Umstritten sind auch die ausstehenden Pensionsforderungen. Manche wollen den Briten davon nur vier Prozent aufbürden, weil dies dem Anteil der Briten an den EU-Pensionären entspricht. Europäische Verhandler argumentieren aber, alle pensionierten EU-Beamten hätten auch für Großbritannien gearbeitet. Klingt kleinlich? Von wegen. Da sich die Pensionsverpflichtungen für die kommenden 30 Jahre auf insgesamt 63,8 Milliarden Euro belaufen, ist die Größe des britischen Anteils alles andere als banal.
Der Brexit-Fahrplan
Laut Barnier sollen bis Oktober 2018 die Details für den Austritt Großbritanniens ausverhandelt sein. Der Franzose hat diesen Zeitplan bereits als sehr ambitioniert bezeichnet. Andere Experten halten ihn angesichts der Fülle der Problemfelder für unmöglich. Womöglich wird es deshalb zahlreiche Übergangsfristen von etwa zwei bis fünf Jahren geben.
Die schottische Regierung will im Herbst 2018 ein zweites Referendum über den Verbleib im Vereinigten Königreich abhalten, sobald die Bedingungen für den Brexit klar sind. May hat dies abgelehnt.
Bis März 2019 wäre dann Zeit, damit Mitgliedsländer und EU-Parlament die Vereinbarung ratifizieren. Der Tag des Austritts Großbritanniens aus der EU wäre dann Samstag, der 30. März.
Unklar ist, wann die umfassenderen Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU abgeschlossen sind. May strebt ein Freihandelsabkommen mit der EU innerhalb weniger Jahre an, über das schon parallel zum Brexit verhandelt werden soll. Dagegen verweist die EU-Kommission auf die Erfahrung aus anderen Abkommen wie etwa mit Kanada (Ceta), über das sechs Jahre lang verhandelt wurde. Im Ceta-Vertrag sind allerdings keine Vereinbarungen über den komplexen Bereich der Finanzdienstleistungen enthalten, die für Großbritannien und den Finanzplatz London von enormer Bedeutung sind.
Noch schwieriger wird die Berechnung der britischen Verbindlichkeiten, wenn Kredite und Garantien berücksichtigt werden, die die EU vergeben hat. Sie alle bergen ein Ausfallrisiko, das in jedem Einzelfall berechnet werden müsste. „Aber wie genau lässt sich beziffern, ob die Ukraine ihren Kredit über 1,2 Milliarden nicht zurückzahlt?“, fragt ein EU-Beamter entnervt.
Als wäre das Zahlenwerk noch nicht kompliziert genug, ist bei der Brüsseler Brexit-Rechnung die Europäische Investitionsbank (EIB) in Luxemburg noch gar nicht berücksichtigt, für die Barnier mitverhandelt. Dieser Posten könnte die britischen Gesamtschulden glatt verdoppeln – was bisher von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Großbritannien gehört wie Deutschland, Frankreich und Italien zu den größten Anteilseignern und hält 16,1 Prozent der EIB-Anteile. Das Land könnte beim Brexit also 10,2 Milliarden Euro abziehen. EIB-Chef Werner Hoyer hat die Briten aber bereits darauf hingewiesen, dass es nur logisch wäre, die Briten im selben Maße an den Verbindlichkeiten der Bank zu beteiligen. Bei Gesamtschulden von 469 Milliarden Euro ergibt sich daraus ein britischer Anteil von 75,5 Milliarden Euro. Unter dem Strich würde Großbritannien dann also zudem der EIB noch 65,3 Milliarden Euro schulden.
Großbritannien könnte dies abwenden, indem es auch nach dem Brexit Anteilseigner der EIB bliebe. Interesse daran hätte das Land: Die EIB hat in den vergangenen fünf Jahren Kredite von über 30 Milliarden Euro an Projekte in Großbritannien vergeben, zumeist für Infrastrukturprojekte. Doch auch hier gibt es einen Haken: Großbritannien kann nur Anteilseigner bleiben, wenn alle Mitgliedstaaten einer entsprechenden Änderung der Statuten zustimmen.
Bereits jetzt ist deshalb absehbar, dass es in den kommenden zwei Jahren wie auf dem Basar zugehen wird. EU-Parlamentarierin Gräßle ist etwa überzeugt, das britische Einstiegsgebot werde bei null Euro liegen. Doch beide Seiten werden sich irgendwann irgendwie bewegen müssen. Ein hoher Brüsseler Beamter glaubt: „Am Schluss dürften die Politiker die Mitte austaxieren.“