Brexit Wie Briten in Deutschland ihre Lebensplanung wegbricht

Brexit: Die Ungewissheit belastet Briten in Deutschland Quelle: imago images

Am 11. Dezember stimmt das britische Parlament über das mit der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen ab – Ausgang ungewiss. Ein Brite, der in Deutschland arbeitet, erzählt, was die jahrelange Ungewissheit mit ihm macht.

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Um vier Uhr morgens sagte der Nachrichtensprecher der BBC: „We’re out.“ Für Thomas Cartwright begannen mit diesem Tag, dem 23. Juni 2016, Jahre der Ungewissheit.

Der heute 32-Jährige ist in Birmingham geboren, hat in Oxford studiert und arbeitet seit 2009 in Deutschland, mittlerweile als Implementation Manager beim Hamburger Spieleentwickler InnoGames. „Ich war fassungslos“, sagt Cartwright über jene Nacht. „Ich dachte, im Fernsehen liefe ein falscher Film. Die Grundlage, auf der ich mein Leben aufgebaut hatte, war auf einmal weggebrochen.“

Wie ihm geht es seitdem mehr als 100.000 Briten, die in Deutschland leben und arbeiten. Auch ihre Arbeitgeber sind nur bedingt in der Lage, ihre Geschäfte zu planen, weil Großbritannien für sie oft ein wichtiger Exportmarkt ist.

Zwar haben sich im November dieses Jahres, fast zweieinhalb Jahre später, die 27 verbleibenden EU-Staaten und die britische Regierung auf einen Vertrag für einen geordneten Austritt des Königreichs Ende März 2019 geeinigt. Doch bedeutet auch diese Einigung nicht allzu viel. Kern des Vertrags ist eine Übergangsphase, in der sich im Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU nichts ändern soll. Alles Weitere wird später verhandelt, vorausgesetzt, Theresa May erhält eine Mehrheit für den Vertrag im britischen Parlament. Darauf deutet aktuell allerdings kaum etwas hin. Ein Brexit ohne Einigung mit der EU steht also immer noch im Raum – was eine langfristige Lebensplanung für viele Briten in Deutschland unmöglich macht.

Aus rechtlicher Sicht hat das Brexit-Votum für Briten und ihre Arbeitgeber in Deutschland bisher nichts geändert. Allerdings ist der Alltag seitdem ein anderer. „Es hat keinen verdammten Tag gegeben in den letzten zweieinhalb Jahren, an dem ich nicht über den Brexit gesprochen habe“, sagt Cartwright. „Es nervt einfach.“

Dinge, die selbstverständlich schienen, als Cartwright nach Deutschland zog, um hier zu arbeiten, sind das nun nicht mehr. Seine Eltern etwa leben in Großbritannien. „Werden sie ein Visum beantragen müssen, wenn sie mich künftig für längere Zeit besuchen wollen? Was passiert, wenn meine Mutter oder mein Vater irgendwann einmal pflegebedürftig sind?“ Solche Fragen quälen ihn nun. Als er anfing bei InnoGames zu arbeiten, war er sicher, er hätte seine Eltern in einem solchen Fall nach Deutschland geholt. „Bald wird das vielleicht nicht mehr möglich sein. Dann müsste ich zurück nach Großbritannien, obwohl ich mir doch hier ein Leben aufgebaut habe.“  

Was Cartwright ein wenig Sicherheit verschafft, ganz unabhängig davon, auf welche Art und Weise die EU und Großbritannien auseinander gehen, ist die deutsche Staatsbürgerschaft, die er vor Kurzem erwarb. Zudem verfügt er über eine irische Staatsbürgerschaft, die ihn ebenfalls in der EU hielte. Insgesamt hat er also drei Staatsbürgerschaften. Die deutsche und die irische stellen eine Sicherheit dar, die sich viele seiner britischen Landsleute in Deutschland wünschen. Allein zwischen 2016 und 2017 erwarben mehr als 10.000 Briten die deutsche Staatsbürgerschaft – so viele wie noch nie.

„Kollegen von mir, die noch nicht die Voraussetzungen für eine deutsche Staatsbürgerschaft erfüllen und auch keine irische Staatsbürgerschaft haben, stehen vor größeren Problemen als ich“, sagt Cartwright. Einer dieser Kollegen arbeite seit fünf Jahren in Deutschland. Er wisse nicht, wie es weitergeht.

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