Rücktritt ja, allerdings erst in drei Monaten. Das ist der Plan von David Cameron, amtierender Premierminister von Großbritannien und jener Mann, der den EU-Austritt der Briten mit dem von ihm initiierten Referendum auf den Weg brachte.
Im Wahlkampf hatte Cameron dafür geworben, dass sein Land Mitglied bleibt. Seine Bürger stimmten nun gegen ihn. Wäre es nicht logisch, dass Cameron sofort geht? Noch bevor über die Details diskutiert wird, wie Großbritannien die EU verlässt, geht es um die Frage, wann überhaupt die Verhandlungen beginnen – und das hängt an Camerons Rücktritt. Drei Fragen und Antworten.
Wann beginnen die Austrittsgespräche?
Theoretisch könnte das britische Parlament die Volksabstimmung ignorieren, die Abgeordneten sind rechtlich nicht an das Votum der Bürger gebunden. Das würden Parlament und Regierung jedoch nicht lange durchhalten, der öffentliche Druck wäre immens.
Dennoch bremst London nun. Boris Johnson, einer der Anführer der Leave-Kampagne und Anwärter für das Premierminister-Amt, sieht keinen Grund, zeitnah mit den Verhandlungen zu beginnen. Und David Cameron, der Anfang Oktober seinen angekündigten Rücktritt vollziehen möchte, will die Verhandlungen seinem Nachfolger überlassen.
Und tatsächlich: Wenn die Briten sich nicht rühren, passiert gar nichts. Laut Paragraph 50 des EU-Vertrages muss das Mitgliedsland, das die EU verlassen will, den Europäischen Rat über seine Absicht informieren, also die Runde der europäischen Staats- und Regierungschefs. Diesen formellen Akt zögern die Briten nun hinaus. Zum einen müssen sich die britischen Konservativen neu aufstellen und einen Nachfolger für David Cameron finden, der die Partei und die Regierung übernimmt. Zum anderen wollen sie sich gut vorbereiten und ihre Verhandlungsposition gegenüber Brüssel stärken.
Die EU-Kommission ist wenig begeistert und mahnt zur Eile. Sie will die Briten zwar nicht rausschmeißen, den Verhandlungsprozess, der immerhin zwei Jahre dauert, aber möglichst schnell beginnen.
Was passiert in der zweijährigen Verhandlungsphase?
Es geht nun um die Frage, wie und unter welchen Bedingungen die Briten weiterhin am gemeinsamen europäischen Binnenmarkt teilnehmen dürfen. Die Norweger beispielsweise sind ebenfalls nicht in der EU, allerdings Teil des sogenannten Europäischen Wirtschaftsraums – zusammen mit Liechtenstein und Island. EWR-Mitglieder dürfen am Binnenmarkt teilnehmen und die Privilegien der EU nutzen. Sie können aber nicht mitbestimmen, weil sie nicht in den europäischen Institutionen vertreten sind.
Warum die Briten nochmal abstimmen könnten
Und am wichtigsten: Sie müssen die Gesetze aus Brüssel in Bezug auf den Binnenmarkt umsetzen, der EU Geld überweisen und die Personenfreizügigkeit akzeptieren. Die Briten werden nun versuchen die Vorteile zu bekommen – ohne die Auflagen erfüllen zu müssen. Dass sich Brüssel auf einen solchen Deal einlässt, ist schwer vorstellbar. Zugleich haben die anderen EU-Staaten aber ein Interesse weiterhin unkompliziert Handel mit Großbritannien treiben zu können – eine vertrackte Lage, die beide Seiten zu Zugeständnissen zwingen wird.
Als sicher gilt: Es wird schwierig, die Verhandlungen über ein neues Freihandelsabkommen zwischen EU und Großbritannien in den nächsten zwei Jahren abzuschließen. Gelingt das nicht, droht ein sogenannter kalter Ausstieg. Großbritannien wäre ein normales Drittland und müsste Handelsbarrieren bei Geschäften mit Europäern akzeptieren.
Und es geht nicht nur um die EU. Die Briten müssen mit jedem anderen Land der Welt ebenfalls Abkommen schließen, schließlich gelten die EU-Abkommen für die Briten nach dem vollzogenen Brexit nicht mehr. Kurzum: Die britische Regierung wird sich wohl über viele Jahre mit der Rolle des eigenen Landes in der Welt beschäftigen müssen.
Dürfen es sich die Briten anders überlegen?
Denkbar wäre, dass die Briten erneut abstimmen, wenn EU und Großbritannien einen fertigen Vertrag ausgehandelt haben, der die neuen Beziehungen regelt. Es wäre eine Art Vergewisserung: Möchtet ihr das wirklich? Die Hardliner der Brexit-Fraktion werden aus heutiger Sicht dagegen Sturm laufen.
Die Frage ist aber, wer die Führung der Konservativen übernimmt und ob diese Person zu eben jenen Hardlinern gehört. Zudem gibt es Spekulationen über vorgezogenen Parlamentswahlen im Herbst. Die Konservativen wollen sich möglicherweise ein starkes Mandat der Bevölkerung für die Brexit-Verhandlungen holen. Würden sie die Wahl klar gewinnen, wäre der Brexit wohl unausweichlich. Würden ab Herbst aber die britischen Sozialdemokraten, die Labour Party regieren, könnten die versuchen Großbritannien doch noch in der EU zu halten.
Bleibt Großbritannien aber auf Brexit-Kurs, dürften sich die Schotten und Nordiren, die zum Vereinigten Königreich gehören, von England und Wales abspalten. Als eigenständige Nationen würden die wiederum probieren, möglichst schnell in die EU zurück zu kommen. Das Vereinigte Königreich wäre Geschichte.