft ist tief gespalten. Die Euro-Skeptiker sind heute, anders als noch vor 15 Jahren, respektable Leute, die dem Mainstream angehören“, sagt Daniel Hodson, Schatzmeister der Organisation Business for Britain. Geschäftsleute, Hedgefondsmanager, Vermögensverwalter und Private-Equity-Investoren haben sich dort zusammengeschlossen. Sie veröffentlichten diesen Sommer ein 1000-seitiges Pamphlet. Tenor: Großbritannien könne auch außerhalb der EU prosperieren.
Darum will Angela Merkel die Briten in der EU halten
Angela Merkel und der britische Premier David Cameron wollen gemeinsam verhindern, dass Brüssel noch mehr Macht bekommt. Der Kampf gegen die EU-Bürokratie eint Berlin und London.
Soll es je eine echte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU geben, geht das nur mit den Briten. Schließlich sind sie ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und im Besitz von Atomwaffen.
In der Wirtschaftspolitik hat Merkel mit den Briten mehr gemeinsame liberale Prinzipien als mit dem französischen Sozialisten François Hollande. Auch bei TTIP und Freihandel verbindet Merkel viel mit den britischen Konservativen.
Sollten die Briten austreten, würden in den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden ebenfalls die Anti-EU-Strömungen stärker. Und auch in Deutschland bekämen die EU-Gegner Auftrieb.
Ohne die Briten würde der europäische Binnenmarkt kleiner und schwächer – ein Nachteil für die deutschen Unternehmen, die auf der Insel über 120 Milliarden Euro investiert haben, mehr als doppelt so viel wie in Frankreich und China.
Hodson war Chef der Derivatebörse Liffe, sitzt heute in diversen Aufsichtsräten und ist in der Finanzmeile gut vernetzt. Anders als die meisten Vertreter der Großbanken fürchtet der 71-Jährige nicht um die Vormachtstellung Londons als größtes Finanzzentrum Europas. „Es gibt keine andere europäische Stadt, die es im Hinblick auf Expertise, Talent, Ressourcen und Dienstleistungen mit der Londoner City aufnehmen kann“, sagt er. Ähnlich wie die US-Geldhäuser würden auch die britischen Banken nach einem Brexit Wege finden, in der EU Geschäfte zu machen.
Letztes Referendum über Europa vor 40 Jahren
Hodson ist kein rechter Scharfmacher, sondern ein Gentleman alter Schule, der auf einer griechischen Insel ein Ferienhaus besitzt und sogar ein wenig Griechisch spricht. Von den dumpfen, fremdenfeindlichen Äußerungen der United Kingdom Independence Party (Ukip) distanziert er sich ausdrücklich: „Unser Land hat Immigranten schon immer willkommen geheißen, das hat den Wohlstand unseres Landes begründet.“ Und wie so viele in der kosmopolitischen Londoner Finanzmeile wünscht er sich den Zustrom internationaler Talente. Allerdings dürfe sich dies nicht vor allem auf die EU-Ausländer beschränken und auf Kosten von Experten aus dem Rest der Welt gehen.
Europa
1975, vor 40 Jahren also, fand in Großbritannien die letzte Volksabstimmung über Europa statt. Labour-Premier Harold Wilson hatte der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) kosmetische Zugeständnisse abgerungen, er und die konservative Oppositionschefin Margaret Thatcher warben für ein Ja. 67 Prozent der Wähler folgten ihnen.
Auch Hodson hat damals mit Ja gestimmt. Unterstützt habe er damals ein Wirtschafts- und Handelsbündnis, nicht aber eine politische Union. Großbritannien ging es wirtschaftlich schlecht, Europa und die EWG schienen den Ausweg zu bieten. Doch später wandelte sich das Blatt, heute ist das Vereinigte Königreich die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt. Die europäischen Verträge von Maastricht und Lissabon sowie die Einführung des Euro sind für Hodson die Meilensteine einer Entwicklung hin zu einem immer stärker zentralisierten Europa. „Verstehen Sie mich nicht falsch“, sagt er, „wir in unserem Lager betrachten uns als Pro-Europäer, wir sind stolz auf unser europäisches Erbe, unsere Kultur.“ Ideal wäre es, wenn Camerons Verhandlungen das Verhältnis zur EU auf einen Status reduzieren könnten, der dem von 1975 ähnle. „Schließlich wollen wir nicht, dass die Britischen Inseln in die Mitte des Atlantik abdriften.“