Brexit-Streit EU-freundliche Politikerinnen verlassen Mays Partei

Im britischen Parlament formiert sich zunehmend Widerstand gegen den Brexit-Verhandlungskurs der Regierung. Quelle: imago images

Die ersten Tory-Abgeordneten wechseln ins Lager der neuen „Unabhängigen Gruppe“, der schon acht ehemalige Labour-Politiker angehören. Werden sie es schaffen, das Ruder im Brexit-Streit herumzureißen?

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Die neu gegründete „Unabhängige Gruppe“ im britischen Parlament hat Zuwachs auch von den regierenden Konservativen bekommen. Die EU-freundlichen Politikerinnen Heidi Allen, Sarah Wollaston und Anna Soubry sind am Mittwoch aus der Tory-Partei ausgetreten und haben sich der neuen Gruppe angeschlossen. Sie bestand bisher aus acht Abgeordneten, die die größte Oppositionspartei Labour aus Protest verlassen hatten. Sie wollen fünf Wochen vor dem geplanten EU-Ausstieg den Brexit-Streit im Unterhaus beenden.

Premierministerin Theresa May sagte, sie sei betrübt über die Entwicklung. Sie betonte aber mit Blick auf den EU-Ausstieg: „Wir machen das Richtige für unser Land.“

Die drei abtrünnigen Politikerinnen hielten dagegen: „Das Land hat etwas Besseres verdient.“ Sowohl bei den Konservativen als auch in der Labour-Partei seien große Fehler gemacht worden. Die Politik brauche eine schnelle, radikale Reform. „Und wir sind dazu entschlossen, unseren Beitrag zu leisten.“ Die Ex-Tory-Frauen riefen andere Abgeordnete öffentlich auf, ihrem Beispiel zu folgen. Beobachter mutmaßen, dass sich dadurch die Machtverhältnisse im Parlament ändern und dies möglicherweise doch noch zu einer Lösung im Streit um den EU-Austritt führen könnte.

Der Fraktionschef der Schottischen Nationalpartei SNP, Ian Blackford, sprach im Parlament von einer „konstitutionellen Krise, am Rande einer Brexit-Katastrophe“. Das Unterhaus sei im Krieg mit sich selbst. „Die Tories und die Labour-Partei implodieren“, sagte Blackford.

Das Londoner Parlament ist über den Brexit-Kurs total zerstritten. Die Minderheitsregierung von May, die von der nordirischen Partei DUP gestützt wird, ist auf jede Stimme angewiesen. Ihre „funktionale Mehrheit“ sinkt durch die Austritte von 13 auf sieben. Das könnte theoretisch bedeuten, dass in Zukunft knappe Abstimmungen verloren gehen. Schon in der Vergangenheit hatten die Überläufer aber häufig gegen May gestimmt - sie hätte sich also ohnehin nicht auf die Politiker verlassen können.

Die größten Probleme bleiben weiterhin die Widerspenstigkeit der DUP und die vielen Rebellen in den Reihen der eigenen Partei, vor allem am rechten Rand. Dafür gibt es aber nach wie vor einige unabhängige Abgeordnete, die bisher stets für die Regierung stimmten.

Die „Unabhängige Gruppe“ war am vergangenen Montag von sieben Labour-Abgeordneten aus Protest gegen den Brexit-Kurs ihres Parteichefs Jeremy Corbyn gegründet worden. Der 69-Jährige, der lange keine klare Position zum EU-Austritt bezogen hat, setzt auf Neuwahlen. Die Mitglieder kritisieren auch den Umgang des Altlinken mit antisemitischen Tendenzen in seiner Partei. Eine achte Labour-Abgeordnete, Joan Ryan, verließ die Partei am Mittwoch. Sie sei „erschrocken, entsetzt und wütend“ darüber, dass Corbyn Beleidigungen von Juden ungestraft durchgehen lasse, sagte Ryan der BBC. Er sei nicht geeignet, künftig das Land zu führen.

Im vergangenen Sommer räumte Corbyn ein, dass Disziplinarverfahren gegen antisemitische Parteimitglieder zu langsam und zaghaft betrieben worden seien. Kritiker werfen ihm außerdem eine einseitige Unterstützung der Palästinenser im Nahostkonflikt vor.

Schon länger wird befürchtet, dass Labour auseinanderbrechen könnte. Die Meinungen über Corbyn gehen in der Partei stark auseinander. Viele Anhänger hat er unter jungen Leuten.

Unklar ist, ob die neue Gruppe sich zu einer Partei formieren wird. Das britische Wahlsystem, das nur das Direktmandat kennt, bevorzugt die beiden großen Parteien. Kleinere haben es extrem schwer, Sitze im Unterhaus zu erringen. Doch beide großen Parteien tun sich zunehmend schwer damit, eine klare Regierungsmehrheit zu gewinnen.

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