Brexit David Cameron - der Zocker

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Zweischneidiges politisches Schicksal


Europa und die Selbstzerfleischung der Konservativen, die die Spätphase der Amtszeit der legendären Premierministern Thatcher überschatteten, prägten den jungen Tory. 1994 wechselte er von der Politik in die Wirtschaft, wo er sieben Jahre lang als Kommunikationschef der privaten Medien- und Fernsehgesellschaft Carlton Communications arbeitete. 1997 erlebte er dann den drastischen Abstieg der verschlissenen Tory-Partei und den Erdrutschsieg Labours unter Tony Blair, der die Arbeiterpartei reformiert und damit wählbar gemacht hatte – ein Lehrstück, das er sich später selbst zum Vorbild nahm.

Cameron, Mitglied des Establishments, der mit seiner Frau Samantha, einer Designerin, damals zum schicken Notting-Hill-Set zählte, wurde immer wieder als politisches Leichtgewicht und als Mann ohne Visionen und Prinzipien kritisiert - glatt, geschmeidig, ein PR-Profi eben. Fest steht, dass er nachdem er im Jahr 2000 endlich einen Parlamentssitz ergattert hatte, recht schnell erkannte, dass seine Partei ohne einen radikalen Modernisierungskurs nicht mehr wählbar sein würde. Nachdem er 2005 die Führung der Tories übernommen hatte verpasste er den Konservativen ein neues, grünes und weichgespültes Image, er ließ sich mit Schlittenhunden fotografieren, um sein Engagement für den Umweltschutz zu betonen, befürwortete die Homo-Ehe, zeigte sich als Tory mit sozialem Mitgefühl. In vielerlei Hinsicht gelang es ihm damit, sich und seine Partei aus dem Schatten der Übermutter Thatcher zu lösen, nicht jedoch in der Europapolitik, die seit 20 Jahren für die Tories gefährlichen Sprengstoff darstellt. "Lass die Finger davon", so der Ratschlag von Außenminister William Hague, selbst einst Parteichef, als Cameron vor elf Jahren die Tory-Führung übernahm. Doch der hörte nicht auf ihn. Stattdessen propagierte Cameron den Ausstieg der konservativen Europaparlamentarier aus der Fraktion der EVP – der Europäischen Volkspartei - der auch die CDU angehört.

Cameron, der 2010 erstmals britischer Regierungschefs wurde, damals aber eine Koalition mit den europafreundlichen Liberaldemokraten (Libdems) einging, hat bereits angekündigt, dass er 2020 bei den nächsten Wahlen nicht mehr antreten wird. Sein Wahlsieg im Mai 2015, wo die Konservativen völlig überraschend siegten, hat ihm ein zweischneidiges politisches Schicksal beschert: denn mit dem Ausscheiden der Libdems aus der Regierung erstarkten die euroskeptischen Kräfte in seiner eigenen Partei, die ihn seither gewaltig unter Druck setzen. Sogar fünf Kabinettsmitglieder rebellieren offen gegen ihn und kämpfen für den Brexit. Wie 2014 beim Schottlandreferendum pokert er nun auch bei Europa hoch. Die Meinungsumfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen, die Wettbüros, die schon den Ausgang der schottischen Volksabstimmung richtig prognostiziert hatten, signalisieren dagegen einen komfortablen Sieg der EU-Befürworter.

Cameron muss dennoch weiter kämpfen und bangen. Seine persönlichen Popularitätswerte liegen derzeit unter denen seines innerparteilichen Rivalen Boris Johnson und sind sogar schlechter als die von Labourchef Jeremy Corbyn. Als die prominente Leitfigur der Remain-Kampagne muss er vermeiden, dass das EU-Referendum zu einer Abrechnung seiner bisherigen Regierungsbilanz wird. Am Donnerstagabend, als sich Cameron im Fernsehsender Sky News in einer Livesendung den Fragen des Publikums stellte, wurde ihm Heuchelei vorgeworfen, eine Studentin kritisierte, sie sei sein ständiges Geschwafel leid und der Moderator fragte spöttisch: „Was kommt beim Brexit zuerst: Der dritte Weltkrieg oder die globale Rezession?“ Skepsis und aggressive Stimmung überwogen: kein gutes Omen für den Zocker.

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